Aggression, Wut und Wille

Wie man Wut und Aggression unterscheidet

Aggressiv nennen wir Handlungen und Willensäußerungen, die angriffslustig und überwiegend destruktiv sind. Wut ist der Ausdruck für die emotionale gefühlsmäßige Seite der Sache. Es gibt Menschen, die sehr wütend sein können und sich dennoch nicht zu einer aggressiven Handlung hinreißen lassen. Es gibt auch aggressive Handlungen, die nicht von Wut begleitet werden: Sie können aus Langeweile heraus geschehen oder aus Emotionen wie Angst, Misstrauen, Eifersucht und Hass.

Das Wort „Aggression“ bedeutet von seinem lateinischen Ursprung her „Annäherung“. Tatsächlich ist eine aggressive Auseinandersetzung immer eine Begegnung. Man wird dabei nicht nur mit anderen konfrontiert, sondern früher oder später auch mit sich selbst. Der griechische Philosoph Heraklit nannte den Krieg den „Vater aller Dinge“. Das trifft ganz sicher nicht auf alle Dinge zu, mit Sicherheit aber auf das menschliche Selbstbewusstsein (vgl. Selbstbewusstsein: Widrigkeiten selbstbewusst begegnen). Durch nichts werden wir uns unserer selbst stärker bewusst als durch Auseinandersetzungen. Jede Begegnung, insbesondere aber die aggressive Auseinandersetzung, führt immer zu einer Verstärkung des Selbsterlebens und damit zu mehr Selbstbewusstsein.

Wut ist dagegen eher eine unbewusste Emotion oder ein bewusst erlebtes Gefühl. Im Volksmund wird gesagt, die Wut sitzt „im Bauch“. Das ist menschenkundlich richtig, ist sachgemäß ausgedrückt, denn die Basis für jedwede Kraftentfaltung beruht auf einem gut geregelten Stoffwechsel (vgl. Mut: Der physische Leib als Quelle von Mut): Arme und Beine dienen dann dazu, das aus dem Stoffwechsel kommende Kraftpotential in Handlung umzusetzen, und so kann sich z.B. Wut in aggressivem Handeln entladen.

Wille und Gefühl sind zwar deutlich voneinander zu unterscheiden – ein Gefühl als innere Bewegung kann jedoch unmittelbar in eine Willenshandlung, in äußere Bewegung, übergehen.

Aggressivem Verhalten vorbeugen

Das kindliche Gefühlsleben unterscheidet sich von dem des Erwachsenen dadurch, dass Gefühl und Wille noch wenig differenziert sind. Schon die Nachahmungsfähigkeit des Kindes macht deutlich, dass alles, was das Kind interessiert, was es sieht und damit auch empfindet, am liebsten auch getan, mitvollzogen, nachgemacht wird. Die erste wesentliche Möglichkeit der Vorbeugung besteht darin, dass Kinder den kultivierten Umgang der Erwachsenen miteinander erleben und nachahmen können. Fühlen Kinder sich nicht wohl oder sehen sie destruktive Handlungen, äußert sich das damit verbundene Unwohlsein oft in lustlosen äußeren Bewegungen oder kleinen aggressiven Handlungen. Erst mit dem Einsetzen der Vorpubertät im neunten, zehnten Lebensjahr beginnt deutlich zu werden, dass Kinder jetzt in der Lage sind, Gefühle in sich zu bewegen, ohne sie sogleich nach außen durch Wort oder Tat sichtbar machen zu müssen. Dann löst sich das Gefühlsleben mehr und mehr von seiner unmittelbaren Willens- und Körperverhaftung los und wird der autonome seelische Bereich, in dem zwischen Denken und Handeln vermittelt werden kann (vgl. Gefühle und Fühlen: Gefühl im Spannungsfeld von Sinneserfahrung und Denken). Nun trennen sich äußerer und innerer Bewegungsdrang zunehmend voneinander. Diese Entwicklung kulminiert in der Pubertät in einer ausgesprochenen Bewegungsunlust, die mit einer dafür umso größeren „Bewegungsfreude im Gefühl“ einhergeht. Die Jugendlichen können stundenlang irgendwo lagern, Musik hören und das auf und ab wogende Gefühlsleben beobachten und genießen. Je intensiver sich jedoch „Gefühlskultur“ entwickeln kann, je enger das Gefühls- und Gedankenleben verknüpft sind, umso weniger besteht die Neigung, in der Jugend oder später in verbale oder körperliche Gewaltausbrüche zu verfallen (vgl. Gefühle und Fühlen: Schulung der Gefühle durch das Denken).

Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 3. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997