Todesangst als Leibesangst des Erwachsenen

Was tun bei Todesangst?

Wie geht man konstruktiv damit um?

Auch Erwachsene können mehr oder weniger noch von Leibesangst betroffen sein, wenn auch in abgeschwächter Form. Jeder hat z.B. Leibes- oder Todesangst, wenn er ein Auto auf sich zurasen sieht oder, wie es mir neulich passiert ist, wenn man in der Heckscheibe sieht, dass einer nicht merkt, dass man bremst und einfach weiterrast. Hätte ich ihn nicht so früh gesehen, sodass ich mich auf den Aufprall vorbereiten konnte, wäre ich ebenso schockiert gewesen wie er. So aber konnte den Betreffenden noch trösten darüber, dass ihm so etwas passiert ist...

In der Vorstellung mit Gefahren umgehen

Die Leibesangst tritt in Momenten auf, in denen wir akut gefährdet sind und es auch sehen (vgl. Angst: Leibesangst und ihre Ursachen). Es ist dann ein Segen, wenn man über Kompensationsmechanismen verfügt. Je öfter man sich schon in Gefahrenmomenten befand, desto besser kann man mit Gefahren umgehen – denn das kann man lernen.

Entscheidend für den Umgang mit Todesangst ist, dass man sich ausführlich Gedanken gemacht hat über den Tod (vgl. Sterben und Tod: Dem Tod entgegenreifen). Denn das Einzige, womit man die Körper- und Leibesangst überwinden kann, ist das Wissen, dass das Wesen, das den Körper zusammenhält, trotz aller Schmerzen nicht sterben kann. Wenn man von innen her fühlt, dass das seelisch-geistige Wesen zwar leidensfähig ist im Leib, dass es aber, wenn der Leib einem genommen wird, auf andere Art weiterlebt, dann ist man in Gefahren tatsächlich in der Lage, die Ruhe zu bewahren.

Wenn man Folter oder andere Schrecknisse selbst noch nicht erlebt hat, finde ich es wichtig, dass man sich so etwas vorstellt bzw. dass man z.B. versucht, sich in derlei Katastrophen hineinzuversetzen und sich zu fragen, wie man sich selbst verhalten hätte. Wir können aber auch von anderen lernen, z.B. von Menschen, die Furchtbares erlebten, die Folter und Qualen erleiden mussten, indem wir versuchen uns vorstellen, wie es wäre, so etwas durchzumachen. Zu wissen, wie sich das anfühlt, macht empathiefähig. Man kann dabei aber auch üben, nicht nur Hass und Antipathie zu empfinden, sondern herauszufinden, wie man selber damit umgehen würde, wenn so etwas wirklich auf einen zukäme.

Normalerweise ist das Gegenteil der Fall: Man liest etwas Furchtbares und hat umso mehr Angst, dass einem selbst so etwas passieren könnte. Viel konstruktiver ist die Einsicht, dass es sich dabei um schwere Prüfungen der heutigen Zeit handelt, die uns letztlich lehren wollen, dass unser Seelisch-Geistiges stärker ist als der Tod (vgl. Mysterien und Initiation: Initiation durch das Leben).

Auf die Seele kann man nicht eintreten

Alexander Solschenizyn schildert in „Archipel Gulag“ oder „Erster Kreis der Hölle“ eine Szene, wie ihn der Lagerkommandant mit dem Stiefel ins Gesicht treten will, während er am Boden liegt, und er in dem Moment den Gedanken hat: „Du kannst nur meinen Leib zerstören, auf meine Seele kannst Du nicht eintreten.“ Dieser Gedanke lässt ihn die Misshandlung überleben.

Angesichts der Leibesangst hilft das Wort aus der christlichen Esoterik: „In christo morimur“ (vgl. Meditation auf anthroposophischer Grundlage: Sich erheben aus Angst durch Gebet und Meditation). In Christus sterben wir: Diesen Umstand können wir mit folgenden Einsichten umschreiben: „Mein Ich trägt mich durch alles hindurch – da kann keiner drankommen. Es gehört der geistigen Welt an. Ich bin Bild davon, mein Leib ist Ebenbild dieser göttlichen Instanz und der Kräfte, die diese Ebenbildlichkeit am Leben erhalten.“ In diesem Wissen schreiten wir über die Todesschwelle und verbinden uns wieder mit dem Urbild. Das ist wie eine Art Zentralgebet, zu dem nur der Erwachsene fähig ist. Ein Kind kann das nicht, aber wenn es so einen Erwachsenen in seinem Umkreis hat, kann dieser aus einer echten Kompetenz heraus trösten und die Angst anstelle des Kindes überwinden und kann dem Kind dadurch eine große Hilfe sein.

Vgl. „Die Angst in der Selbsterziehung des jungen Erwachsenen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013