Umgang mit „normaler“ Angst im 1. Jahrsiebt

Wie können wir unter siebenjährigen Kindern helfen, mit ihren Ängsten fertig zu werden?

Zu dem Realismus, den wir Erwachsenen den Kindern vermitteln dürfen, gehört auch, dass Angst etwas Normales ist und zum Leben dazugehört und dass es in gewissem Maße auch gesund ist Angst zu haben: Hätten wir keine Leibesangst, würden wir uns die Finger ständig verbrennen und verletzen. Angst zu haben ist eine Schutzreaktion – auch wenn wir die Flucht ergreifen. Angst hat mit der Beengung durch den Körper zu tun. Sie stellt somit ein natürliches Körpergefühl dar, eine gesunde Spontanreaktion angesichts einer körperlichen Bedrohung und sei es nur eine Vorstellung, eine Beobachtung, ein Gefühl, ein Erlebnis. Deshalb sollte es auch als normal angesehen werden, an seinen Ängsten zu arbeiten. Der Erwachsene muss herausfinden, was der spezifische Angstauslöser beim jeweiligen Kind ist, damit es lernen kann, angemessen mit solchen Anlässen umzugehen bzw. sie nötigenfalls zu vermeiden.

Hilfe bei der Angstbewältigung

Der Erwachsene muss herausfinden, was der spezifische Angstauslöser beim jeweiligen Kind ist, damit es lernen kann, angemessen mit solchen Anlässen umzugehen bzw. sie nötigenfalls zu vermeiden. Wenn Kinder Angst haben, ziehen sie sich zurück – dann ist die Bereitschaft etwas zu lernen gestört. Ängste müssen gut behandelt werden, weil sie Kindern den Entwicklungsmut nehmen. Das betrifft auch verborgene Ängste, die sich verstecken können hinter Melancholie, Bequemlichkeit, Festhalten am Vertrauten. Wir müssen die Symptome der Angst gut lesen lernen. Nur durch Entängstigung wird der Wille zur Entwicklung, die Lust auf Neues, freigelegt.

Konkrete Entängstigungshilfen wären:

  • Bewusste Pflege der Körpergrenzen.
  • Man sollte des Weiteren schauen, ob Über- oder Unterforderung vorliegt, bzw. wie sich das Kind dazwischen positioniert. Überforderung macht Angst und oft merkt man das gar nicht.
  • Das Erzählen von Märchen.

Vertrauen in die Entwicklung durch Märchen

Ein Grund, warum man Kindern Märchen erzählen sollte, ist, dass sie Wesen und Mächte zu benennen lernen. Die Grimms Märchen, die ja wertvolle Entwicklungsmärchen für Kinder darstellen, vermitteln, dass Mut, Wahrhaftigkeit, guter Wille, Demut und Vertrauen in die Entwicklung alle bösen Mächte besiegt: So wie das Leben stärker als der Tod ist, der Geist stärker als die Materie, so sind die Kerneigenschaften des menschlichen Ich stärker als alle dämonischen Gewalten.

Über Märchen, in denen einer das Fürchten lernen muss bzw. die Furcht zu überwinden lernt, kann man beobachten, wie Kinder mit solchen Geschichten mitgehen, weil sie dabei auch sehr stark eigene Themen erleben. Manche Kinder ertragen es nicht, dass eine Geschichte schlecht ausgeht. Wenn man aus Versehen ein Andersen-Märchen liest und merkt, dass es schlecht ausgeht, muss man sich ein positives Ende dazu ausdenken. Ein schlechtes Ende wäre unerträglich für ein solches Kind, denn sein Selbstbewusstsein ist noch nicht so stark zu wissen, dass es nach Katastrophen trotzdem weitergeht, dass Tod und Wandlung dazugehören etc. Wer von Natur aus ängstlicher ist, erträgt das nicht und bekommt Angst vor Entwicklung oder „Angst vor der eigenen Courage“, wie wir sagen. Auch mutige Kinder sollte man primär in ihrem Mut bestärken und ihnen keine Angst machen in der Meinung, sie könnten das schon verkraften.

Das Allerwichtigste ist, dass der Erwachsene die Überschau behält über die Situation, in der sich ein Kind befindet. Allein der Umstand, dass der Erwachsene alles überblickt, genügt meist. Auf mich als Kind wirkte bereits die Tatsache, dass meiner Mutter klar war, was da ablief, angstlösend.

Seelische Geborgenheit geben

Wenn wir Kindern sagen – „Du brauchst keine Angst zu haben!“ – verlieren sie dadurch ihre Angst nicht, im Gegenteil. Es ist wichtig zu realisieren, dass Angst ein seelisches Phänomen ist und deshalb auch nur mit spirituell-seelisch-geistig fassbaren Qualitäten begriffen und überwunden werden kann. Das bedeutet, dass es wichtig ist, in den entsprechenden Situationen selbst keine Angst zu haben, denn kleine Kinder sind hellsichtig und sehr sensibel für die Wahrheit. Diese Sensibilität verlieren wir erst, wenn wir erwachsen werden.

Es ist enorm wichtig, dass wir unser Bewusstsein so pflegen, dass das Kind sich mit all seinen Erlebnisweisen in unserem Bewusstsein als Erzieher, als Eltern, als Ärzte oder Lehrer ganz und gar geborgen fühlen kann. Geborgenheit in der Seele eines Erwachsenen ist das allerwichtigste Instrument der Angstbewältigung – speziell, wenn Kinder zuhause Gewalt und Übergriffe erleben und Angst haben, wenn der Vater betrunken oder die Mutter „sauer“ ist. Dann kommen sie in die Schule und fühlen sich bei einem Lehrer geborgen, finden Verständnis für das zerzauste Gefieder und erleben, dass er sich nicht irritieren lässt, auch wenn sie schwierig sind. Das ist überaus wichtig, denn schwierige Kinder haben mehr Angst und empfinden mehr Zorn als andere – einfach aufgrund ihres Schicksals oder ihrer frühkindlichen Erlebnisse. Sie brauchen mehr Schutz und Geborgenheit bei einem Erwachsenen, der das überschauen kann.

Vgl. „Hilfen im Umgang mit Angst im Schulalter“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013