Atmung, Kreislauf – Gefühlsleben und Kunst

Wie hängen Gefühlsleben und Leibesentwicklung zusammen?

Blicken wir auf den Zusammenhang von Leib und Seele, so finden wir im Organismus zwei Organsysteme, die ein getreues Abbild der musikalisch-rhythmischen Qualität des Gefühlslebens sind: Atmung und Kreislauf. Herz und Lungen sind unentwegt von der Geburt bis zum Tod rhythmisch tätig. Sie vermitteln durch Spannung und Entspannung, Betätigung und Ruhe unausgesetzt zwischen Selbst und Welt (Atmung) sowie zwischen Körperzentrum und Körperperipherie (Herz).

Daher erstaunt es nicht, dass jede Sinnesempfindung und jedes Gefühl auf Atmung und Herzschlag einen unmittelbaren Einfluss haben. Eine aufregende Nachricht lässt uns tief Luft holen und das Herz schneller schlagen. Unter Anspannung wechseln flache, schnelle und tiefe Atemzüge auf unharmonische Weise einander ab. In der Aufregung kann das Herz bis zum Halse klopfen und vor Schreck stolpern, ja sogar fast „stehenbleiben“. Umgekehrt kann ruhiges, geführtes Atmen (z.B. beim Zahnarzt oder bei der Geburt) die Angst nehmen und die Schmerzen erträglicher machen.

Das Gefühlsleben hängt mit den differenzierenden Wachstumskräften zusammen (vgl. Wesensglieder: Grundlegendes zum Thema Wesensglieder). Die Differenzierung von Geweben und Organen während der Embryonalentwicklung beruht auf bestimmten Proportionen und Zahlenverhältnissen, die ihrerseits wieder musikalisch darstellbar sind.1 Im Zusammenspiel von Herz- und Atemrhythmus findet die musikalische Konstitution des menschlichen Organismus ihr Zentrum. Werden die differenzierenden Kräfte nach der Ausreifung des mittleren Systems leibfrei, bilden sie die Grundlage für die seelische Fähigkeit des Fühlens. D.h. das Erwachen und Erleben von Gefühlen ist an diese Organe genauso gebunden wie die Bildung und das Bewusstwerden von Gedanken an das Nervensystem.

Voraussetzungen für ein gesundes Gefühlsleben

Rudolf Steiner hat diese Tatsache nach 30jähriger Forschung erstmals 1917 in seinem Buch „Von Seelenrätseln“ beschrieben.2 Will man einem Kind eine gute Lebensgrundgestimmtheit mit auf den Weg geben, so müssen die heranreifenden rhythmischen Systeme von Atmung und Kreislauf in gesunder Weise angeregt und unterstützt werden: Ein gesundes soziales Klima im Umkreis des Kindes, wie z.B. ein harmonisches Familienleben, bildet die wichtigste Voraussetzung. Folgt der Tageslauf einem gesunden Rhythmus, in dem Arbeit und Ruhe sich sinnvoll abwechseln, so kann beim Kind ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit entstehen (vgl. Lebensrhythmen: Pflege von Lebensrhythmen1 in der Kindheit). Es erlebt sich eingebettet in sinnvolle Zusammenhänge und wiederkehrende Ereignisse, auf die es sich verlassen und freuen kann, und mit denen es auch rechnet. Auf diese Weise entsteht eine stabile Grundlage, um späteren Stress-Situationen gewachsen zu sein. Denn auf der Basis einer harmonischen Grundgestimmtheit lassen sich extreme Situationen leichter aushalten und ausbalancieren.

Künstlerischer Ansatz als Unterstützung

Gelingt es, Kinder in der Schule gefühlsmäßig zu erreichen und in jeder Unterrichtsstunde mit Spannung und Lösung zu arbeiten, Freudiges und Ernstes zum Erlebnis zu bringen, so wird vonseiten der Erziehung das Notwendige getan, um regulierend und stimulierend auf die Entwicklung von Atmung und Kreislauf einzuwirken. Wo dies in der Kindheit nicht möglich war, stellen sich dem Erwachsenen unter Umständen schwere Aufgaben für die Selbsterziehung (vgl. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung: Notwendige Selbsterziehung im Seelischen). Nur bei wenigen Menschen werden heutzutage in Familie und Schule die Voraussetzungen für einen ausgeglichenen Gemütszustand geschaffen. Meist muss lebenslang selbst daran gearbeitet werden.

Die künstlerischen Therapien können dabei eine große Hilfe sein. Denn in der Kunst haben wir es mit denselben Gesetzmäßigkeiten zu tun, nach denen der Leib gebildet ist:

  • Die Gesetze des Lebendigen, des Wachsens, Gestaltens und Bildens finden wir in Plastik und Architektur wieder.

  • Die Gesetze, die dem Gefühlsleben zugrunde liegen, in Malerei und Musik

  • und die Gesetze des Willenslebens in Sprache und Eurythmie. (vgl.Wille(nsschulung): Wille und künstlerisches Schaffen ).

Vgl. Kapitel „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart

  1. Vgl. Armin Husemann, Der musikalische Bau des Menschen. Stuttgart 1989.
  2. Rudolf Steiner, Von Seelenrätseln. GA 21.