Der Sinnes- und der Tatenmensch als Instrumente des Ich

Inwiefern sind die Sinne und die Gliedmaßen des Menschen Kontaktorgane?

Wie kann Schule die Kontaktfähigkeit ihrer Schüler verstärken?

Wie schult man die eigene Intuitionsfähigkeit?

Zweifacher Kontakt mit der Umgebung

Der physische Leib tritt auf zweierlei Art mit seiner Umgebung unmittelbar in Kontakt:

Man kann auch sagen, die Kontaktaufnahme geschieht über die Anschauung und die Tat – insofern spreche ich von Sinnes- und Tatenmensch. Das ist aber nicht das Gleiche wie die Einteilung in Nervensinnessystem und Stoffwechsel-Gliedmaßensystem als Teile der Drei¬gliederung (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Zur funktionellen Dreigliederung des menschlichen Organismus). Der Sinnes- und der Tatenmensch sind werden hier als Instrumente des Ich betrachtet (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen der Ich-Organisation), durch das die Dreigliederung als Dreiheit in der Einheit verbunden bleibt. Wir fallen nicht pathologisch bzw. psychotisch in Denken, Fühlen und Wollen auseinander, sondern wir sind trotz all unserer unterschiedlichen Schwerpunkte in der Lage, das System als Gesamtheit zusammenzuhalten.

Gestörter Kontakt zur Sinneswelt

Setzt sich einer der drei Bereiche des dreigegliederten Organismus durch, so äußert sich das

  • entweder als Angst, die mit dem Bewusstsein assoziiert ist

  • oder als Aggression und Wut, die mit dem Stoffwechsel assoziiert sind

  • oder als Klammern an der Mama oder anderen Menschen aufgrund von Einsamkeit und Sich-vernachlässigt-Fühlen, Sich-allein-Fühlen.

In allen drei Fällen haben die Betroffenen einen gravierend gestörten Kon¬takt zur Um- und Mitwelt. Sie tun meist nur, was sie wollen, anstatt das, was sie sollen. Dieses Verhalten zeigt, dass das Verhältnis zur Welt wie auch zum eigenen Willen gestört ist. Das ist alles Ausdruck einer primären Ich-Inkar¬nationsstörung, d.h. das Ich konnte sich nicht um das ganze System kümmern (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Inkarnation – der Weg vom Geist in die Materie).

1. Anschauung vertiefen und kultivieren (Sinnesmensch)

Als Prävention und Therapie sind die Sinne über künstlerisches Üben (vgl. Kunsttherapie: Wille und künstlerisches Schaffen) bzw. anschaulichen, bildhaften, charakterisierenden, künstlerisch gestalteten Unterricht anzusprechen(vgl. Waldorfpädagogik: Salutogenetische Waldorfpädagogik): Bei Verhaltensstörungen und Schwierigkeiten in der Unterstufe, sagt Rudolf Steiner, solle der Lehrer eine sinnige Geschichte erzählen, in der er genau die Verhaltensstörungen der Kinder aufgreift und ins Bild bringt und so den Kindern vor Augen stellt, wodurch das völlig freie, unschuldige Ich die Situation anschauen und daraus heilende, ordnende Botschaften empfangen kann, die es dann über das Denken, Fühlen und Wollen auf die anderen Wesensglieder überträgt.

Auch alles Kognitive soll über die Sinne vermittelt werden, weil über den Weg von der Eins (Ich-Aktivität) in die Drei (Denken, Fühlen und Wollen) die Zusammenhaltekraft unterstützt wird.

2. Gliedmaßenmenschen schulen (Tatenmensch)

Die zweite Hauptaufgabe besteht in der Schulung des leibfreien Willens durch eine Lockerung der Ich-Organisation aus den Gliedmaßen insbesondere durch

Rudolf Steiner sagt, die gesamte Zukunftsentwicklung des Menschen hänge davon ab, dass sich die Ich-Organisation aus den Gliedmaßen herauszulösen und immer mehr mit der Umgebung zu verbinden lernt. Diese Willensverbindung mit dem anderen nennen wir Intuition.

Intuition über Nacht

Um mit den Schülern an den erforderlichen Fähigkeiten arbeiten zu können, um zu wissen, was sie brauchen, müssen Lehrer und Schularzt über therapeutische bzw. pädagogische Intuition verfügen. Dieser leibfreie, tief unbewusste Willen hat nichts mit dem Astralleib zu tun (der ihn bewusst machen könnte). Er ist reine Ich-Kraft, reine Haltekraft, reine geistige Präsenz. Wenn wir durch diese Kraft auch unserem Denken und Fühlen Orientierung geben – weil das Ich einheitlich gestaltend wirkt – dann kann dieser aus den Gliedmaßen gelöste freie Wille als Intuitionskraft einen wirklichen Kontakt herstellen zu den Kindern, Eltern und Lehrern – und die unmittelbaren Botschaften dieser Menschen aufnehmen. Rudolf Steiner sagt, wir könnten uns in diese Richtung entwickeln, wenn wir mit dem Gebet in die Nacht gehen: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“.1 Fragen wir zudem die Betreffenden im Geiste:

Wie muss ich mich verhalten, dass es besser wird mit dir?

Was muss ich dir geben, was brauchst du von mir?

wird die Antwort am nächsten Morgen im Bewusstsein aufleuchten, weil sich das Ich über Nacht in den Kosmos hinausbegeben und mit den Engeln geredet hat (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Wirken des Ätherleibes bei Tag und bei Nacht). Wenn es sich danach wieder mit dem Körper verbindet, prägt sich die mitgebrachte intuitive Botschaft dem Denken ein. Man hat dann, wenn man Glück hat, einen Einfall, ein Bild und weiß plötzlich, was zu tun ist, was für diesen Menschen und diese Situation richtig ist.

Alles in diesem Zusammenhang kompliziert Erscheinende, auch das Rätsel, wie man an diese intuitive Schicht herankommt, wird verständlich, wenn man Dreigliederung und Viergliederung im Zusammenhang betrachtet (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Denken, Fühlen und Wollen und Leib, Seele und Geist). Wenn man versteht, wie Intuition menschenkundlich zustandekommt, kann man sie übend viel bewusster handhaben.

Vgl. Vortrag „Schulabsenz und die Gründe dafür“, Schulärztetagung 2014

  1. Neues Testament, Lukas 22,42.