Gefühl und Wesensglieder

Ich möchte an dieser Stelle ein paar menschenkundliche Gesichtspunkte erwähnen, um verständlich zu machen, wieso Worte und Gedanken, wie z.B. religiöse und philosophische Texte, aber auch sonstige Lyrik und Prosa, unmittelbar gesundend wirken können.

Die Wesensglieder als vier Prinzipien

Es geht um die Gesundheit unserer vier Wesensglieder:

  1. unseres physischen Leibes,
  2. unseres Ätherleibes,
  3. unserer Seele oder unseres Astralleibes,
  4. unserer Ich-Organisation, die in der Wärme lebt, und eng mit unserer geistigen Gesundheit zusammenhängt.

Anliegen der Waldorfpädagogik ist die möglichst harmonische Inkarnation dieser menschlichen Wesensanteile, damit auch der Prozess ihres Frei-Werdens aus dem Leib zu den freien geistigen Tätigkeiten des

  • Denkens
  • Fühlens
  • und selbständigen Wollens

möglichst harmonisch verläuft. So gesehen lässt sich Waldorfpädagogik auch als Präventivmaßnahme verstehen. Rudolf Steiner hat Ärzte und Lehrer auf wunderbare Weise einander gegenübergestellt und gesagt,

  • die Ärzte der Zukunft werden Lehrer der Gesundheitswissenschaft sein

  • und die Lehrer der Zukunft werden Heiler sein, indem sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, bei den Kindern Gesundheit für ihr ganzes Leben zu veranlagen.

Ganz so weit sind wir noch nicht, aber wir befinden uns auf dem Wege dahin.

1. Gefühl im Kontext von physischem Leib und Ätherleib

Im Physischen entwickeln wir die Seelenfähigkeit der Sinnesempfindung (vgl. Gefühle und Fühlen: Gefühl und Wahrnehmung) wecken. Durch den physischen Leib sind wir unmittelbar an die Sinneswelt angeschlossen und damit an alle Qualitäten dieser Welt. Der physische Leib, sagt Rudolf Steiner, gestaltet sich nach der Gesetzmäßigkeit der Sinnesorgane.1 Jeder Sinneseindruck kann gesundend oder kränkend wirken: Je nachdem, ob das, was man sieht und hört, konstruktiv, aufbauend und sinnvoll ist oder ob es verstörend, zerstörerisch und unharmonisch ist, kommt es über die Sinne zu leisen Kränkungen oder zu leisen Impulsen zur Gesundung. Entscheidend ist dabei, was man empfindet. In der Sinnesanschauung erlebt der Ätherleib alles mit. Denn die reine Schicht der Empfindung, noch bevor sie sich zum Gefühl verdichtet, ist ätherischer Natur und hat dadurch einen unmittelbaren Bezug zum Denken.

2. Gefühl im Kontext von Astralleib und Ich

Die Sinnesempfindung kann sich dann einerseits zum Gefühl verdichten, kann aber auch zur Vorstellung werden kann, zum Bild, das fortan im Denken lebt. Wir können andersrum aber auch lernen, immer stärker zu empfinden, was wir denken, z.B. In der Meditation (vgl. Gefühle und Fühlen: Schulung der durch das Denken). Und wir können üben, immer stärker seelisch mitzuerleben, was wir sehen und hören. Das nennen wir dann Empathie.

Das Gefühlsleben, unser Fühlen hat also zu allen Bereichen Zutritt, ist an alle Wesensglieder angeschlossen. Es ist das Zentrum unseres Seelenlebens und in umfassender Weise den Kränkungen über die Sinne, über das Erleben, das Mitgefühl, aber auch über die Art und Weise, wie das Ich mit diesen Eindrücken umgeht, ausgesetzt.

3. Die Bedeutung des 5. Prinzips

Paracelsus fasste die leibfrei gewordenen Seelenfähigkeiten des Denkens, Fühlens und Wollens unter dem Begriff „Quinta Essentia“, zusammen. Man könnte es neben den 4 oben genannten Prinzipien der Wesensglieder das 5. Prinzip nennen, bei dem es sich um eine normale außerkörperliche Erfahrung handelt, die, je nachdem wie sie verläuft, endscheidend ist für unsere Gesundheit – warum?

  • Wenn ich Wahrhaftiges denke, wird mein Ätherleib gestärkt.
  • Wenn ich liebevoll fühle, wird mein Astralleib gestärkt.
  • Wenn ich kraftvoll und entschlossen handle, wird das Ich gestärkt.

Auch alles regelmäßige Tun, egal on in Form von regelmäßiger Wiederholung, regelmäßigem Gebet, regelmäßigem rituellen Erleben, wirkt immer willensstärkend. Das macht verständlich, warum Rudolf Steiner die Religion, also religiöses Tun, dem Willen zuordnet, das ich-stärkend wirkt. In dem kleinen Bändchen „Philosophie, Kosmologie und Religion “2 ordnet Rudolf Steiner

  • die Psychologie dem physischen Leib zu,
  • die Philosophie dem Ätherleib,
  • die Kosmologie dem Astralleib
  • und die Religion dem Ich.

Durch die „Allgemeine Menschenkunde“3 zieht sich die Frage nach der pädagogischen Bedeutung und Wertigkeit des Gefühlslebens wie ein roter Faden hindurch – bis hin zu dem Lehrermotto am Ende:

„Durchdringe Dich mit Phantasiefähigkeit, haben den Mut zur Wahrheit, schärfe Dein Gefühl für seelische Verantwortlichkeit.“4 findet das Gefühlsleben in diesem Alter den Anschluss an die Welt. Daraus resultiert ein gesundes Selbsterleben, wodurch möglichen Gefährdungen der Pubertätszeit vorgebeugt wird.

Vgl. Vortrag „Die salutogenetische Wirkung von Kinderhandlung, Jugendfeier und Opferfeier“, für Religionslehrer 2012

  1. Vgl. u.a. Rudolf Steiner, Die Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13.
  2. Rudolf Steiner, Die Philosophie, Kosmologie und Religion in der Anthroposophie. GA 215.
  3. Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik. GA 293.
  4. Ebd. S. 181 (8. Aufl., 1980)