Biographiearbeit als Weg zu Christus

Was ist Biographiearbeit, was sind die Voraussetzungen dafür?

Für wen ist sie gedacht?

Wer bietet sie an?

Biographiearbeit als Werkzeug der Selbsterkenntnis

Biographiearbeit gibt es diesem Namen nach erst seit Mitte dieses Jahrhunderts. Dabei geht es um das Aufarbeiten der eigenen Biographie, das Interesse für den ganz individuellen Schicksalsverlauf und seine Bedingungen (vgl. Biographiearbeit: Was anthroposophische Biografiearbeit vermag). Das betrifft jeden Menschen in gleicher Weise. Alle Menschen haben eine Biographie, die im Laufe des Lebens auf der Erde „geschrieben“ wird. Sinn von Biographiearbeit ist es, das Leben als Entwicklungsweg zu entdecken und im umfassendsten Sinne Lebensbejahung und Lebensfreude zu erlernen (vgl. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung: Der individuelle Schulungsweg). Durch den Fokus auf die menschlichen Beziehungen eröffnen sich oft neue Möglichkeiten, die es zu gestalten gilt.

  • Wird Biographiearbeit von Ärzten durchgeführt, folgt sie einem primär therapeutischen Ansatz.

  • In der Hand von Priestern handelt es sich um eine bestimmte Form der Seelsorge.

  • Bieten Psychologen, Sozialarbeiter, Kunsttherapeuten, Unternehmens- und Lebensberater Biographiearbeit an, geben sie ihr ebenfalls eine bestimmte professionelle Prägung.

  • Wer möchte, kann Biographiearbeit auch ganz persönlich für sich leisten, indem man als Hilfe beim Durch- und Verarbeiten der eigenen Biographie einige Werke aus der umfangreichen Fachliteratur heranzieht.1

Der anthroposophischen Biographiearbeit, sprich der Bearbeitung der individuellen Ereignisse und Schicksalskonstellationen eines Lebens, liegt das Studium der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der körperlichen, seelischen und geistigen Entwicklung zugrunde.

Das eigene Leben mit den Augen des Christus betrachten

Das zentrale Element der Biographiearbeit ist der Schicksalsbegriff vor dem Hintergrund der wiederholten Erdenleben (vgl. Schicksal und Karma: Ich-Erleben und Schicksalsgestaltung). Und so kann der Weg durch die eigene Biographie auch zu einem Weg werden, der zum Erleben des Christus führt.

Nimmt man die Christusworte, „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“,2 ernst, so kann auch das biografische Gespräch als eine solche „Zusammenkunft“ in SEINEM Namen angesehen werden.

Was aber bedeutet, „in SEINEM Namen zusammen zu sein“?

Hängt das nicht gerade mit diesem überaus milden und verstehenden Blick zusammen, mit dem Christus auf die Menschen, die mit IHM waren, hingeblickt hat?

Dem Christus ging es um Entwicklung, Wandlung und den körperlich-seelisch-geistigen Fortschritt der Menschen (vgl. Christus heute: Jesus-Christus und der Tempel des Leibes). Selbst im Zorn über die Pharisäer lebte sein Verstehen, sein Engagement für ihr weiteres Ergehen, auch wenn es sich um erschreckende Zukunftsbilder handelte. Die Folgen von Irrtümern gilt es genauso nüchtern ins Auge zu fassen wie die Folgen von Einsicht und rechtem Tun (vgl. Schicksal und Karma: Urteilsfähigkeit in Schicksalsfragen). Alles, was in der Biographie geschieht, kann zum Guten gewendet werden. Der Wille zum Guten, zum Heilsamen, zum Verstehen und Verwandeln ist es, der Biographiearbeit zu einem Weg macht, der in SEINE Nähe führt (vgl. Christus heute: Christusbewusstsein entwickeln lernen).

Alle Ereignisse als Quelle von Erkenntnis sehen

Es ist schon viel gewonnen, wenn einem Menschen deutlich wird, dass man den schmerzlichen Ereignissen ebenso viel in Bezug auf die eigene Selbst- und Welterkenntnis verdankt wie den glücklichen Momenten (vgl. Trauma – Ursachen und Behandlung: Sinnfindung als Weg der Heilung). Gerade an den problematischen Begebenheiten kann so vieles gelernt werden, weil Schmerz die Seele anrührt und aufweckt (vgl. Begabung und Behinderung: Bewusster Umgang mit Not und Zerstörung). Wer darüber in Hass und Ärger verfällt, erstickt das Aufwachen im Keim und bringt sich um den Segen dieser Erfahrungen.

Auf der anderen Seite geht es darum, die freudigen Erlebnisse, die man gerne annimmt, nicht nur zu genießen, sondern zu lernen, daraus Kraft zu schöpfen (vgl. Freude: Freude als Ziel von Entwicklung). Biographiearbeit kann zur Einsicht verhelfen, dass man in Zeiten der Kraftlosigkeit zu wenig an den positiven Seiten des Lebens gearbeitet hat und dass man sich von den guten Ereignissen zu wenig Kraft hat geben lassen. Wer sehr an seinen Schmerzen leidet, sollte sich fragen:

Wie kann ich Schmerzliches so verarbeiten, dass ich die Erkenntnisse daraus gewinne, die es mich lehren will, so dass die damit verbundenen Ereignisse zur Ruhe kommen können?

Wer in dieser Weise die Ereignisse seines Lebens zu durchleuchten und bearbeiten anfängt, kann erleben, wie er dadurch einsichtiger, lebensbejahender und „menschlicher“ wird.

Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 8. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997

  1. 1 Vgl. z. B. Gudrun Burkhard, Das Leben in die Hand nehmen, Stuttgart 1992; dies.: Schlüsselfragen zur Biographie, Stuttgart 1994; Andreas Hanses, Biographie und Soziale Arbeit. München o.J.; Peter Alheit, Bettina Dausien UND Wolfram Fischer-Rosenthal, Biographie und Leib. (Beiträge von Andreas Hanses, Annelie Keil u.v.a.), Gießen 1999; Bernard Lievegoed, Lebenskrisen – Lebenschancen, München 1991; ders.: Der Mensch an der Schwelle, Stuttgart 1984; neueste Aufl. 2012; Mathias Wais, Biographiearbeit - Lebensberatung. Stuttgart, 3. Aufl. 1996.
  2. Neues Testament, Matthäus 18, 20.