Was für den freien Covid-19-Impfentscheid spricht

Die Autorinnen der „Kindersprechstunde“1 haben im Hinblick auf die schrittweise Einführung der Covid-19-Impfpflicht einen Aufruf an die im Gesundheitssystem Verantwortlichen sowie die Abgeordneten im Deutschen Bundestag geschrieben und dabei vier gute Gründe angeführt, die gegen die Impfpflicht sprechen. 2 Auch die europäische Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ ELIANT hat deswegen an alle Abgeordneten im Europaparlament geschrieben – basierend auf der Resolution des Europaparlaments vom 27. Januar 2021. In dieser Resolution sprach man sich klar gegen eine Pflicht zur Covid-19-Impfung aus. Man wollte sicher gehen, „dass niemand diskriminiert wird, weil er nicht geimpft ist, weil er möglicherweise ein Gesundheitsrisiko hat oder sich nicht impfen lassen will“. 3

Was sind die wesentlichen Gesichtspunkte, die gegen einen Covid 19 Impfzwang sprechen?

Wissenschaftliche Gründe

In einer Pandemie geht es um den Schutz vor Ansteckung, 4/5 Krankheit 6 und möglichem Tod. Die bisher entwickelten Impfstoffe leisten diesen Schutz jedoch nur bis zu einem gewissen Grad. Sie bieten zwar vulnerableren Menschen mit Vorerkrankungen und in vorgerücktem Alter einen zeitlich begrenzten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen. Sie können jedoch weder das Auftreten der Erkrankung noch eine mögliche Ansteckung Anderer nachhaltig verhindern. Auch sind die bisher bekannt gewordenen – zum Teil leider auch schweren und schwersten Nebenwirkungen häufiger als wir dies von konventionellen Impfstoffen kennen, insbesondere bei jüngeren Menschen. Das empfinde ich als besonders belastend, da sie ihr Leben noch vor sich haben. 7 Daher halte ich eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung für unabdingbar.

Problem der Kapazitätsgrenzen gewinnorientiert betriebener Krankenhäuser

Das gesamte Pandemie-Management hat sich an den Kapazitäten der Krankenhäuser ausgerichtet. Die Hygienemaßnahmen und Lockdowns dienten der Verlangsamung der Ausbreitung der Pandemie in der Hoffnung, bald einen Impfstoff zu haben der die weitere Verbreitung stoppen kann. Der indirekten Gefährdung der Bevölkerung durch eine Überlastung des Gesundheitssystems sollte aber durch eine Erhöhung der Kapazitäten begegnet werden. Gegenüber den Beschränkungen der Freiheitsrechte und der in Aussicht gestellten Impfpflicht, stellt dies eine verhältnismäßigere, patientenorientierte und nachhaltigere Option dar.

Salutogenetische Gesichtspunkte

Aus der Salutogenese, Resilienz- und psychoneuroimmunologischen Forschung wissen wir, dass Menschen mit innerem Wertesystem, optimistischer Lebenseinstellung und religiöser oder spiritueller Orientierung über stärkere Widerstandsressourcen verfügen. Angst und Zwang hingegen sind mit Emotionen verbunden, die die Resilienz untergraben. Daher sollten sich alle, ganz besonders aber diejenigen, die in der Gesundheitsversorgung arbeiten und damit höheren Risiken ausgesetzt sind, frei und selbstbestimmt für oder gegen eine Covid-19-Impfung entscheiden dürfen. Zum einen wissen MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen ohnehin am besten, wie man sich und andere schützen kann – sind doch die Hygieneregeln bei Ihnen Alltag. Zum anderen erleben sie am häufigsten direkt vor Ort, dass auch Geimpfte und selbst Geboosterte erkranken und die Krankheit an Dritte weitergeben können.

Ohne Freiheit und Respekt vor der Menschenwürde des Individuums verliert die Demokratie ihren Boden

Wie oft konnte man hören, ich lasse mich aus sozialen Gründen impfen! Ungeimpfte verhalten sich unsozial! Ganz abgesehen davon, dass man auch das Gegenteil sagen könnte: Ungeimpfte wissen um ihr Risiko für sich und andere. Geimpfte hingegen fühlen sich sicher und realisieren oft nicht, dass sie die Krankheit ja auch weitergeben können, selbst wenn sie keine oder nur geringe Symptome haben. Problematisch ist aber auch die Haltung, die dem Individuum die Würde nimmt, in intimen Gesundheitsfragen selbst zu entscheiden.

Geht nicht die größte Gefahr für die Demokratie einerseits von konformistischen Systemen aus, wie wir sie aus nationalsozialistischen oder kommunistischen Diktaturen kennen?

Dort war es selbstverständlich, dass der Einzelne sich dem Wohl der Gesellschaft unterzuordnen hat. Die andere Gefahr ist aber der Egoismus, der sich gewinngetriebenen Wirtschaftskapitalismus auslebt und großen Einfluss auf die Politik hat. Gemeinsam ist beiden, dass dem Individuum seine Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt oder genommen werden. Umso erfreulicher ist es, dass sich immer mehr Fachverbände und Bürgerinitiativen zu Wort melden, um sich für einen freien Covid-19-Impfentscheid einzusetzen. 8

Warum es eine neue Erziehungskultur braucht

Wiederholt habe ich mich gefragt, warum Medienschaffende und Politiker im Kontext ihrer moralischen Vorwürfe gegenüber den „egoistischen Ungeimpften“ sich nicht daran erinnern, dass z.B. die sozial klingende Parole: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ in der nationalsozialistischen Diktatur der moralische Kompass war, so wie dies auch für andere totalitäre Regime gilt. D. h. wer sich staatskonform verhält – auch in Fragen der eigenen Gesundheit – ist sozial. Das bedeutet aber im Ernstfall, dass der einzelne nichts gilt, sondern nur das Wohl der Gemeinschaft. Kultur hingegen lebt von dem Spannungsfeld zwischen den Entwicklungsbedürfnissen der einzelnen Menschen und dem sozial Erforderlichen.

Eine funktionierende Demokratie hat dafür geeignete Instrumente, die nicht verhandelbar sein sollten. Rudolf Steiner formuliert diesen konstruktiven Antagonismus so: Heilsam ist nur, wenn im Spiegel der Menschenseele sich bildet die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft.9

Wie aber kann so etwas geübt werden?

Das gegenwärtige Bildungssystem steht im Zeichen der Anpassung an bestimmte Erfordernisse, Tests und Prüfungsverfahren. Es braucht dafür eine Erziehungskultur die jeden Menschen in seiner Entwicklungsbedürftigkeit ernst nimmt und unterstützt. Dass dem das öffentliche Schulwesen nicht gerecht wird, wird schon seit Jahrzehnten von Fachleuten beklagt, zuletzt von Menschen wie Joachim Bauer und Gerald Hüther. 10 Umso erfreulicher ist es, dass angesichts der vielfältigen Probleme, die durch die Schulschließungen, die forcierte Digitalisierung, den Masken- und Testzwang für viele Kinder und Jugendliche entstanden sind, auch sehr viele Menschen begonnen haben, anders über Entwicklung und die Bedeutung von Schule für die Heranwachsenden zu denken.

So hat die Coronakrise gerade auf dieser Ebene der persönlichen Betroffenheit schon viel Positives in Bewegung gebracht. Nicht Wenige fragen sich auch:

Was ist seit Beginn der Pandemie mit mir und meinem Umfeld geschehen?

Was habe ich bisher durch das Miterleben der Krise gelernt?

Worauf kann ich in Momenten der Gefahr wirklich zählen?

Was hat die Angst mit mir gemacht?

Woran konnte ich mich innerlich halten?

Denn wie auch immer man die Argumentationen von Politik, Leitmedien und repräsentativen Einzelstimmen bewerten und beurteilen mag – es kommt letztlich darauf an, wie ich mich als einzelner dazu stelle. Es ist eine Chance größten Ausmaßes für jeden von uns, sich diese innere Freiheit bewusst zu machen und Stellung zu beziehen. Auch wenn die Versuchung groß ist, Autonomieverzicht zu leisten und sich von Meinungsführern, von Gruppen, von sozialen Zusammenhängen, die moralischen Druck erzeugen, vereinnahmen zu lassen. Sozusagen zu kapitulieren angesichts der massiven neuen Konformität und dem Bedürfnis „dazuzugehören“ und sich nicht ausgegrenzt zu erleben. Wie oft habe ich gehört: „Ich bin doch kein Fachmann, ich kann das nicht beurteilen“. „Unsere Politiker tun doch ihr Bestes - ich möchte nicht in ihrer Haut stecken“. So richtig dies auch erscheint, so problematisch sind die Konsequenzen, weil man sich mit solchen Sätzen in eine selbst gewählte Unmündigkeit begibt. „Sapere aude“ lautete der Leitspruch der Aufklärung: „Wage es weise zu sein“.

Fazit: Viele spüren, dass es mehr denn je darauf ankommt, das „Selber-Denken“ zu wagen und Anschluss an spirituelle Kraftquellen in uns zu finden.

  1. Kindersprechstunde. Ein medizinisch-pädagogischer Ratgeber, Stuttgart 2018
  2. https://eliant.eu/fileadmin/user_upload/pdf/eliant_Aufruf_fuer_freien_Covid_19_Impfentscheid_02.pdf
  3. https://pace.coe.int/en/files/29004/html (s. Punkt 7.3.1 und 7.3.2)
  4. www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(21)00648-4/fulltext
  5. www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-coronavirus-montag-235.html#Drosten-Geimpfte-mit-substanziellem-Risiko
  6. www.bmj.com/content/375/bmj-2021-067873
  7. https://www.hartgroup.org/open-letter-to-the-mhra-regarding-child-death-data/?fbclid=IwAR21JmOYR-3SfymLu1DxQePTmNOT9iPF9wRtbvqzt9bveVqc8SptqQRa5Wc www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavirus-inhalt.html;jsessionid=B5DDF4217EAD1D9212E90CE0E013ADE9.intranet221?nn=169730&cms_pos=6 (09.12.2021)
  8. Vgl. dazu auch die Zusammenstellung auf der Webseite der Akanthos-Akademie: https://www.akanthos-akademie.de/übersicht-probleme-mit-der-impfpflicht/
  9. Rudolf Steiner, GA 40, Seite 298
  10. Joachim Bauer: Lob der Schule; Heyne Verlag Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit, Heyne Verlag Gerald Hüther: Würde, Knaus Verlag