Was das Herz mit dem Immunsystem zu tun hat

Wie beeinflusst das Herz unser Immunsystem?

Gemeinsame Vorläuferzellen

Normalerweise assoziiert man das Herz nicht mit dem Immunsystem. Das Immunsystem entwickelt sich jedoch von Anfang an als integrierter Bestandteil des Blutes: Die Bildung von Blut, Blutgefäßen und Herz als Zentralorgan des Blutgefäßsystems sind von der frühen Embryonalentwicklung an eine Einheit. Sie haben gemeinsame Vorläuferzellen, die sogenannten Hämangioblasten, die sich bereits vor der Gastrulation am Ende der zweiten und zu Beginn der dritten Entwicklungswoche herausbilden. Von diesen Stammzellen für die Blutbildung stammen nicht nur die Zellen ab, die die Blutgefäße bilden – einschließlich der beiden Herzschläuche, aus denen das spätere Herzorgan hervorgeht – sondern auch die Blutzellen selbst:

  • die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) für den Sauerstofftransport
  • und die sogenannten weißen immunkompetenten Zellen (Leukozyten) zum Schutz des Organismus vor schädigenden Einflüssen.

Interessanterweise beginnt die Blut- und Blutgefäßbildung nahezu zeitgleich in den sogenannten embryonalen Hüllen – dem Dottersack, der Allantois, dem Haftstiel und dem Chorion. Sobald sich zu Beginn der dritten Woche die ersten Blutgefäße auf dem Dottersack und der Allantois differenziert haben, beginnt auch die Blut- und Blutgefäßbildung im Embryo selbst. Allerorten entstehen kleine Blutinseln, aus denen sich bald Gefäßabschnitte und beweglich bleibende Blutzellen herausdifferenzieren und sich sukzessive zu größeren Gefäßabschnitten verbinden, in denen sich das Blut bewegt. Der erste Anstoß zur Bildung des Herz-Kreislaufsystems kommt also aus dem Bereich der embryonalen Hüllen, die sich der Embryo ausbildet, bevor er darin selbst zu wachsen beginnt.

Gleichzeitige Entwicklung von Zentrum und Umkreis

Das verweist auf einen entscheidenden Zusammenhang als Urgeste alles Lebendigen: Ohne ein adäquates Milieu, ohne einen Umkreis, aus dem man und für den man lebt, ist Leben nicht möglich. So ist es nicht verwunderlich, dass der Embryo zunächst sein Milieu ausbildet, bevor er darin selbst zu reifen beginnt. Dieses Zusammenspiel von Zentrum und Peripherie liegt der Bildung des Herz-Kreislaufsystems von Anfang an archetypisch zugrunde. Beides entwickelt sich gleichzeitig aufeinander zu, keines kann ohne das andere sein. Im Folgenden möchte ich die Entwicklung von Kreislauf und Immunsystem in ihrer Verschränkung etwas detaillierter aufzeigen:

  • 1. Monat

Schon der früh entwickelte Dottersackkreislauf unterstützt sogleich die Ernährungs- und Atmungsfunktion des Embryos aufgrund sensibler Wahrnehmungs- und Rückkoppelungs-Prozesse, die den jeweiligen Bedarf an Nährstoffen und Sauerstoff feststellen.

Um den 21. Tag herum bekommt dann auch die primitive Herzanlage unterhalb des Kopfes des Embryos Anschluss an die Blutgefäße, die sich im Embryo gebildet haben und beginnt zu schlagen. Neueste Forschungen haben diese umfassende Wahrnehmungsfunktion der Blutgefäßgewebe (Endothelien) für das sich in der Folge entwickelnde Herz-Kreislaufsystem gezeigt. Daher kann auch – wer sich den Bildeprozess von Herz und Kreislauf vor Augen führt – im Herzen keine Pumpe sehen, sondern versteht es vielmehr als ein koordinierendes und impulsierendes Zentrum einer ebenfalls aktiv pulsierenden und ihm zuarbeitenden Peripherie.

Schon bei einem 26 Tage alten Embryo und dem frühembryonalen Kreislauf führen die nährstoffreichen Blutgefäße vom Chorion (Vorläufer der späteren Placenta) durch den Haftstiel (der späteren Nabelschnur) in den Embryo und von dort in den venösen Gefäßen das sauerstoffärmere Blut mit den Abbauprodukten zurück zum Chorion.

Dabei liegt die erstaunliche Tatsache vor, dass alle später sehr spezialisierten Zellen des Blutes, der Blutgefäße mit ihrer glatten Muskulatur und dem Herzen selbst mit seiner spezialisierten Herzmuskelstruktur eine gemeinsame Vorläuferzellart haben: die kardiovaskuläre Vorläuferzelle Hämangioblast genannt. Alle blutbildenden und Blutgefäße bildenden Zellen stammen von dieser omnipotenten Mesodermzelle ab. Die mesodermalen Zellen bilden das sogenannte mittlere Keimblatt, das in der dritten Woche der Embryonalentwicklung zwischen dem äußeren Keimblatt (Elektoderm) und dem inneren Keimblatt (Entoderm) entsteht.

  • Ab 2. Monat

Ab dem 2. Monat steigt der Blutbedarf kontinuierlich an. Nach dem Chorion, als wichtigstem Ort der Blutbildung in den ersten Wochen, erfolgt jetzt die intensive Blutbildungstätigkeit zuerst in der Leber, die in der neunten Woche 10 % des gesamten Körpergewichtes des Embryos ausmacht. Später folgen dann die Milz und zuletzt das Knochenmark als Orte der Blutbildung, sowie die sich entwickelnden Lymphknoten, während die Leber ihre Blutbildungstätigkeit einstellt. All diese Organe sind fähig, Blutstammzellen zu bilden als Vorläufer der roten Blutkörperchen und die Fülle an differenzierten immun-kompetenten weißen Zellen. Das Lymphsystem hat in diesem Zusammenhang insofern eine Sonderstellung, als es sich erst ab der fünften Woche herauszubilden beginnt, ungefähr zwei Wochen später als das Blutgefäßsystem, da Vorläuferzellen auf diese Funktionen hinorientiert sind.

Das Herz-Kreislaufsystem ist das erste funktionierende Organsystem des Embryos – in dem bereits Ende der dritten Woche die Zirkulation des Blutes einsetzt und das Herz zu schlagen beginnt. Es begleitet als Organsystem die gesamte Embryonalentwicklung und entwickelt sich bis zuletzt in Resonanz mit diesem Geschehen weiter.

  • Ab der Geburt

Den Schlusspunkt erreicht dieser Prozess nach der Geburt, wenn der fetale Kreislauf beendet wird und der an die Lungen und die Außenluft angeschlossene definitive Kreislauf beginnt. Kein Organ während der embryonalen und fetalen Entwicklung kann sich bilden und weiter ausreifen, wenn nicht Blutgefäße dort einwandern, die Wachstumsprozesse stimulieren und die notwendigen Nährstoffe und den Abtransport von Abbauprodukten sicherstellen können.

Fazit:

Dabei erfüllen das Blut- und das Lymphsystem als „flüssige Organsysteme“ drei Aufgaben:

  1. Die roten Blutkörperchen agieren zusammen mit den die Blutgefäße auskleidenden Zellen, den Gefäß-Endotelien, als „mobile Sensoren“, die den Sauerstoffbedarf nicht nur in den Lungen, sondern im gesamten Organismus wahrnehmen und dadurch auch die Sauerstoffversorgung der Gewebe bedarfsgerecht regeln können.
  2. Die roten Blutkörperchen dienen dem Sauerstofftransport und der Kohlendioxidaufnahme, die Blutflüssigkeit dem Transport und der Verteilung der Nährstoffe
  3. Die sogenannten weißen Blutzellen (Lymphozyten/20 bis 50% und Leukozyten) stehen im Dienst der Abwehr gegen Viren, Bakterien und Schadstoffe. Sie dienen zusammen mit anderen Barrierefunktionen des Körpers wie zum Beispiel der Haut ganz generell dem Schutz vor schädlichen Einflüssen.

Vgl. M. Glöckler (Hrsg.), Th. Hardtmuth, Ch. Hueck, A. Neider (Hrsg.), H. Ramm, B. Ruf, „Corona und das Rätsel der Immunität. Ermutigende Gedanken, wissenschaftliche Einsichten und soziale Ideen zur Überwindung der Corona-Krise“, 2020 Akanthos Akademie e.V., Stuttgart

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