Das Geheimnis der körpereigenen Abwehr

Warum kann eine idealistische Lebenseinstellung sich so positiv auf die körpereigene Abwehr, also auf einen biologischen Vorgang, auswirken?

Und umgekehrt, woher kommt es, dass Menschen, die in einer Trauer- oder Stresssituation oder im Zustand der Unzufriedenheit dem Leben eher kritisch und skeptisch gegenüberstehen, eine Herabminderung der körpereigenen Abwehr erfahren?

Was das Immunsystem stärkt

Idealistische, engagiert-religiös gestimmte Menschen haben ein besseres Immunsystem, eine bessere körpereigene Abwehr, als verunsicherte, innerlich haltlose Menschen (vgl. Gesundheit: Gesundheit und Denken). Das ist zwar schon von jeher bekannt (auch in den Zeiten der großen Seuchen waren die Ängstlichen diejenigen, die leichter von der Krankheit dahingerafft wurden als die Mutigen). Inzwischen wurde dieses Phänomen jedoch auch in der psychosomatischen Medizin wissenschaftlich erforscht. Die Frage ist nur, inwiefern idealistisches Denken und körpereigene Abwehr konkret miteinander zusammenhängen.

Jeder Mensch erlebt, dass er, wenn er sich begeistert, rote Backen und warme Füße hat, weil dann das Blut besser zirkuliert. Man weiß auch, dass eine Mutter ihre grippekranke Familie pflegen kann, ohne sich selbst anzustecken.

Wie lässt sich das erklären?

Diese Frage wird weitgehend durch das Forschungsergebnis Rudolf Steiners beantwortet, das er folgendermaßen formuliert: „Es ist von der allergrößten Bedeutung zu wissen, dass die gewöhnlichen Denkkräfte des Menschen die verfeinerten Gestaltungs- und Wachstumskräfte sind.“1 Hier wird also gesagt, dass die gewöhnlichen Denkkräfte des Menschen den Lebens-, Wachstums- und Regenerationskräften des Organismus entsprechen (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Zur Identität von Wachstums-, Regenerations- und Gedankenkraft). Gedanken sind demnach nicht nur das in allen Erscheinungen Wirksame, sondern können auch – stoffbefreit - das Geistig-Wesenhafte im Menschen offenbaren. Der Mensch ist so gebaut, dass dasjenige, was naturgesetzlich und überhaupt gesetzlich in ihm wirkt, nicht nur in seinem körperlichen Funktionieren aufgeht, sondern dass er dieses in Form von Gedanken zur Verfügung hat, in dem Maße, wie das körperliche Wachstum zum Abschluss kommt. Dadurch kann er sich ein Leben lang geistig „wachstumsfähig“ d.h. lernfähig erhalten.

Wichtige Unterschiede zwischen Mensch und Tier

Bei den Tieren ist das anders, weil hier die Wachstumskraft nahezu ganz in der körperlichen Verwirklichung aufgeht, nachdem sie geschlechtsreif geworden sind. Deshalb besitzen sie später nur noch wenig oder gar keine Lernfähigkeit mehr (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Zwischen Tier und Mensch unterscheiden). Dafür kommt eine instinktgebunde Weisheitsfülle in ihrem Körper und in ihrem seelischen Verhalten in so vollkommener Weise zum Ausdruck, dass wir als Menschen nur bewundernd auf ihre immer vollendete Daseinsverwirklichung hinblicken können. Dies zeigt sich bis hin zu der letzten Schwanzfeder eines arktischen Vogels, der bei einer Temperatur von - 40° Celsius noch eine Körpertemperatur von + 40° aufrechterhalten kann und sein Leben sinnvoll eingebettet in den Naturzusammenhang verbringt. Er braucht nicht über seine Zukunftsentwicklung nachzudenken oder an seiner gegenwärtigen zu zweifeln. Bei den Tieren ist die Weisheit instinkt- und organgebunden und äußert sich in entsprechenden arteigenen Verhaltensweisen.

Der Mensch hingegen verfügt über Hände, denen man nicht ansehen kann, ob sie im nächsten Augenblick einen Dolch erheben oder aber den Nebenmenschen liebevoll streicheln wollen. Er hat einen weitgehend nicht geprägten, unspezialisierten Organismus. Nicht einmal im Erhalten seines körperlichen Gleichgewichtszustandes ist er stabil. Auch diesen muss er sich ständig durch eigene Aktivität erwerben und aufrechterhalten. Z.B. Wenn die Konzentration nachlässt und wir müde sind, stolpern wir leichter und haben mehr Mühe, im Gleichgewicht zu bleiben.

Gedanken und Gefühle aufgrund von Überschusskräften

Als Ausgleich für diesen Mangel an leibgebundener Weisheit steht uns jedoch ein Überschuss an Seelen- und Geistesleben in Form handhabbarer Gefühle, Willensimpulse und Gedanken zur Verfügung - das erlaubt ein freies Spiel an Möglichkeiten. Der Mensch verfügt „zur Hälfte“ über eine naturgegebene Weisheit, weswegen wir zum Glück die Arbeit unseres Magens und unseres Darms nicht bewusst beaufsichtigen müssen.

Auf der anderen Seite hat er jedoch ein etwa ebenso großes Potential an gedanklicher Betätigungsmöglichkeit zur freien Verfügung und bezahlt dies mit einem Körper, der weniger instinktsicher ist, dem angeborene, weisheitsvoll tätige Verhaltensmuster weitestgehend fehlen. Deswegen kann der Mensch aber auch seine Bewusstseinsentwicklung fortsetzen, nachdem die körperliche Entwicklung abgeschlossen ist. Er kann Idealen nachstreben, sich verwandeln, die Kultur verändern.

Er kann aber auch krank werden, wenn er lange genug Dinge gedacht hat, die nicht mit der Harmonie seines im Körper verankerten Gesetzesgefüges übereinstimmen, das heißt, die nicht menschengemäß sind (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Denktätigkeit und Lebenstätigkeit im Kontext von Krankheit und Gesundheit). Jede Lüge, jede Unwahrhaftigkeit widerspricht der weisheitsvollen Ordnung seines Organismus. Ein unklares Gedankenleben muss sich demnach auf die Dauer kränkend auf diesen auswirken. Ebenso kann man sich durch anhaltende Emotionen kränken (vgl. Krankheit: Geistig-seelische Erkrankungen). Zehrende Sorgen können „an die Nieren“ gehen, andere Probleme laden sich auf Leber oder Galle ab. Immer wieder ist man erstaunt darüber, wie groß der Einfluss des Gedanken- und Gefühlslebens auf die Regenerationskraft des Organismus ist.

Vgl. Kapitel „Zusammenhänge der menschlichen Denktätigkeit“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart

  1. R. Steiner, Ita Wegmann, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen. GA 27.