Wachstums- und Gedankenkraft

Was ist unter der Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte zu verstehen?

Wie wirkt sich die Art unseres Denkens auf die nächtliche Regeneration aus?

Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte

Rudolf Steiner und Ita Wegman beschreiben diese Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte in ihrem Buch „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen“ wie folgt (vgl. Wesensglieder: Die Metamorphose der Wesensglieder in leibfreies Denken, Fühlen Und Wollen):

„Diese im Ätherleibe wirksamen Kräfte betätigen sich im Beginne des menschlichen Erdenlebens – am deutlichsten während der Embryonalzeit – als Gestaltungs- und Wachstumskräfte. Im Verlaufe des Erdenlebens emanzipiert sich ein Teil dieser Kräfte von der Betätigung in Gestaltung und Wachstum und wird Denkkräfte, eben jene Kräfte, die für das gewöhnliche Bewusstsein die schattenhafte Gedankenwelt hervorbringen.

Es ist von der allergrößten Bedeutung zu wissen, dass die gewöhnlichen Denkkräfte des Menschen die verfeinerten Gestaltungs- und Wachstumskräfte sind. Im Gestalten und Wachsen des menschlichen Organismus offenbart sich ein Geistiges. Denn dieses Geistige erscheint dann im Lebensverlaufe als die geistige Denkkraft.

Und diese Denkkraft ist nur ein Teil der im Ätherischen webenden menschlichen Gestaltungs- und Wachstumskraft. Der andere Teil bleibt seiner im menschlichen Lebensbeginne innegehabten Aufgabe getreu. Nur weil der Mensch, wenn seine Gestaltung und sein Wachstum vorgerückt, das ist, bis zu einem gewissen Grade abgeschlossen sind, sich noch weiter entwickelt, kann das Ätherisch-Geistige, das im Organismus webt und lebt, im weiteren Leben als Denkkraft auftreten.

So offenbart sich der imaginativen geistigen Anschauung die bildsame (plastische) Kraft als ein Ätherisch-Geistiges von der einen Seite, das von der andern Seite als der Seeleninhalt des Denkens auftritt.“1

Das Ich an der Schwelle von unbewusst und bewusst

An der Schwelle vom unbewussten zum bewussten Gedankenleben steht das Ich mit seinen täglichen Lernprozessen und Überlegungen, durch die es sich seiner metamorphosierten Wachstums- und Bildekräfte, den Gedanken, bewusst wird, die zu allen Welterscheinungen in konkreter innerer Beziehung stehen (vgl. Die ersten drei Jahre: Gehen – Sprechen – Denken: Denken – Selbstbewusstsein – Geisterkenntnis ).

Gibt es doch keine Gesetzmäßigkeit, die nicht gedanklich erfassbar wäre und die nicht in irgendeiner Form am Werden und Aufbau – als Funktion oder Gestalt – des menschlichen Organismus beteiligt wäre (vgl. Christus heute: Jesus-Christus und der Tempel des Leibes).

Der ätherische Organismus erscheint bei Tage aufgespalten in ein bewusstes Gedanken- und ein unbewusstes Wachstumsleben, während der ganze Ätherleib bei Nacht wieder seiner regenerierenden, die Lebensprozesse des Organismus besorgenden Aufgabe hingegeben ist – allerdings jetzt unter dem Einfluss der Nachwirkungen der am Tage vollzogenen Gedankenprozesse (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Wirken des Ätherleibes bei Tag und bei Nacht):

  • War das Ich bei Tage begeistert und durchwärmend im Gedankenorganismus tätig, wird sich das aufbauend und lebensfördernd auf das nächtliche Regenerationsleben auswirken.

  • War das Denken bei Tage jedoch nüchtern, kühl und seelisch unbefriedigend oder rein an den äußeren Gegebenheiten des Lebens orientiert (vgl. Denken: Die vier Qualitäten von Denken und Leben), hat dieses an der physischen Daseinswelt haftende Denken seine Verwandtschaft zu den Impulsen des Lebendigen, Beseelten und Geistigen verloren.2

Letzteres wirkt sich nun Nacht für Nacht beeinträchtigend auf die Vitalität des Organismus aus und kann je nach Schicksal, Konstitution und Lebensumständen zu dieser oder jener Krankheitsentstehung führen (vgl. Krankheit: Geistig-seelische Erkrankungen). Bei Tage arbeitet der Ätherleib zweigeteilt in einen Bildekräfte- und einen Gedankenleib. In der Nacht hingegen ist er einheitlich als Bildekräfteorganismus tätig.

Wirkung von reinem und von sinnesgebundenem Denken

Rudolf Steiner schildert die unterschiedliche Wirkung von Gedanken auf den Leib: von reinen Gedanken (wie zum Beispiel in der Mathematik) zum einen und von an die Sinneswahrnehmung gebundenen Gedanken zum anderen (vgl. Gesundheit: Gesundheit und Denken).

Es wird „ein ganz anderer Einfluß auf die menschliche Natur ausgeübt ... von den sogenannten sinnlichkeitsfreien und von den sinnlichkeitserfüllten Vorstellungen. Denken Sie sich einmal den Unterschied zwischen einem Menschen, der die Mathematik haßt und einem, der sie liebt. (...) Es ist... für das innerste Wesen des Menschen von großem Nutzen, in Vorstellungen zu leben, die man nicht anschauen kann; und ebenso ist es nützlich, in religiösen Vorstellungen zu leben, denn auch diese beziehen sich auf Dinge, die man eben nicht mit den Händen greifen kann, die sich nicht auf Äußeres, Materielles beziehen, die mit einem Wort sinnlichkeitsfrei sind. Das sind Dinge, die einst, wenn man wieder mehr auf das Spirituelle sehen wird, einen großen Einfluß auf pädagogische Prinzipien haben werden. (...) Einen Menschen, den Sie von Kindheit auf daran gewöhnt haben, in sinnlichen Vorstellungen zu leben, werden Sie, weil sein Nervensystem unter krankhaften Bedingungen lebt, nicht so leicht heilen können wie denjenigen, der von seiner Jugend auf an sinnlichkeitsfreie Vorstellungen gewöhnt ist. Je mehr Sie den Menschen daran gewöhnen, abgesehen von den Dingen zu denken, desto leichter wird es sein, ihn zu heilen.“3

Vgl. 6. Kapitel „Medizin an der Schwelle“, Verlag am Goetheanum, Dornach 1993**

  1. Rudolf Steiner; Ita Wegmann, Grundlegendes zur Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27, 1991
  2. Vergl. auch Rudolf Steiner, Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen, GA 202, 1988.
  3. Rudolf Steiner, Welt, Erde und Mensch, GA 105, 1983.