Erziehungseinflüsse und ihre Folgen für die Biografie1

Vieles in Bezug auf den prägenden Einfluss von Milieu und Erziehung ist heute bekannt. Wie grundlegend diese Prägung ist und auch wie bewusst sie gehandhabt werden sollte, beschreibt Rudolf Steiner mit den folgenden Worten:

„Wir können das ganz kleine Kind nur dadurch erziehen, dass wir in seiner Umgebung jene Tätigkeiten und Vorgänge hervorrufen, die das Kind nachahmen soll, damit es stark an Geist, Seele und Leib werde. Denn das, was sich da nicht nur seinem Geist und seiner Seele, sondern auch seinem Leibe einpflanzt, wie sich innerlich die Organe verstärken, das bleibt als eine Konstitution das ganze Leben hindurch. Wie ich mich neben einem Kinde von vier Jahren benehme, daran hat das Kind bis in sein sechszigstes Jahr hinauf in seinem Leben zu tragen; so dass es mein Verhalten neben ihm im spätesten Lebensalter als sein Schicksal empfindet.“2

Darüber hinaus sei „das pädagogische Gesetz“ genannt, das genau beschreibt, wie das jeweils nächsthöhere Wesensglied sich erzieherisch oder schädigend auf das nächstniedere auswirkt (vgl. Wesensglieder: Wechselwirkungen der Wesensglieder aufeinander ):

  • Was im Ich erlebt wird, ruft im Astralleib Reaktionen hervor.
  • Wie der Astralleib reagiert und welche Gefühle erregt werden, beeinflusst des Lebenszustand und das Lebensgefühl des Ätherleibes.
  • Die Verfassung des Ätherleibes hingegen wirkt sich gesundend oder kränkend auf den physischen Leib aus.3

Dieses Gesetz gilt nicht nur im Zusammenhang mit der Selbsterziehung, damit man lernt, mit seinen Erlebnissen konstruktiv umzugehen. Es gilt auch in jeder zwischenmenschlichen Beziehung und insbesondere für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Denn diese sind noch nicht fähig, ihre Lebenserfahrungen aus ihrem Ich heraus konstruktiv zu verarbeiten und Verletzungen eine positive Wendung zu geben. Der Heranwachsende ist ungeschützt destruktiven Haltungen, Worten und Taten ausgesetzt. Sie beeinflussen ihn unmittelbar und rufen schädigende Reaktionen an Leib und Seele hervor, mit denen er sich ein Leben lang „herumschlagen“ muss, weil sie sich seiner in Entwicklung begriffenen Konstitution „einverleibt“ haben. Das kann auch die Ursache für destruktive und kriminelle Veranlagungen sein.

Umgekehrt können alle pädagogisch wertvollen Bemühungen um einen fairen, altersentsprechenden Umgang mit Kindern und Jugendlichen gesundende Prozesse einleiten, die diese lebenslang als stärkende Kraftquelle begleitet.

Fakt ist: Was im 8., 9. Lebensjahr im Kind veranlagt wird, hat seine Wirkungen im 45. bis 50. Lebensjahre des Erwachsenen.4

Auflistung positiver Eigenschaften und ihrer karmischen Ursachen

Im Einzelnen führt Rudolf Steiner viele Zusammenhänge aus, von denen nur einige hier wiedergegeben seien (vgl. Schicksal und Karma: Konsequenzen von Handlungen und Lebensgewohnheiten für den weiteren Verlauf des Schicksals):

Grundsätzlich gilt: Alle Erziehung wirkt sich bis ins Körperlichehinein aus. Das gilt auch für jeden geistigen Einfluss auf das Kind. Was die zarte Organisation des Kindes im Körperlichen aufnimmt, bleibt in seinen Wirkungen und Ergebnissen im ganzen Erdenleben bestehen, bis der Mensch stirbt.5 Denn das Kind lernt durch Nachahmung: Es erwirbt so die besondere Art sich zu bewegen, seine Sprache und entwickelt auf diese Weise sogar die Form seiner Gedanken.6 Es gibt sich so an die Umgebung hin, dass die Kraftlinien und Kraftstrahlen seines Willens genau das nachformen, was in der Umgebung vorgeht.7

Freiheitsfähigkeit wird durch möglichst intensives Nachahmen als Kind veranlagt. Denn nur was im Kindesalter in dieser Weise eingepflanzt wird, kann die Grundlage für soziale Freiheit geben.8 Denn Freiheit und Nachahmung schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig. Wie kommt das? Alles was das Kind nachahmt, tut es ja selbst! Und es tut es auf seine Weise. Jeder Lernprozess hat Bedingungen und unterliegt Notwendigkeiten. Freiheitsfähigkeit beruht darauf, dass der Mensch möglichst ungehindert und ganz aus eigenem Interesse, eigener Neugierde heraus und nach eigenem Ermessen nachahmen darf und dann später selber entscheiden kann, wann und wie er die auf dem Wege der Nachahmung erworbenen Fähigkeiten einsetzen will.

Bis ins späte Alter gesund und frisch erhalten, können sich Menschen, die im 1. Jahrsiebt aus freiem Antrieb sinnvolle Tätigkeiten nachahmen durften und nicht unter dem Zwang von Verhaltensmaßregeln standen. Sie werden immer wieder die innere Kraft haben, etwas Neues zu beginnen.9

Gesundes Sehenbildet sich aus, wenn man die richtigen Farben- und Lichtverhältnisse in des Kindes Umgebung bringt.10 Dies ist heute zunehmend wichtig, weil Kinder viel zu viel vor dem Bildschirm sitzen oder mit ihren Smartphones beschäftigt sind. Dadurch kommt es zu einer Reduktion realer, komplexer Sinneseindrücke und synästhetischer Interaktion mit den anderen Sinnestätigkeiten und deren zentralnervöser Verarbeitung.

Fantasie-Tätigkeit wirkt bildend auf die Formen des Gehirns. Das Kind ist plastisch tätig an seinem Leib. Die für die plastische Gestaltung des Gehirns zuständigen Kräfte strahlen hinunter in den Organismus, greifen direkt ein in das Substanzielle und bewirken Stoffprozesse.11 Diese Ansicht Steiners erinnert an die Auffassung des Psychiaters Thomas Fuchs, dass das Gehirn ein Beziehungsorgan ist, das sich durch Lebens- und Be-ziehungstätigkeit in jeder Form bildet, aber auch durch eigenständige fantasievolle Betätigung.12

Die physischen Formen der Organe bilden sich in der richtigen Art heraus, wenn in der Umgebung des Kindes Freude lebt, wenn es heitere Mienen der Erzieher und redliche Liebe erleben darf.13 Freude des Gegenübers hat eine identifizierende, bestätigende Wirkung, die sich auf das gesamte körperliche Bildegeschehen erstreckt und es beeinflusst.

Die physischen Anlagen für einen gesunden moralischen Sinnin Gehirn und Blutumlauf bilden sich, wenn das Kind Moralisches in seiner Umgebung sieht.14 Was die gegenwärtige Erforschung der Spiegelneurone.15 bestätigt, war für Steiner bereits evident: Der sinnliche Leib bildet sich an dem, was die Sinne erleben, wahrnehmen, „mitmachen“ müssen.

Indem ein Kind Dankbarkeit zu empfinden lernt für das, was es von der Umgebung empfängt, wird es später „moralischen Halt“ erleben.16 Mit der Dankbarkeit entwickelt sich eine zarte Blüte der Liebe, die tief im Innern des Kindes wurzelt. Diese Liebe, die sich im ersten kindlichen Lebensabschnitt an der Dankbarkeit entzündet, ist die Gottesliebe.17

Auflistung negativer Verhaltensweisen und ihrer karmischen Folgen

Verwirrendes, chaotisches oder nicht kohärentes Sprechen, Handeln und Denken in der Umgebung des Kindes sind die eigentlichen Urheber für den Zustand, der in der heutigen Zivilisation Nervosität genannt wird,18 der ja nichts anderes bezeichnet als inkohärentes, „fahriges“ Verhalten.

Verwirrendes, chaotisches oder nicht kohärentes Sprechen, Handeln und Denken in der Umgebung des Kindes sind die eigentlichen Urheber für den Zustand, der in der heutigen Zivilisation Nervosität genannt wird,18 der ja nichts anderes bezeichnet als inkohärentes, „fahriges“ Verhalten.

Ein Zornausbruch in der Nähe eines Kindes bis zu seinem 7. Lebensjahr schädigt den Ätherleib des Kindes, da es nachahmend ein Abbild des Zornausbruchss in seinem Innern macht, das dem Ätherleib eingeprägt wird. Davon geht dann in die Zirkulation und in den Gefäß-Stoffwechsel etwas über, was mit dem Zornausbruch verwandt ist. Der Mensch behält sein Leben hindurch, was aus einer solchen eingepflanzten Anlage kommt.19

Jede seelische Erregung beim Kindwirkt sich aus auf die Zirkulation, die Atmung, die Verdauung. Da Leib, Seele und Geist noch eine Einheit sind, setzt sich jeder von der Umgebung ausgeübte Reiz bis in das Leibliche des Kindes fort.20

Hindert man ein Kind im 1. Jahrsiebt, seinen inneren Bedürfnissen im Tun und Nachahmen zu folgen, so verarmt sein Seele leichter im Laufe des Lebens, und körperliche Gebrechen des Alters treten eher in den Vordergrund.21

Wird das Kind zu früh zu stark zum Denken angeregt, wird sein Organismus die Veranlagung zu einer frühen Sklerose bzw. einer frühen Arterienverkalkung entwickeln.22

Vgl. „Schicksalswirkungen im Lebenslauf auf Grundlage von Rudolf Steiners Karmaforschung“ Der Merkurstab 2015, Heft 6

  1. Siehe auch: Rittersbacher K., Wirkungen der Schule im Lebenslauf. Ein Quellenlesebuch der Pädagogik Rudolf Steiners. Basel: Zbinden Verlag; 1975.
  2. Steiner R., Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus. GA 218. Vortrag „Erziehungskunst durch Menschenerkenntnis“. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1992.
  3. Steiner R., Heilpädagogischer Kurs. 2. und 4. Vortrag. GA 317. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1995.
  4. Steiner R., Die Kunst des Erziehens aus dem Erfassen der Menschenwesenheit. GA 311. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1989, S. 14.
  5. Steiner R., Anthroposophische Menschenkunde und Pädagogik. GA 304a. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1979, S. 131.
  6. Steiner R., Erziehung zum Leben. GA 297 a. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1998, S. 53.
  7. Steiner R., Idee und Praxis der Waldorfschule. GA 297. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1998, S. 163.
  8. Steiner R., Die Erziehungsfrage als soziale Frage. GA 296. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1991, S. 18-19.
  9. Steiner R., Erziehung und Unterricht gegenüber der Weltlage der Gegenwart (1920). In: Die Krisis der Gegenwart und der Weg zu gesundem Denken. GA 335. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 2005.
  10. Steiner R., Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft. In: Lucifer – Gnosis. GA 34. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1987, S. 325.
  11. Steiner R., Die gesunde Entwickelung des Menschenwesens. GA 303. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1987, S. 157-158.
  12. Fuchs T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Stuttgart: Kohlhammer GmbH; 2007.
  13. Steiner R., Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft. In: Lucifer – Gnosis. GA 34. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1987, S. 327-328.
  14. Ebenda, S. 325.
  15. Spiegelneuronen sind Nervenzellen, die bei allem passiv Erlebten ein Aktivitätsmuster erzeugen, als hätten sie den Vorgang aktiv durchgemacht. Der Erforschung der Spiegelneuronen verdanken wir einen sehr differenzierten Blick auf die angeborene Nachahmungsfähigkeit von Kindern.
  16. Steiner R., Der pädagogische Wert der Menschenerkenntnis und der Kulturwert der Pädagogik. GA 310. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1989, S. 119.
  17. Steiner R., Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis. GA 306. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1989, S. 116-117.
  18. Steiner R., Gegenwärtiges Geistesleben und Erziehung. GA 307. Vortrag vom 10.08.1923. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1986.
  19. Steiner R., Die Kunst des Erziehens aus dem Erfassen der Menschenwesenheit. GA 311. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1989, S. 25.
  20. Steiner R., Die Methodik des Lehrens und die Lebensbedingungen des Erziehens. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1986, S. 15.
  21. Steiner R., Erziehung und Unterricht gegenüber der Weltlage der Gegenwart (1920). In: Die Krisis der Gegenwart und der Weg zu gesundem Denken. GA 335. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 2005.
  22. Steiner R., Gegenwärtiges Geistesleben und Erziehung. GA 307. Vortrag vom 12.08.1923. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1986.