Parameter seelischer Gesundheit

Was zeichnet ein gesundes Seelenleben aus?

Erkennungsmerkmale seelischer Gesundheit

Bei den Forschungen des Psychologen Abraham Maslow1 zur Frage – Was macht eine gesunde Seele aus? – stellte sich heraus, dass Menschen mit einer gesunden seelischen Gesamtverfassung sich in vielem vom Durchschnitt der Bevölkerung unterscheiden (vgl. Gesundheit: Gotteserfahrung als Ressource): Sie sind

  • sach- und nicht ich-bezogen,
  • tolerant
  • wahrhaftig,
  • sie können sich herzlich freuen,
  • können auch staunen
  • und Gefühle der Devotion aufbringen.
  • Auf die eine oder andere Art gehen sie alle einen spirituellen Weg
  • und haben unter Umständen auch die sogenannte Peak-Experience – eine spirituelle Höhepunkt-Erfahrung – erlebt.

Damit ist eine unmittelbare Geistbegegnung oder Geistberührung gemeint, die über das ganze Leben Licht und Wärme verbreitet und ein unerschütterliches Vertrauen in die geistige Welt und ihre Tragekraft zur Folge hat. Auch Nahtoderlebnisse gehören dazu. Maslow konnte dadurch zeigen, in wie hohem Maße sich die innere Arbeit an der eigenen Persönlichkeitsentwicklung positiv auf die gesundheitliche Gesamtverfassung auswirkt.

Sinn und Verantwortung als seelische Ressourcen

Viktor Frankl2 hingegen machte die Sinnfrage zum Grundmotiv jeder gesundheitsfördernden Psychotherapie und gab ihr in seiner Logotherapie3 einen ganz spezifischen Ausdruck (vgl. Trauma – Ursachen und Behandlung: Traumatherapie als moderner Weg zur wahren Identität).

Der Ethik-Philosoph Hans Jonas fordert in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“ ein,4 dass der moderne Mensch angesichts der zunehmenden Bedrohung durch die Zerstörung des Lebensraums auf der Erde infolge von Technik und Waffengewalt zu einer individuellen Verantwortung für das Wohl der Menschheit erwachen muss. Geschieht dies nicht, so sind soziale Kränkung und Zerstörungsprozesse unweigerlich die Folge.

Anthroposophische Menschenkunde zur Gesundheit

Mit Hilfe des Konzepts der Wesensglieder-Metamorphose aus der Anthroposophischen Medizin kann zudem verdeutlicht werden, wie und warum bzw. auf welchen psychosomatischen Wegen das Kohärenzgefühl oder die Peak-Experience sich auf die körperliche Gesundheit positiv auswirken können.

Wer meint, ein physisch-psychisches Wohlgefühl oder ein Gefühl des Vertrauens würde von Neurotransmittern aus der Gruppe der Endorphine und Oxytocine erzeugt, lässt die Tatsache außer Acht, dass Wohlfühlhormone und Oxytocine ja erst im Prozess der Peak-Experience und der aktiven Erinnerung daran gebildet werden. Bereits entstandene oder synthetisch hergestellte Hormone zu sich zu nehmen, kann ebenfalls vorübergehende angenehme Auswirkungen haben. Dadurch ändert sich der Charakter des Menschen jedoch nicht. Das gilt auch für jede Droge. Sobald die Wirkung des Medikaments oder der Droge abklingt, kehrt der alte, unbefriedigende Zustand nur umso schmerzlicher zurück.

Entsprechend muss auch unverständlich bleiben, dass sich ein depressiver Zustand schlagartig ändern kann, wenn ganz unerwartet ein sehr lieber Mensch auftaucht, dem man vertraut und den man nicht erwartet hat. Eine solch unerwartete Begegnung kann nachhaltiger wirken als ein Antidepressivum.

Ergebnis nicht mit Ursache verwechseln

Der Heidelberger Neurologe und Neuropsychiater Thomas Fuchs5 hat in seinem bahnbrechenden Werk „Das Gehirn als Beziehungsorgan“ eindrucksvoll dargelegt, wie sich das Gehirn am Leben für das Leben bildet. Bereits Goethe hatte erkannt, dass sich „das Auge am Licht für das Licht bildet“. Jedes Organ braucht die ihm gemäße Tätigkeit in und an der Umwelt – physiologisch gesprochen, den adäquaten Reiz, um sich gesund entwickeln zu können.

„Der Leib als Instrument der Seele in Gesundheit und Krankheit“ lautet der Titel eines vielgelesenen Büchleins von Walther Bühler (1913 - 1995).6 Das Gehirn und die Sinnesorgane sind mit ihren neuronalen Netzwerken und Transmittersubstanzen das Ergebnis der Qualität der menschlichen Beziehungen und Erlebnisweisen jedes Einzelnen – und nicht die Ursache dafür (vgl. Gedankenkraft: Sinnliches Gehirn und übersinnliche Gedanken).

Vgl. „Kindsein heute, Schicksalslandschaft aktiv gestalten“, Stuttgart – Berlin 2003

  1. Abraham Maslow, Motivation und Persönlichkeit, Hamburg 1981.
  2. Victor E. Frankl, Trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychiater erlebt das Konzentrationslager, 7. Aufl. München 1995.
  3. Viktor Frankl, Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie. Bern, Stuttgart, Wien 1982, S. 11.
  4. Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Suhrkamp 1979.
  5. Thomas Fuchs, Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, Kohlhammer, Stuttgart 2007.
  6. Vgl. Walter Bühler, Der Leib als Instrument der Seele, Stuttgart 1993.