Medienmündigkeit und Technik

Technik und die Multimedia-Kultur begeistern und beschäftigen die Erwachsenen und dementsprechend auch die Kinder. Ein entwicklungsfreundlicher Umgang mit dieser elektronischen Welt gelingt, wenn die Bedeutung der Technik für die Entwicklung des Menschen gesehen wird.

Beginnend mit der industriellen Revolution in England in der Mitte des 18. Jahrhunderts kam die Umstellung von der Handarbeit auf die maschinelle Produktion. Grundlage hierfür war die Entwicklung der Dampfmaschine, gefolgt von Generationen von Verbrennungsmotoren.

Mit der großtechnischen Nutzung der Elektrizität und der Elektrifizierung der Haushalte kam zu den kleiner und handlicher werdenden Maschinen noch die Fülle der Messinstrumente hinzu. Es ist kaum vorstellbar, in welch kurzem Zeitraum sich die Nutzung der Elektrizität global ausgebreitet hat, wenn man bedenkt, dass die Glühbirne, durch Heinrich Goebel 1854 erfunden und von Thomas Edison weiter optimiert, erst 1879 zum wirtschaftlichen Erfolg wurde. Die Erfindung des Kinematografen (Filmaufnahmeapparat) sowie des Kohlekörnermikrofons fällt in denselben Zeitraum.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte dann die dritte große technische Revolution ein. Maschinen wurden entwickelt, die Intelligenzarbeit übernehmen können: die Informations- und Computersysteme.

Damit sind menschlicher Wille und Arbeitskraft auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene entlastet. So hat diese dreifache technische Revolution große Schübe von Massenarbeitslosigkeit mit sich gebracht. Dadurch sind aber auch – neben Armut – geradezu epidemische Erscheinungen von Sinnlosigkeitserleben, Resignation und Depression aufgetreten. Millionen von Menschen erleben sich nicht mehr als sinnvoll tätig und in das gesellschaftliche Leben integriert.

Problematisch im Zusammenhang mit der technischen Entwicklung ist die fehlende Sinnbestimmung des eigenen Wollens, und das Überflüssig-werden vieler eigener Fähigkeiten. Denn Arbeit bedeutet immer auch Entwicklung von Fähigkeiten und ein damit verbundenes Sinnerlebnis.

Pädagogischer Umgang mit Technik

Daraus ergibt sich für den pädagogischen Umgang mit Technik in der Erziehung eine goldene Regel(vgl. Waldorfpädagogik: Entwicklungsphasen und Pädagogik im Schulalter): Eine Arbeit kennenlernen und soweit wie möglich machen, bevor sie an die Maschine abgegeben wird. So wie auch im Laufe der Geschichte die Übernahme menschlicher Arbeit durch Maschinen erst sukzessive erfolgt ist, so ist es auch für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen notwendig, dass sie die verschiedenen Bereiche menschlicher Arbeit und Befähigung selbst kennen und entwickeln lernen, ehe sie sich diese durch die entsprechenden Maschinen abnehmen lassen. Es lähmt das schöpferische Vermögen, wenn man von den Maschinen alles und von sich selbst nicht viel zu erwarten hat. Auch erzieht es zu Anspruchshaltung und Undankbarkeit, wenn man selbst keinen Maßstab gewonnen hat für dasjenige, was einem durch die maschinellen Leistungen an eigener Arbeit erspart wird.

Es ist wichtig, Kindern vorzuleben, dass es nicht selbstverständlich ist, dass jederzeit warmes Wasser aus der Leitung kommt und Licht sowie Energie in beliebiger Menge per Knopfdruck verfügbar sind. Wie gut für ein Kind, wenn es Urlaubserfahrungen auf einem abgelegenen Bauernhof machen darf: beim Camping bzw. Urlaub in zivilisationsferner Umgebung, wo die Wäsche noch von Hand gewaschen werden muss, Wasser über dem Feuer oder mit Hilfe eines Gaskochers erwärmt wird, so dass man den Segen technischer Errungenschaften wirklich schätzen lernt. Es ist sehr hilfreich, wenn Kinder singen, malen, gestalten, tanzen und Theater spielen lernen, bevor sie durch die Welt der Bilder, Farben und Töne infolge der optischen und akustischen Medien mit Eindrücken überschüttet werden und das eigene schöpferische Vermögen lahm gelegt zu werden droht.

In der Schule sollte der Taschenrechner bzw. Rechencomputer erst dann eingeführt werden, wenn die Fähigkeiten im Bereich der Grundrechenarten und insbesondere des Kopfrechnens bis zu einem gewissen Grad entwickelt sind. Der Computer sollte nicht benützt werden und zum ständigen Begleiter der Schüler geworden sein, bevor sie die Arbeiten kennen und schätzen gelernt hat, die er übernimmt, und bevor sie wissen, wie er überhaupt funktioniert.

Mit Energie und Technik muss so umgegangen werden, dass die Kinder lernen können, dass die Ressourcen nicht unbegrenzt sind und der Einsatz technischer Möglichkeiten nur da geschehen sollte, wo er tatsächlich gebraucht wird und sinnvoll ist.

Natur und Mensch nicht mit Maschinen verwechseln

Darüber hinaus ist es wichtig, dass Natur, Mensch und das soziale Umfeld nicht mit Maschinen verwechselt werden: Zur Technik gehören Perfektion und Optimierung. Defekte werden repariert, unbrauchbar gewordene oder alte Modelle verschrottet. Wird das so an der Technik geschulte Verhalten auf Mensch und Natur übertragen, treten Probleme auf. Diese werden noch dadurch verschärft, dass Kinder und Erwachsene sich im Umgang mit „ihrem Computer“ oder „ihrem Tamagochi“ über viele Stunden des Tages sehr persönlich beschäftigen. Was Menschen in der Begegnung miteinander oft vermissen – volle Aufmerksamkeit, Interesse für die Reaktionen, Fragen, Nöte und Sorgen des anderen –, wird mit einer bestürzenden Selbstverständlichkeit den Computern zugewendet. Je mehr seelischer Umgang dieser Art mit den Maschinen gepflegt wird, die so reagieren, wie man es erwartet, oder die, nachdem man einige Korrekturen vorgenommen hat, den Erwartungen entsprechen, desto stärker wird dadurch ein Verhalten eingeübt, welches anderen Menschen gegenüber und insbesondere der Natur gegenüber versagt. Denn diese reagieren nicht im vorgelegten Schema, sondern aus ihren eigenen Lebens- und Entwicklungsbedingungen heraus.

Menschliches Zusammenleben erfordert die Fähigkeit, auch Fehler und Fehlverhalten anzunehmen, selbst wenn diese nicht „rasch behebbar“ sind, sondern man mit ihnen erst einmal leben lernen muss. Offen zu sein für Lernprozesse, für Neues, Unerwartetes – das ist es, worauf es ankommt. Das seelisch so enge Zusammenleben mit den Möglichkeiten der Technik fördert unbewusst ein distanziertes Verhalten zur Umwelt, so dass es nicht verwunderlich ist, wenn der Umgang mit anderen Menschen auf der sogenannten Beziehungsebene immer schwieriger wird.

Vgl. Kapitel „Kind und Technik“, aus der „Kindersprechstunde“, M. Glöckler und W. Göbel, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2005**