Fünf Tore für Krankheit und Heilung

Über welche Tore erreichen Krankheit wie auch Heilung den Menschen?

Es gibt fünf Möglichkeiten bzw. Ebenen, die Krankheit verursachen können (vgl. Anthroposophische Medizin: Fünf Quellen für Kränkung und Heilung):

1. Physische Ebene

Zur physischen Ebene gehören ungesunde Einflüsse aus der Umwelt, falsche Ernährung sowie alles, was unseren physischen Körper angreift und ihm Schaden zufügt – wie z.B. Missbrauch und physische Gewalt.

Heilend wirken dagegen alle Einflüsse, die den physischen Leib stärken und ihm wohltun. Dazu gehört auch die physische Komponente aller Körpertherapien und Bäder.

2. Ätherische Ebene

Zur ätherischen Ebene gehört unser Umgang mit Zeit und Rhythmus (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des Ätherleibes). Wir werden krank durch einen falschen Umgang mit der Zeit, der sich in fehlenden Lebensrhythmen und verschiedensten ungesunden Gewohnheiten niederschlägt, die den Lebensprozessen zuwiderlaufen. Dazu gehört aber auch unser Gedankenleben, ob wir unserem Denken eine geistige Ausrichtung geben oder ob es in sinnlichen Vorstellungen befangen bleibt.

Heilend wirken eine rhythmische, die Lebensprozesse unterstützende Lebensweise sowie Gedanken, die sich an geistigen Inhalten ausrichten wie z.B. an den christlichen Idealen (vgl. Ideale: Die Ur-Ideale – Wahrheit, Liebe und Freiheit).

3. Astrale bzw. Beziehungsebene

Zur astralen Ebene gehören unsere Beziehungen sowie unser gesamtes Schicksalsumfeld. Wir können krank werden durch belastende menschliche Beziehungen, durch Unehrlichkeit, Verlogenheit, Missgunst, Misstrauen, Desinteresse, Respektlosigkeit zwischen Menschen (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des Astralleibes).

Wenn wir umgekehrt Wahrhaftigkeit, Interesse und Respekt vor unserer Autonomie erleben und anderen ebenso begegnen, fühlen wir uns seelisch gestärkt, was sich gesundend auf alle Wesensglieder auswirkt.

4. Identität – Ich-Ebene

Zur Ich-Ebene gehört, inwieweit wir uns unserer Identität, des seelisch-geistigen Wesens unseres Ich, bewusst sind (vgl. Identität und Ich: Identifikation und Schicksal). Gesundheit und Krankheit sind weitgehend davon abhängig.

Ein Mensch, der mit sich selbst uneins ist, der mit anderen Menschen, mit seinem Schicksal und seinem Beruf hadert, unterliegt einer permanenten Selbstkränkung, die dadurch zustande kommt, dass er nicht realisiert, dass er alles, was er ist, seiner Umgebung bzw. seiner Mitwelt, verdankt. Angelus Silesius formuliert dieses Rätsel kurz und prägnant mit folgenden Worten:

Ich weiß nicht, wer ich bin.
Ich weiß nicht, was ich weiß.
Ich bin ein seltsam Ding,
ein Pünktchen und ein Kreis.

Wer lernt, sich als Individuum zu begreifen und zu bejahen mit individuellen Entwicklungsherausforderungen, zugleich sich aber auch seiner sozialen Aufgabe bewusst ist als Umwelt für andere, wird in diesem Spannungsfeld keinen Widerspruch erleben, sondern eine Quelle der Heilung und Kraft (vgl. Identität und Ich: Die Ich-Natur des Menschen-ein zweischneidiges Schwert).

5. Weltbezug – allgemein menschliche Ebene

Das letzte Tor für Krankheit ist die allgemein-menschliche Ebene und hat mit unserem Verhältnis zur Mitwelt zu tun. Denn alles, was wir je gelernt haben, was wir unbewusst in der Weisheit unserer Wesensglieder als Gedanken über die Welt, als Beziehung zur Welt, als Identitätsbewusstsein und Willenskraft entwickelt haben, ist uns nur in der Begegnung mit anderen Menschen und mit der Welt bewusst geworden. Alles, was wir sind, haben unserer Mitwelt zu verdanken. Zu den Erfahrungen, von denen wir profitiert haben, gehören auch die unangenehmen, diejenigen, in denen wir gemobbt, geärgert, betrogen und angelogen wurden. Denn

  • durch all das erwacht einerseits das Bewusstsein, wie destruktiv solche Verhaltensweisen doch sind. Wir sollten uns deshalb eingestehen, dass wir eine solche Behandlung offensichtlich nötig hatten, um ihr destruktives Potential kennen zu lernen .

  • Andererseits können wir aber auch Mitleid entwickeln an den destruktiven Zeitverhältnissen und den Verhaltensweisen, die sie hervorbringen: Sie können uns daran erinnern, dass es unendlich viel Leid in der Welt gibt und dass es uns selbst vielleicht ein bisschen zu gut geht.

Alles Destruktive, das uns begegnet, hat einen Sinn, denn es macht uns wach für das Gute (vgl. Das Böse - Widersachermächte: Wirklichkeit und Notwendigkeit des Bösen). Natürlich tut es weh und schmerzt, aber es bringt Erkenntnis mit sich und stählt den Willen zum Guten. Alles Positive dagegen gibt uns Kraft und Hoffnung.

Erlebt man sich als Mensch unter Menschengeschwistern, die voneinander lernen, einander begleiten, sich gegenseitig Unterstützung sind, so gut es eben geht, fühlt man sich geborgen in einem Entwicklungszusammenhang, der ohne die anderen nicht denkbar wäre. Die daraus erwachsende Dankbarkeit und das Vertrauen, dass der Umkreis, die Lernerfahrungen bereithält, die man gerade braucht – auch die sogenannten negativen – wirken zutiefst gesundend. Dank der ganz individuellen Umgebung, die jeder von uns hat, wird unser allgemein von den Göttern geschenktes Leben zu etwas Individuellem: Erst durch die Annahme unseres persönlichen Schicksals werden wir ganz wir selbst, aber auch durch unseren individuellen physischen Leib und unsere ganz individuelle physische Umgebung. Je mehr man dieses Mysterium der menschlichen Identität begreift, umso gesünder wird man.

Vgl. Vortrag anlässlich des Jubiläums des 100. Geburtstags von Werner Junge, Okt. 2012