Krisen sind Aufgaben

Probleme und Konflikte haben auch eine positive Seite. Sie bringen uns in Bewegung, sie fordern Lernprozesse und Entwicklungen von uns, die wir ohne unsere Probleme nicht in Angriff nehmen würden. Es ist gut, sich im Zusammenhang mit diesem Thema einmal vor Augen zu führen, was man den Problemstellungen in der eigenen Biographie verdankt an Entwicklung, an Erfahrungen, ja an Persönlichkeitsreifung, an Sensibilität und Menschenverständnis. Denn die Probleme, die ich selber habe und zu verarbeiten versu-che, machen mich zugleich sensibel für entsprechende Probleme bei anderen Menschen. Die besten Lebensberater sind diejenigen, die selbst viel durchgemacht haben, und nicht diejenigen, die aus einem angelesenen Wissen heraus gute Ratschläge geben. Es ist buchstäblich notwendig, sich mit den individuellen, „gesunden“ – im Sinne von aktivierenden – Probleme auseinanderzusetzen, bei denen es immer möglich ist, einen Sinn zu finden und daran zu arbeiten.

Das große Leid der Menschheit bejahen

Es ist aber genauso wichtig, sich jenen Krisensituationen zu stellen, die über das Persönliche hinausgehen wie Katastrophen und Kriege, bei denen es einem schier unmöglich erscheint, das zu tun. Denn in der persönlichen überschaubaren Situation kann prinzipiell deutlich werden, worin der Sinn des Bösen und der Hemmnisse liegt: Wir erfahren dadurch neue, unerwartete Anregungen für unsere Entwicklung. Diese Einsicht kann helfen, sich auch dem unerträglich großen Bösen gegenüber zu sagen: Gemeinsam mit den anderen Menschen und Völkern müssen wir die drängenden Aufgaben der Konfliktbewältigung angehen (vgl. Konfliktfähigkeit: Führungsqualitäten und Konfliktfähigkeit).

Wird dadurch auch die Menschheitsentwicklung in einer Weise gefördert werden, wie es ohne dieses Leid und die damit verbundene Arbeit nicht möglich wäre?

Gerade in der christlichen Religion, die die Entwicklung zu Freiheit und Liebe prophezeit, wird uns der Passionsweg vor Augen geführt. Gott nimmt sich des großen Leides der Menschheit an, setzt sich selbst dem Bösen aus. Ja, er identifiziert sich damit und ist uns dadurch Vorbild. So wie er das Böse annehmen und bejahen kann, so können wir das auch zu tun beginnen, wenn wir ihm nachfolgen wollen.

Das kann eine große Hilfe sein angesichts von katastrophalen Ereignissen. Wir können uns vorstellen, wie wohl Christus darauf hinblickt, der alles miterlebt und uns Menschen nicht verlässt. Er hat sich nicht gegen das, was ihm geschah, aufgelehnt, sondern hat gesagt: „Sie wissen nicht, was sie tun.“1 Damit hat er den Weg für jede Problemlösung gewiesen: Wirklich zu wissen, was geschieht und dem Bösen dadurch die Macht zu nehmen.

Vgl. Vortrag „In sieben Schritten aus der Krise – der Weg vom Ideal zur Wirklichkeit“, Pforzheim, 16.10.2009

  1. Neues Testament, Lukas 23,34.