Lebenssinnpflege in der Kunsttherapie

Wie kann der Lebenssinn mithilfe von Kunsttherapie gepflegt werden?

Welche Aspekte sind dabei besonders zu beachten?

Aggressiver Ruf nach Harmonie

Der Lebenssinn lässt uns Harmonie und Wohlbehagen empfinden (vgl. Sinne(spflege): Grundlegendes zum Lebenssinn). Manchmal nennen wir Menschen harmoniesüchtig. Warum? Sehnsucht nach Harmonie zu haben ist etwas sehr Gesundes, man darf davon aber nicht abhängig werden. Denn harmoniesüchtige Menschen haben eine riesengroße Schattenseite: Sie reagieren sehr aggressiv, wenn es unharmonisch zugeht: „Jetzt streitet doch nicht immer!“ Man kann am Aggressivitäts-Level den Grad der Harmoniesucht erkennen. Das kann einem mehr oder weniger bewusst sein. Streitlust ist etwas ganz anderes. Hier reagiert man mit Aggressivität, weil man es nicht erträgt, dass die Beziehungen und sozialen Verhältnisse nicht so harmonisch sind, wie man es selber haben möchte. Auch das ist ein Ausdruck von Unfreiheit dem Lebenssinn gegenüber.

Unlust, Aggression und Langeweile sind wichtige diagnostische Merkmale für einen gestörten Lebenssinn und zugleich Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach Ganzheit, Schönheit und Harmonie – die „das Tal der Gegensätze und des Hässlichen“ erst noch durchqueren müssen. Das ist ein Prozess. Die Betroffenen müssen lernen Harmonie als etwas zu erleben und zu pflegen, was den anderen nicht zwingt, sondern beglückt; und sie müssen üben, mit der eigenen Aggressivität so umzugehen, dass sie zur Harmonie-Befähigung führt. Aggressivität, Langeweile, Öde – all diese missgestimmten Gefühle, die uns das Leben verderben, die uns ärgerlich und verbittert machen – können zu etwas Wunderbarem führen, wenn wir sie als Ruf nach Harmonie auffassen.

Diagnose als Wegweiser

Der Therapeut muss früher oder später in Zusammenarbeit mit dem Patienten oder Klienten oder Kind herausfinden, was der Betreffende sucht. Eine Diagnose stellt immer einen Blick auf Zusammenhänge dar, die man durchschaut aufgrund von Symptomen, die ein Bild der Störung ergeben. Als Nächstes stellt sich die Frage, wie daraus ein Weg zur Gesundung wird. Deswegen fragen Ärzte ihre Patienten auch oft – selbst wenn sie manchmal schon wissen bzw. ahnen, was bei dem Betroffenen vorliegt: „Warum kommen Sie zu mir? Was wünschen Sie sich von mir?“ Den Antworten kann man entnehmen, was der andere sucht. Und man kann ihn beim Wort nehmen: „Wenn sie das wollen, kann ich ihnen helfen!“ Jetzt kann man über den Weg dahin sprechen – der dem Patienten möglicherweise nicht gefallen wird, der aber zum Ziel führt. Auf diese Weise hat man ihn im Boot und muss versuchen mit Optimismus und Humor an den selbst gestellten Aufgaben „dran“ zu bleiben...

In diesem Sinne sollten wir versuchen den Betroffenen klarzumachen, dass sie ihre Aggression, ihre Langeweile, ihre wie auch immer geartete missliche Stimmung, als Anlass nehmen können etwas zu tun: aufzuwachen für das eigene Potential, anstatt sich mit Drogen „zuzudröhnen“ oder sich und anderen das Leben zu vermiesen.

Aggression in Kreativität verwandeln

In der Kunsttherapie können wir mit ihnen gemeinsam versuchen, bewusst mit den Aggressionen umzugehen, indem wir sie ermutigen ein Bild zu malen, etwas zu gestalten, das so vollkommen ist, so schön, so sehr ihrem Wunsch nach Harmonie entspricht, dass sie keine Lust mehr haben aggressiv zu reagieren (vgl. Sinne(spflege): Lebenssinn Schönheit und Stimmigkeit). Ein Werk zu schaffen, das befriedet. Denn Aggression kann als wunderbares Aktivitäts-Potential gesehen werden, das nach konstruktiver Gestaltung drängt, aber noch nicht weiß, wie man das macht.

Das lässt sich auch Kindern wunderbar vermitteln. Wenn man sagt: „Du bist ein ganz toller Kerl, du hast Superkräfte, weißt nur noch nicht so genau, wie man sie so einsetzt, dass alle sich darüber freuen können (vgl. Wille(nsschulung): Aggression und Wille). Im Moment freuen nur wir uns daran und andere ärgern sich noch darüber. Jetzt üben sie so einzusetzen, dass auch die anderen sehen, was in dir steckt und sich darüber freuen!“

Vgl. Vortrag „Der Lebenssinn in Diagnostik und Therapie“, gehalten am 9. Januar 2016 an der Kunsttherapietagung