Paradigmen der Kunsttherapie

Was macht den kunsttherapeutischen Prozess aus?

Was kann er bewirken und auf welche Weise?

Durch die Art, wie wir Aufgaben stellen, bringen wir einen geistig-seelischen Inhalt – wie z.B. Vorstellungen aus der Mythologie, ein Märchenbild oder etwas aus der eigenen Fantasie – mit dem Physischen des Patienten, aber auch der Fertigkeit, die die jeweilige Kunstrichtung erfordert, zusammen. Die Auseinandersetzung mit diesen Komponenten macht den therapeutischen Prozess aus. Jede Kunstrichtung ermöglicht das auf ihre Art.

Gesunde Instinkte über neue Fertigkeiten

Für eine methodische Diagnostik muss der Kunsttherapeuten wissen, dass ein Patient sich anfangs immer selbst darstellt (vgl. Kunsttherapie: Anthroposophischer Kunstimpuls und Kunsttherapie). Eignet sich der Patient nun unterschiedliche Techniken an, also etwas ganz Objektives, Bewusstes, etwas, das nicht aus seinem Instinkt kommt, etwas, dem der Instinkt nur dient, hat er darüber die Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen. So kann jede Maltechnik bzw. jede Kunstrichtung dem Patienten helfen, neue Fertigkeiten bzw. neue Organe zu erwerben und darüber wiederum neue Instinkte zu veranlagen.

Kinderzeichnungen werden in der Regel alle aus dem kindlichen Instinkt heraus gemalt. Die Nass-in-nass-Malerei in der Waldorfschule ist eine Kultur des Malens, die nicht rein aus dem Instinkt kommt: Ein Blatt nass zu machen, es ganz sorgfältig glatt zu streifen, das sind keine selbstverständlichen Handlungen, die müssen gelernt werden. Man kann nicht einfach ein Blatt nehmen und drauflos malen, man muss es nach einer besonderen Technik vorbereiten. Durch den Erwerb dieser Fertigkeit bzw. die Einhaltung dieser Regeln entwickeln sich neue Organe – bis dahin, dass man dieses Ritual liebgewinnt. Das sind neue Instinkte, die methodisch durch den Lernprozess veranlagt wurden.

Heilsame „egofreie“ Inhalte

Der geübte Künstler kann ganz genau unterscheiden, was er dem Instinkt, seiner ursprünglichen Begabung, verdankt und was der objektiv-instrumentellen Methode. Er kann jetzt noch einen Schritt weitergehen, indem er mithilfe der erworbenen Fertigkeiten und Instinkte versucht, etwas Objektives zu offenbaren und sich bemüht, Inhalte aus der Sinneswelt oder aus seiner geistigen Erfahrung abzubilden. Je weniger ein Künstler dabei sein Ego sich aussprechen lässt, sondern es in den Dienst eines Höheren, Objektiven, stellt, umso professioneller und heilsamer wirken seine Werke.

Die heilsamste Kunst ist der Dienst am Göttlichen, wenn das Ego ganz draußen bleibt und die Madonna erscheint. Darum geht es in einem wunderschönen Gespräch zwischen Bernhard v. Orly und Albrecht Dürer: Dürer sagte, Raphael habe in seinen Madonnen den Himmel auf die Erde gebracht. Woraufhin ihm Bernhard v. Orly entgegnete: „Und Sie, mein lieber Dürer, geben die Erde durch Ihren Blick dem Himmel zurück.“ Das ist ganz reine, professionelle christliche Kunst. Solche Bilder nur anzuschauen, veranlagt gesunde Instinkte – und wirkt somit therapeutisch.

Man kann über die Inhalte, die man wählt, den therapeutischen Prozess fördern oder die pathologische Veranlagung vertiefen – je nachdem, wie man damit umgeht. Viele Künstler befassen sich auf solch einseitige Weise mit ihrer Pathologie, dass es ihre Natur fast „zerreißt“. Hieronymus Bosch oder Salvador Dali, die auch ständig übersinnliche Erfahrungen hatten, stellten sie unter die Herrschaft des Ich, indem sie das Geschaute malten. Manche Künstler malen ihre Drogenerfahrungen und integrieren sie so durch das Gestalten des Erlebten.

Der kunsttherapeutische Prozess in drei Schritten

Fehlen die gesunden Instinkte, kann der Therapeut manchmal sogar einen Hass auf bestimmte Farben, Techniken und Themen beobachten. Es braucht viel Know-how, Einfühlungsvermögen und Erfahrung, wie man in Bezug auf bestimmte Probleme und Traumata am besten vorgeht. Patienten sind grundsätzlich da abzuholen, wo sie stehen. D.h., wenn sie anfangs nur mit Schwarz malen wollen, dürfen sie das tun. Man sollte sie aber durch die Art der Aufgabenstellung neugierig machen auf anderes. Sie können mit diesem Schwarz z.B. versuchen etwas Objektives abzubilden, bis sich das Selbst in seiner Einseitigkeit ein wenig daran „geläutert“ hat und die Lust nach einer anderen Farbe auftaucht. Da muss man ganz individuell vorgehen.

Das alles dient nur als Beispiel, darf nicht als Rezept genommen werden! Alles soll beispielhaft auf Prozesse und Schritte hinweisen, die jeder von uns kennt, die wir nur nicht genügend reflektieren: Immer, wenn wir malen, egal in welchem Alter und in welchem Ausbildungsgrad, tun wir drei Dinge:

  1. Wir erlernen neue Techniken und verwerfen andere oder wir probieren nur aus, und erwachen dabei langsam zu Bewusstsein.

  2. Als zweites wirkt immer ein „Etwas“ anregend auf unser Malvermögen: Man sieht etwas und hat Lust es zu malen oder man blendet die ganze Sinneswelt aus und möchte nur malen, was aus der Fantasie kommt. Das ist aber auch „etwas“ – man möchte immer „etwas“ gestalten.

  3. 3. Dieses „Etwas“ kann man auch denken, man kann es reflektieren – es ist ein potentiell außerkörperlich-geistiger Inhalt.

Die entscheidende Frage ist nun, ob es gelingt die ersten beiden Komponenten beim Patienten oder bei sich selbst im Sinne der Selbstheilung im Drüber-Nachdenken bewusst zusammenzuführen und damit therapeutisch wertvoll zu machen (vgl. Sinne(spflege): Ringen des Ich um Selbstlosigkeit).

Vgl. Ausführungen aus Seminargruppe 5 an der Kunsttherapietagung 2010 in Dornach