Wille und künstlerisches Schaffen

Welche spezifische Dynamik liegt dem menschlichen Willensleben zugrunde?

Welches Organsystem hängt direkt mit dem Willen zusammen?

Das Willensleben ist reine Kraftentfaltung, Intensität und Begierde. Hier haben wir es mit der Kraft der menschlichen Wesenheit zu tun, die sowohl Zerstörungstendenzen aufweist als auch die Grundlage von Kreativität und den Erwerb von Fähigkeiten bildet (vgl. Wille(nsschulung): Aggression und Wille). Anders als bei der Vielfalt an Gedanken und dem Reichtum an Gefühlsstimmungen haben wir es hier mit schlichter Konzentriertheit zu tun: mit der Tatbereitschaft schlechthin.

Fragt man nach dem Zusammenhang von Leibesleben und Willensleben, sieht man, dass vor allem das Verdauungssystem der Gesetzmäßigkeit des Willens unterworfen ist: Hier wird verbrannt und gearbeitet und der gesamte Körper mit der Kraft versorgt, die den aus den Nahrungsstoffen gewonnenen Substanzen innewohnen (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Zur funktionellen Dreigliederung des menschlichen Organismus).

Willensleben und Schwerkraft

Das Willensleben ist der Erde mit ihrer Schwerkraft innig verwandt, überwindet letztere aber beim Erwerb des aufrechten Ganges.

  • Es ist kein Zufall, dass die Organe des Bauchraumes und die Beine von der Erdenschwere beeinträchtigt werden können: Die Nieren können abwärts wandern, der Uterus kann sich senken, auch der Magen kann mehr oder weniger stark nach unten hängen.
  • Das Herz dagegen ist im Brustraum eingebettet zwischen rechtem und linkem Lungenlappen und wird durch die Atemtätigkeit rhythmisch immer wieder der Schwere enthoben. Außerdem herrscht im Brustraum der sogenannte Donders-Druck1.
  • Das Gehirn schwimmt im Gehirnwasser und ist dadurch in noch höherem Ausmaß dem Einfluss der Schwere entzogen. Das besondere Empfinden von Leichtigkeit im Zusammenhang mit dem Gedankenleben ist ein Ausdruck davon.

Bildekräfte und schöpferisches Potential

Menschen, die sich willensschwach fühlen und nicht in der Lage sind auszuführen, was sie sich vorgenommen haben, können durch systematisches Üben von Eurythmie und Sprache ihren Willen stärken. Das hat sich in der Psychotherapie bei Antriebs- und Willensstörungen schon vielfach bewährt. Dabei werden hohe Anforderungen an den Therapeuten gestellt, weil bei Willensschwäche und Antriebsarmut starke Widerstände seitens der Patienten zu überwinden sind.

Eurythmie und Sprache, aber auch Tanz- und Schauspielkunst geben dem Menschen die Möglichkeit, seinen Willen künstlerisch zu gestalten. An der Sprachbildung orientierte Bewegungen wie die Eurythmie sind reine Offenbarungen des Menschlichen und arbeiten mit dem vollen Umfang menschlicher Bewegungsfähigkeit: Wird bewusst damit gearbeitet, erfährt der Wille eine Erweiterung und Vertiefung seiner menschlichen Wesensäußerungen.

Wenn Goethe sagt: „Die Kunst ist eine Offenbarerin geheimer Naturgesetze“, so weist er damit auf die Zusammenhänge des menschlichen Leibes mit den künstlerischen Tätigkeiten und deren Beziehungen zum Seelenleben hin: Hätten diese schöpferischen Kräfte nicht zuvor unseren Leib gestaltet, trügen wir sie nicht als kreatives Potential in unserer Seele. (…)

Rudolf Steiner präzisiert das in seiner Darstellung des Zusammenhangs der menschlichen Wesensglieder (vgl. Wesensglieder: Die Metamorphose der Wesensglieder) mit den künstlerischen Bildeprozessen:

  • Die Gesetze der Architektur entsprechen denen des physischen Leibes;
  • die Gesetze der Plastik denen des Ätherleibs;
  • diejenigen der Malerei und Musik entsprechen dem Astralleib
  • und diejenigen der Sprache dem Ich.

Der menschliche Körper wird von den Gesetzen und Kräften dieser Wesensglieder aufgebaut (vgl. Wesensglieder: Grundlegendes zum Thema Wesensglieder). Sie bilden aber auch die Grundlage des individuellen Seelenlebens sowie den Quellort künstlerischen Schaffens.

Vgl. Kapitel „Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?“, „Elternsprechstunde“, Verlag Urachhaus, Stuttgart 1993**

  1. www.imedo.de/medizinlexikon/donders-druck