Befreiung durch Technik und ihre Folgen

Welche Auswirkungen hat die um sich greifende Technisierung auf unsere Fähigkeiten? 1

Wofür wird der Mensch, der die Arbeit von den Maschinen machen lässt, frei?

Technik und die Multimedia-Kultur begeistern und beschäftigen die Erwachsenen und dementsprechend auch die Kinder. Ein entwicklungsfreundlicher Umgang mit dieser elektronischen Welt gelingt erst, wenn die Bedeutung der Technik für die Entwicklung des Menschen gesehen wird. Unsere Zeit wird mittlerweile vollständig bestimmt von einem Technisierungsprozess, der sich in drei Stufen vollzog und enorme Folgen für jeden einzelnen hat, über die sich die meisten Menschen viel zu wenig im Klaren sind:

1. Abnahme der körperlichen Arbeit durch Maschinen

Beginnend mit der industriellen Revolution in England in der Mitte des 18. Jahrhunderts kam die Umstellung von der Handarbeit auf die maschinelle Produktion. Grundlage hierfür war die Entwicklung der Dampfmaschine, gefolgt von Generationen von Verbrennungsmotoren. Die Maschinen wurden dafür gepriesen, dass sie den Menschen die schwere körperliche Arbeit abnahmen – inzwischen einen Großteil der Hand- und Beinarbeit: Den heutigen Arbeitern („Werkern“) bleibt neben dem Steuern von Land-, Bau- sowie Transportmaschinen meist nur noch das Arbeiten am Fließband, das stressig und eintönig zugleich ist, bzw. das öde Drücken von Knöpfen, das aber Wachsamkeit und hohe Konzentration erfordert.

2. Abnahme des Selber-Abspürens durch Messtechnik

Mit der großtechnischen Nutzung der Elektrizität und der Elektrifizierung der Haushalte kamen kleiner und handlicher werdende Geräte hinzu. Es ist kaum vorstellbar, in welch kurzem Zeitraum sich die Nutzung der Elektrizität global ausgebreitet hat, wenn man bedenkt, dass die Glühbirne, durch Heinrich Goebel 1854 erfunden und von Thomas Edison weiter optimiert, erst 1879 zum wirtschaftlichen Erfolg geführt hat. Die Erfindung des Kinematografen (Filmaufnahmeapparat) sowie des Kohlekörnermikrofons fällt in denselben Zeitraum.

Zu dieser zweiten Maschinengeneration gehörte auch eine Fülle an Messinstrumenten, die den Menschen durch die Messtechnik das Fühlen, das sensible Abspüren und Beobachten mit den eigenen Sinnen, abnahmen. Man hatte jetzt ein Thermometer und musste nicht mehr den Arm ins Wasser halten, sondern nur das Thermometer eintunken. Die Folge ist, dass wir Menschen die Fähigkeit, unsere Umwelt selbst zu fühlen, das Abmessen, Abwägen, Abspüren, Wittern usw., nicht mehr erlernen.

3. Abnahme des Denkens durch Informationstechnologie

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte dann die dritte große technische Revolution ein. Maschinen wurden entwickelt, die Intelligenzarbeit übernehmen können: die Informations- und Computersysteme. Die Informationstechnologie ist die dritte Maschinengeneration, die uns Menschen viele Facetten der Verstandesarbeit abnimmt. Man kann fast alles vom Computer errechnen lassen bzw. abfragen oder bestellen, braucht dafür nirgendwo mehr hinzugehen, kein Buch mehr aufzuschlagen.

Die Medientechnologie nimmt uns aber auch das Hervorbringen von Gefühlen ab – wir konsumieren Gefühle nur noch, wählen per Knopfdruck, was wir in diesem oder jenem Moment fühlen wollen.

Arbeitslosigkeit und Sinnkrise als Folge

Damit sind menschlicher Wille und Arbeitskraft auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene nicht mehr gefordert – worauf sich logischerweise die Frage stellt, wozu der Mensch noch gebraucht wird. Diese Sinnkrise ist eine notwendige Folge der Technisierung: Der Wille des Menschen ist arbeitslos geworden (vgl. Wille(nsschulung): Motivation und Willenserziehung). Und nicht nur das: Diese dreifache technische Revolution hat große Schübe von Massenarbeitslosigkeit mit sich gebracht. Dadurch sind aber auch – neben Armut – geradezu epidemische Erscheinungen von Sinnlosigkeitserleben, Resignation und Depression aufgetreten. Millionen von Menschen erleben sich nicht mehr als sinnvoll tätig in das gesellschaftliche Leben integriert. Das Problem, das mit der technischen Entwicklung entstanden ist, ist die Konfrontation mit der Zweck- und Sinnbestimmung des eigenen Wollens, des Umgangs mit den eigenen Fähigkeiten. Denn Arbeit bedeutet immer auch Entwicklung von Fähigkeiten und ein damit verbundenes Sinnerlebnis.

Was ist also der Sinn des Lebens im digitalen Zeitalter?

Die Technik hat uns befreit. Wir unterliegen nicht mehr dem Zwang pausenlos aktiv zu sein, um überleben zu können; Maschinen verrichten den Großteil der körperlichen Arbeit. Kinder und Jugendliche wachsen zudem mit dem Wissen heran, dass sie nichts mehr auswendig lernen müssen, weil sie alles Benötigte aus dem Internet herunterladen können. Beides bringt im Grunde eine unglaubliche Freiheit – doch wofür? Damit der Mensch kreativ werden kann und sich nicht mehr mit würdelosen Routinearbeiten abgeben muss; dass er auf seine Art seinen Teil zum Weltgeschehen im Großen und im Kleinen beizusteuern kann und frei ist zu tun, was benötigt wird (vgl. Wille(nsschulung): Sieben Wege zur Effektivität).

Möglichkeiten nützen lernen

Doch all diese positiven Möglichkeiten stecken noch in den Kinderschuhen (vgl. Ethische Fragen: Hans Jonas ethisches Prinzip der Verantwortung). Würden wir sie wirklich begreifen und konstruktiv nützen, würde Arbeitslosigkeit zu einem Fremdwort bzw. würde sie total umgedeutet werden. Solange Menschen jedoch meinen, sie hätten ein Recht, in dem Beruf beschäftigt zu werden, den sie gelernt haben, werden sie dadurch arbeitslos und abhängig von dem, was auf einen zukommt. Man reagiert nur und hat obendrein den Anspruch, dass einem der passende Job angeboten, dass dies und das vom Arbeitsamt unternommen wird.

In dem Maße, in dem die Medien zunehmend auch in die Schule geholt werden, kann die Erziehung immer weniger ausgleichend wirken. Die Kinder werden dadurch noch unfähiger, unmündiger und weniger kreativ. Würden sie dazu angehalten werden, Maschinen und Medien gezielt nur dafür zu benützen, dass ihnen alle Routinearbeit abgenommen wird, wären sie frei für schöpferische Tätigkeiten im geistigen und sozialen Bereich (vgl. Mysterien und Initiation: Christliche Mysterien – Kultur der Verantwortung und Mitgestaltung). Denn die Technik sollte unserem Leben assistieren, es aber nicht so dominieren, wie es heute immer mehr der Fall ist. Wir sind Opfer einer technisierten Kultur, die noch keine adäquaten Erziehungsmodalitäten ausgebildet hat, wie man der technologischen Entwicklung mit zeitgemäßen Bildungs-, Arbeits- und Entwicklungsplänen begegnet.

Vgl. „Gesundheit durch Erziehung“, Kapitel 16, „Medienmündigkeit und Technik, Dornach 2006

  1. Michaela Glöckler, Wolfgang Göbel, Kindersprechstunde. Stuttgart 2005, S. 470.