Technische Entwicklung und brennende Gegenwartsfragen

Welche Stadien der technischen Entwicklung gibt es?

Was zeichnet sie aus?

Welche Risiken birgt der neue Schub der Digitalisierung?

Welche Chancen eröffnen sich damit?

Zum Verhältnis Mensch und Maschine

Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte der Technik in den letzten 200 Jahren, so erfand der Mensch mit der Dampfmaschine, dem Elektromotor, dem Zweitakt-, Otto- und Dieselmotor Kraftmaschinen, die seine körperliche Bewegung und Arbeit ersetzen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelingt es ihm, Maschinen zu bauen, die seine Sprache aufzeichnen (Grammofon) und auch zu anderen Menschen in der Ferne übertragen werden können (Telefon). 1895 werden die ersten bewegten Bilder vorgeführt. Dadurch kann man nicht nur statische Bilder reproduzieren, sondern auch Bewegungen aufzeichnen und wiedergeben.

Mitte des 20. Jahrhunderts gelingt es Ingenieuren Geräte zu bauen, die das algorithmische Denken des Menschen imitieren (Computer). Die Computertechnologie, in der sich das menschliche logische Denken „sedimentiert“, beginnt immer mehr Geräte zu durchdringen. Computer steuern mittlerweile fast jeden Apparat: von der Waschmaschine, der Heizung, dem Auto bis hin zu ganzen Häusern (smart houses), Produktionsstätten und Fabriken. Computer können aber auch sich selbst steuern, sich selbst aufgrund neuen Inputs verändern. Sie können sich anpassen, dadurch erscheinen sie als „lernfähig“.

Technische Imitation von Gehen, Sprechen und Denken

Die Durchdringung mit technischer Intelligenz gibt allen bisherigen Technologien eine neue Charakteristik:

  1. Wenn Kraftmaschinen von Computern gesteuert werden, spricht man von Robotern, die unabhängig vom Menschen sinnvolle Arbeit verrichten können. Sie sind in der Lage, das menschliche Gehen zu imitieren.

  2. Wenn Maschinen, die die menschliche Sprache aufzeichnen können, von Computern gesteuert werden, dann entstehen Geräte, die fähig sind, das menschliche Sprechen zu imitieren.

  3. Wenn Computer ihre Funktionsweise selbst verändern und an neue Gegebenheiten anpassen, dann erscheinen sie so, als ob sie selbstständig zu denken in der Lage wären.

Der Mensch baut sich sozusagen Maschinen „nach seinem Bilde“ und überlässt diesen Maschinensklaven einen Großteil seiner Arbeit. Dadurch stellt sich auch zunehmend die existenzielle Frage, was er mit der dadurch gewonnenen Freiheit („Arbeitslosigkeit“) anfangen will.

Aber nicht nur das: Auch die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz und ihrer Identität stellt sich neu. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Telefon eine Maschine, durch die Menschen miteinander sprechen konnten. Mit SIRI in Apples iPhone, Cortana in Microsoft Windows, dem Debater von IBM oder Alexa bei Amazon Echo tritt eine völlig neue Qualität innerhalb unserer Kultur auf: Menschen sprechen jetzt nicht mehr mit Menschen, sondern mit Maschinen.

Maschine als vermeintliches Gegenüber

Die Maschine ist nicht mehr nur ein Werkzeug wie die Axt, der Hammer oder die Säge, sie ist auch nicht mehr ein Gerät, mit dem wir unsere Arbeit erledigen, sie ist nicht nur Lebenswelt, sondern sie wird zu einem personalisierten Gegenüber, sie wird gewissermaßen zur „Mit-Maschine“, die das Potenzial hat, sich anstelle des „Mit-Menschen“ zu setzen und einen autonom agierenden Partner zu simulieren.

Das stellt nicht nur die Mitmenschlichkeit infrage, sondern birgt eine weitere Gefahr: Durch die zunehmend perfekte Imitation seiner selbst kommt der Mensch in die Versuchung, sich ebenfalls als Maschine zu sehen. Diese seit René Descartes immer wieder diskutierte Idee ist gegenwärtig bei vielen technischen Forschungsprojekten bestimmend. Das alltägliche Leben mit den von den Techniker*innen geschaffenen Geräten suggeriert dem Menschen, dass er tatsächlich bloß eine Maschine sei. Dabei wird seine seelische und geistige Dimension ausgeblendet.

Frank Schirrmacher bezeichnete die ersten mechanischen Androiden, die im 18. Jahrhundert die Menschen faszinierten, als Weltbildfabriken, denn sie zeigten, „wie ein Mensch funktionieren würde, wenn er eine Maschine wäre. Der Zugang ins Innere der Androiden war der Zugang ins Innere des Menschen, denn indem die Menschen ins Innere der Maschinen blickten, veränderte die Maschine das Innere ihrer Köpfe. Der Flötenspieler und der Trommler und die Tänzerin und sogar die Ente waren Weltbildfabriken.“1

Solche Weltbilder werden auch hervorgebracht, wenn man Kindern kleine Spielzeugroboter zum Spielen gibt oder gar Roboter einsetzt, um ihnen eine zweite Fremdsprache beizubringen, wie es derzeit in einigen Forschungsprojekten versucht wird. Hier wird dem Kind unterschwellig eine Anthropologie vermittelt: „Du bist eine Maschine. Werde, was Du bist!“2

Menschliche Pädagogik erfordert Weltbild-Bewusstsein

Für die Pädagogik im 21. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Roboter, heißt dies: Erzieher*innen und Pädagog*innen müssen sich bewusstwerden, aus welchem Menschenbild heraus sie arbeiten.

Ist der Mensch bloß eine Maschine oder ist er ein geistiges Wesen, das sich seinen Leib zum „Werkzeug des Lebens“ gestaltet?

Der letzte von Rudolf Steiner geschriebene Aufsatz ist dieser Thematik gewidmet:

„Das weitaus meiste dessen, was heute durch die Technik in der Kultur wirkt und in das er mit seinem Leben in höchstem Grade versponnen ist, das ist nicht Natur, sondern Unter-Natur. Es ist eine Welt, die sich nach unten hin von der Natur emanzipiert.“ 3

Wir haben für die enorm starken Kräfte des Elektromagnetismus und der Atomkraft keine Sinnesorgane. Steiner nennt daher diese nur gedanklich und experimentell zugängliche Welt „untersinnliche Kräfte“ und stellt ihnen in dem genannten Aufsatz die ebenfalls nur an ihren Wirkungen erkennbaren, nicht jedoch sinnlich sichtbaren „übersinnlichen Kräfte“ gegenüber.

Die Natur steht als sinnlich erfahrbare Umwelt dazwischen – von diesen beiden unsichtbaren Kräftearten durchdrungen. Dadurch ist der Mensch frei, wie er sich in diesem Kräftespiel positionieren will. Um ihm diese Freiheit zu erhalten, braucht es aber eine Erziehung, die zur freien Handhabung dieser Kräfte befähigt. (vgl. Waldorfpädagogik: Waldorfpädagogik als Erziehung zur Freiheit)

Jeder Mensch kann heute wissen, dass die Welt von Big Data nicht nur Instrumente für Kommunikation, Unterhaltung, wissenschaftliche Untersuchungen und Lernvorgänge bereitstellt. Vielmehr handelt es sich dabei – wie eingangs schon erwähnt – auch um gigantische politische Kontrollsysteme und wirtschaftliche Marktanteile, denen gegenüber sich der Einzelne ohnmächtig vorkommen kann. Der schon genannte Pionier der Computer- und Roboter-Technologie Joseph Weizenbaum formulierte demgegenüber in seinem auch heute noch lesenswerten Buch Kurs auf den Eisberg4: „Die sogenannte Ohnmacht des Einzelnen ist vielleicht die gefährlichste Illusion, die ein Mensch überhaupt haben kann. Wer sich seiner Freiheit und Würde bewusst ist, wird dieser Illusion nicht verfallen.“

Wie die Chance der neuen Freiheit nutzen?

Die technische Welt erspart dem Menschen viele eigene Tätigkeiten. Die Geräte tun es für ihn. Das ist Chance und Gefahr zugleich. Die Bequemlichkeit kann ihn dazu verführen, dass er den Maschinen sein Leben überlässt: Die Unterhaltungsindustrie gestaltet seine freie Zeit, während seine kreativen Fähigkeiten verkümmern. Wer jedoch Initiative und eigene Ideen hat, die er verwirklichen will, kann die durch Maschinen gegebenen äußeren Freiheiten nutzen und sich selbst weiterentwickeln, indem er seine Vorhaben mithilfe der Technologien besser realisieren kann. (vgl. Medienpädagogik: Befreiung durch Technik und ihre Folgen)

Für die Pädagogik in einer von digitalisierter Technik geprägten Welt bedeutet dies, dass Kinder in erster Linie befähigt werden müssen, mit dieser Freiheit zu oder für etwas aktiv umgehen zu lernen, dass sie lernen müssen zu sagen, was sie mit ihrem Leben machen wollen:

Genieße ich meine »Freiheit von der Sklavenarbeit« und lebe nach Lust und Laune?

Mache ich mich abhängig und lasse ich mich bestimmen?

Ergreife ich selbst die Verantwortung für meine Entwicklung – und wenn ja, wofür will ich mich im Leben einsetzen?

Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3

  1. Frank Schirrmacher: Ego. Das Spiel des Lebens. Karl Blessing Verlag, München 2013, S. 119.
  2. Werner Sesink: „Du bist eine Maschine. Werde, was Du bist!“ Die Pädagogik virtueller Maschinen. In: Bildung nach dem Zeitalter der Großen Industrie. Jahrbuch für Pädagogik 1998. Redaktion Josef Rützel und Werner Sesink. Peter Lang, Frankfurt a. M. 1998. S. 195–204.
  3. Rudolf Steiner: Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie. Das Michael-Mysterium. GA 26. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1976, S. 256.
  4. Joseph Weizenbaum: Kurs auf den Eisberg. Die Verantwortung des Einzelnen und die Diktatur der Technik, Zürich 1984.