Frau- und Muttersein im 20. Jahrhundert

Welche Wurzeln hat das Selbstverständnis der heutigen Frauen und Mütter?

Frau- und Muttersein im 20. Jahrhundert

Das Thema „Selbstverständnis” hat einen zeitgeschichtlichen Hintergrund. Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Emanzipation. Man stelle sich vor, dass in Deutschland erst im Jahr 1908 an der Berliner Universität die erste Frau zum Staatsexamen zugelassen wurde. In diesem so hoch zivilisierten Deutschland war die akademische Bildung der Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ein Tabu und es gab wissenschaftliche Abhandlungen darüber, ob Frauen überhaupt zu höherer Bildung fähig seien und welche Auswirkungen ihre Anwesenheit in den Hörsälen auf die Arbeitsmoral der Studenten habe. Zieht man diese Verhältnisse in Betracht, kann man Ita Wegman bewundern, die sich 1905 zum Medizinstudium entschloss und in Zürich immatrikulierte – was eine Voraussetzung dafür war, dass sie zusammen mit Rudolf Steiner am Goetheanum die anthroposophische Medizin begründen konnte (vgl. Anthroposophische Medizin: Ita Wegmann und die Entwicklung der Anthroposophischen Medizin).

Dieser Aufbruch der Frau setzte sich dann nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt fort, gefördert auch durch die Erfahrungen des Krieges. Da wurde evident, dass Frauen zwar nach wie vor gewisse physische, seelische und geistige Unterschiede zu Männern aufweisen (vgl. Partnerschaft und Ehe: Mann und Frau – Unterschiede im körperlichen Bereich), dass sich diese Unterschiede aber nicht auf Intelligenz, soziale Kompetenz und das Spektrum der meisten Berufe erstrecken.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dann gar kein Halten mehr. Und nicht zuletzt trug auch die Pille ihren Teil zur Selbstbestimmung der Frau bei, wobei ich nicht sagen möchte, dass es nicht auch selbstbestimmtere Formen der Empfängnisregelung gibt.

Heutige Überforderung

Die Emanzipation hat den Frauen zwar erstmals in der Menschheitsgeschichte die Möglichkeit gebracht, ihr Leben selbst zu planen und zu gestalten; dennoch ist auch heute für Frauen immer noch schwierig, ein wirklich selbstbestimmtes Leben zu führen. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe dafür, dass gegenwärtig der Alkoholismus bei Frauen so stark ansteigt. Waren früher unter den Alkoholikern höchstens 5 bis 10 Prozent Frauen, so sind es nach den neuesten Statistiken gegenwärtig bis zu 30 Prozent. Diese dramatische Zunahme hat viele Gründe. Einer ist aber sicher in der Komplexität des Überfordert-Seins zu suchen, die mit der multifunktionalen Rolle der Frau zusammenhängt: als Mutter, die sich vielen Erwartungen gegenüber behaupten muss, als Ehefrau, als Partnerin und nicht zuletzt als „sie selbst“.

Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes“, 2. Vortrag, Kongressband Nr. 2, gelbes Heft