Schicksalsfragen zur Sexualität

Inwiefern ist die geschlechtliche Orientierung eine Schicksalsfrage?

Welche Gesichtspunkte gibt es dazu?

Karmische Hintergründe für sexuelle Orientierung

In Bezug auf die sexuelle Orientierung kann es durchaus sein, dass jemand in der letzten Verkörperung mit dem eigenen Geschlecht ein Problem hatte. Wer beispielsweise als Frau viele Demütigungen oder Zwangsprostitution erlebt hat, könnte eine tiefe Antipathie gegenüber dem Frausein entwickelt haben, die sich möglicherweise bemerkbar macht, wenn man in einem folgenden Leben als Mann wiedergeboren wird. Das kann ein Grund dafür sein, dass man die homosexuelle Lebensform wählt. Entsprechendes gilt für die lesbische Liebe, wenn durch bestimmte Vorkommnisse ein großer Hass gegenüber dem Mann entstanden ist. Das kann auch Ursache von Promiskuität, dem häufigen Partnerwechsel sein.

Wir sehen also: Ein Grund für die genannten Abneigungen und Vorlieben kann sein, dass das Erleben von Intimität primär auf der körperlichen Ebene gesucht wird, wo es niemals auf zufriedenstellende Weise gefunden werden kann. Andererseits liegen oft auch bedingende Faktoren aus dem Schicksalszusammenhang vor.

Seit langem sucht man seitens der Schulmedizin hormonelle oder genetische Ursachen zu finden, die Abweichungen von der regulären Heterosexualität und der monogamen Tradition erklären könnten. Wenn man sich jedoch klarmacht, dass die Hormonbildung nicht Ursache, sondern Folge konkreter Gesetzmäßigkeiten ist, die im Körper wirken, kann man sich mit dieser Perspektive zur Ursachenfindung nicht zufriedengeben. Sie erklärt z.B. nicht die Tatsache, dass eineiige Zwillinge in ihrer erotischen und sexuellen Orientierung durchaus individuell sind.

Entscheidend für die Qualität einer Beziehung ist doch, wie tief man befreundet und verbunden ist – unter Umständen schon durch mehrere Erdenleben hindurch. Wenn man sich einmal sehr geliebt hat und sich in einem folgenden Leben wieder begegnet, mag diese Liebe sogar stärker sein als die Konstitution, so dass auch dies ein Grund für eine homosexuelle Beziehung sein kann oder aber dafür, dass ein Transgender-Lars wieder zur Lara wird, wenn er sich in einen Mann verliebt und ein Kinderwunsch entsteht. Denn letztlich ist es die menschliche Beziehung, auf die es ankommt und in die die sexuellen Neigungen miteinbezogen werden. Spielt die Sexualität für die Partner in einer Beziehung überhaupt keine Rolle, so ist die Beziehung nicht vollumfänglich als „menschlich“ anzusehen.

Individuelle Schicksalsfragen

Im Schicksalskontext wird auch öfter gefragt, welchen Sinn es haben könnte, als Homosexueller oder als Transsexueller aufzuwachsen und seine Biografie sozusagen im Anderssein zu leben. Da es sich hier um eine individuelle Schicksalsfrage handelt, die auch nur individuell beantwortet werden kann, gibt es hier nur wenig, was allgemeingültig dazu gesagt werden kann.

Im Umgang mit Einzelschicksalen ist mir eines immer wieder deutlich geworden: das „Anderssein“ bewirkt eine Verstärkung des Selbstbewusstseins und des eigenen Identitätserlebens. Anders zu sein als die Mehrheit – in diesem Fall in geschlechtlicher oder geschlechtsidentitärer Hinsicht – bedeutet immer, mit mehr Ablehnung und Ausgrenzung konfrontiert zu werden. Wenn man damit umgehen lernt, resultiert daraus große innere Stärke. Nicht angepasst an die Gesellschaft zu sein, um Anerkennung der eigenen Lebensform ringen zu müssen, ruft Kräfte auf, die sonst nicht aktiviert worden wären. Das Bewusstsein von der eigenen Persönlichkeit, die Selbstbejahung erfährt eine Stärkung. Wie leicht ist es doch, „normal“ und angepasst im großen Strom der Zeit mitzuschwimmen, während man als Angehöriger einer Minderheit immer auffällt, anstößt, sich rechtfertigen und bekennen muss und in der Regel mehr leisten muss als andere, um akzeptiert zu werden. Auch gehören viel Mut und wirkliche Liebe dazu, eine Liebesbeziehung zu leben und durchzutragen, der die gesellschaftliche Anerkennung versagt wird. Denn was letztlich immer den Ausschlag gibt, ist die reale Beziehung zum anderen Menschen. Ist diese gesund, können sich die Beteiligten auch gesund entwickeln.

Die zu starke Fokussierung auf den körperlichen Aspekt lenkt davon ab, dass es ja um Individualitäten geht, deren Identität sich nicht in der geschlechtlichen oder Transgender-Identität erschöpft, sondern in ihrer rein menschlichen Ich-Erfahrung gipfelt.

Vgl. Michaela Glöckler, Kita, Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung. Erfahrungen und Perspektiven aus der Waldorfpädagogik für die Erziehung im 21. Jahrhundert, Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen, Stuttgart 2020