Zum Umgang mit Pornografie

Wie wirkt sich die zunehmende Verfügbarkeit von pornografischen Inhalten auf Kinder und Jugendliche aus?

Pornografie, die früher in Buchhandlungen unter dem Ladentisch gehandelt wurde und ansonsten nur durch einschlägige Magazine Verbreitung fand, ist inzwischen durch das Internet so allgegenwärtig, dass sie vor allem für viele männliche Jugendliche Teil ihrer Lebensnormalität geworden ist. Bereits 2009 bestätigte die repräsentative Dr. Sommer Studie 2009 – Liebe! Körper! Sexualität! diesen neuen Trend, Tendenz steigend bis heute. Damals waren es schon 35 % der 11- bis 12-Jährigen, die bereits pornografische Darstellungen gesehen hatten; bei den 13- bis 17-Jährigen waren es 74 Prozent. 35 % der Jungen gaben zu, dass sie gelegentlich pornografische Bilder konsumieren, 8 % regelmäßig. Bei den Mädchen antwortete nur 1 % der Befragten, dass sie regelmäßig pornografische Inhalte betrachten. Entsprechendes galt auch für das Anschauen von Erotik- oder Pornofilmen. Während Jungen bis zum Alter von 18 oder 19 Jahren viel Erfahrung mit virtuellen Pornowelten haben, fühlen sich Mädchen in der Regel von pornografischen Darstellungen abgestoßen. Sie empfinden Ekel, Angst und Scham.1

Fatale Folgen

Eine Reihe von Studien zeigt bei Jugendlichen nachteilige Auswirkungen des häufigen Pornokonsums. Als Hauptproblem stellte sich heraus, dass pornografische Inhalte für realistisch gehalten werden, was dazu führt, dass die Attraktivität der Partnerin und die eigene sexuelle Beziehung abgewertet werden. Die Unzufriedenheit mit der eigenen Sexualität steigt. Das führt letztlich dazu, dass die Betroffenen eine eher ablehnende Haltung gegenüber Familiengründung und Kinderwunsch entwickeln. Bei Internetsex in pornografischen Chats der sozialen Netzwerke geht es nicht um die Pflege echter menschlicher Beziehungen. Das virtuelle Gegenüber wird vielmehr zum bloßen Objekt der eigenen Triebbefriedigung degradiert. Kinder und Jugendliche werden so nicht nur verführt, andere als Objekt anzusehen, sondern auch sich selbst als Objekt zu präsentieren. „Sexting“, die Präsentation erotischer Selfies, wird auch bei Mädchen immer beliebter – mit zum Teil fatalen Folgen für die Betreffenden.

„Chatroulette“ war der erste Chatraum, in dem man die unterschiedlichsten virtuellen Partner vorgestellt bekam. Inzwischen gibt es eine große Vielfalt an Möglichkeiten, sich ungehindert in einer erotischen, von pornografischen Bildern bestimmten Fantasiewelt zu bewegen.

Bildung und Kunst als pädagogisches Gegengewicht

Die Waldorfpädagogik versucht, den suggestiven Gefühlen von „Machtkitzel und Erotik“ insbesondere durch künstlerische Betätigung ein vielfältiges Bildungsangebot wie auch durch Gespräche zum Thema gegenzusteuern. Diese Angebote sind ein wichtiger Schwerpunkt der „Erziehung im Reifealter“, der Steiner mehrere Vorträge gewidmet hat.2

Der Einfluss der Pornografie auf das sich entwickelnde Gefühlsleben ist nicht nur ein brutaler Angriff auf die Integrität des seelischen Innenraums der Kinder und Jugendlichen, sondern verhindert auch die Entwicklung von Empathie und sozialer Kompetenz. Die Hinwendung zum anderen sollte immer dem Menschen an sich gelten, nicht seiner geschlechtlichen Identität. Wer einen anderen Menschen über seine Hautfarbe, seinen Reichtum, seine Familien- oder Berufszugehörigkeit oder aber über seine sexuelle Anziehung definiert, begegnet ihm nicht wirklich in seinem tiefsten Wesen, sondern bezieht sich nur auf einen Teilaspekt seiner Identität. Schlimmer noch: Der andere wird in gewisser Weise entindividualisiert und in bestimmte Kategorien eingeordnet.

Sexuelle Perversionen

In der klinischen Sexologie3 ist man sich einig darüber, dass es keine definitorischen Beschreibungen sexueller Verhaltensmuster gibt, die man als pervers oder nicht pervers klassifizieren könnte. Vielmehr wird heute jede sexuelle Handlung als pervers angesehen, die am Sexualpartner vorgenommen wird, ohne dass dieser es möchte. Das beginnt bereits mit einer zärtlichen Berührung oder einem Kuss, den der andere nicht erwidern kann und sich dadurch bedrängt fühlt. Es endet bei den abscheulichsten Missbrauchsszenarien bis hin zum Lustmord. Die Frage bleibt, ob und, wenn ja, wieso es im Wesen der Sexualität liegt, dass diese Abgründe menschlichen Fehlverhaltens und hemmungsloser Machtausübung über andere mit ihr verbunden auftreten können.

Vgl. Michaela Glöckler, Kita, Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung. Erfahrungen und Perspektiven aus der Waldorfpädagogik für die Erziehung im 21. Jahrhundert, Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen, Stuttgart 2020

  1. Vgl. Tabea Freitag: Internet-Pornografiekonsum bei Jugendlichen – Risiken und Nebenwirkungen. In: Christoph Möller (Hg). Internet- und Computersucht. Ein Praxishandbuch für Therapeuten, Pädagogen und Eltern. Kohlhammer, Stuttgart 2015, S. 175; Silja Matthiesen: Jungen und Pornografie. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hg): FORUM. Sexualaufklärung und Familienplanung 1/2013.
  2. Siehe Rudolf Steiner: Erziehungsfragen im Reifealter. Zur künstlerischen Gestaltung des Unterrichts. In: Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis. GA 302a. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993.
  3. Vgl. P. Hertoft: Klinische Sexologie, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 1989.