Wirtschaftlich-soziale Aspekte der Zusammenarbeit in einem Kollegium

Wie lässt sich Zusammenarbeit unter wirtschaftlich-sozialen Aspekten zufriedenstellend gestalten?

Nichts ist so „ungerecht“ wie die soziale Lebenswirklichkeit. Jeder Mensch bringt sein eigenes Begabungs- und Unfähigkeitsspektrum mit und hat demgemäß unterschiedliche Ansprüche an sich selbst und an die Gemeinschaft, in der er lebt oder arbeitet. So unterschiedlich wie das Begabungsspektrum, so verschieden sind oft die Bedürfnisse. Der Eine ist beispielsweise mit einem vollen Lehrer- oder Erzieherdeputat oder den Anforderungen im Büro ganz und gar ausgelastet, bisweilen sogar überfordert. Ein anderer hat darüber hinaus noch freie Valenzen und kann entweder einem reichen Hobbyleben nachgehen oder zusätzliche, übergeordnete Aufgaben für die Einrichtung übernehmen.

Jeder ist sein eigener Maßstab

Für die Entwicklung jedes Einzelnen gilt, dass sie in der ständigen Herausforderung stattfindet, die durch die Spannung zwischen den individuellen Leistungsgrenzen und der zu leistenden Aufgabe gegeben sind. Nicht mehr von sich zu fordern, als was man nicht noch mit einer gewissen Freude tun kann, muss ebenso gelernt werden wie das Mobilisieren aller Kraft, wenn es notwendig ist. Die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit verläuft oft ganz unmerklich da, wo man die Lust und den Sinnbezug zur Arbeit verliert und nur noch unter Druck oder aus Pflicht tätig ist. Um solchen Krankheitstendenzen wirksam vorzubeugen, ist es notwendig, sich für möglichst viele Mitarbeiter und deren individuelle Möglichkeiten zu interessieren.

Eine große Hilfe ist es, wenn man einen Kollegen bei der Bewertung oder Beurteilung seiner Arbeit nicht an dem eigenen Leistungsvermögen misst oder mit demjenigen von anderen Kollegen vergleicht, sondern nur mit dem, was dieser eine Kollege tut, gemessen an dem, wofür er eingestellt worden ist, wie er bisher in den Arbeitsprozess hineingewachsen ist und welche Fortschritte er dabei gemacht hat. Nur auf dieser Basis ist es möglich, dass der Andere sich verstanden und anerkannt fühlen kann. Das wiederum ist eine wesentliche Grundlage für die Freude an der Arbeit.

Supervision und Qualitätsbeurteilung

Wenn Unzufriedenheit oder Vorbehalte gegenüber der Arbeit anderer auftreten, ist es notwendig, direkt und persönlich das Problem mit dem betreffenden Kollegen anzusprechen und nichts über ihn mit andern zu verhandeln, was man nicht auch mit ihm besprochen hat oder besprechen könnte. Fehlt hierzu der Mut oder hat man den Eindruck, dass der Andere es nicht verkraften könnte, so ist die Zeit nicht reif, die Probleme, die man mit ihm hat, anzusprechen.

In diesem Fall sollte man entweder darauf verzichten oder sich an den oder die Kollegen wenden, die das Mandat (und hoffentlich auch die Fähigkeit) zum Bearbeiten von Sorgen haben, die sich auf die Qualität der Arbeit in der Einrichtung beziehen. Methoden der Supervision und Qualitätsbeurteilung finden heute in fast alle Lebensbereiche Eingang. Ideal ist es, wenn diese im Sinne einer selbstgewollten, selbstbeauftragten, freiwilligen Verpflichtung zur Weiterbildung entstammen. Dabei ist es vorteilhaft, wenn die Supervision aus dem Kreis der Mitarbeiter der eigenen Einrichtung heraus benannt werden kann. Dies fördert die Vertrauensbildung unter den Mitarbeitern und die Kontinuität der Arbeit. Auch wenn die „Hilfe von außen“ der größeren Anonymität und vermeintlichen Objektivität wegen oft attraktiver erscheint, so zeigt die Erfahrung doch, dass die anstehenden Probleme am besten von denen gelöst werden, die die praktischen Konsequenzen der Lösung zu tragen haben.

Am flexibelsten erweisen sich stets solche Strukturen, die man sich selber erarbeitet hat, an deren fortdauernder Anpassung an die Anforderungen von außen und die sozialen Bedürfnisse und Möglichkeiten von innen gearbeitet wird.

Konstruktives Umgehen mit Kritik

Zu den Notwendigkeiten eines konstruktiven Zusammenarbeitens gehört auch, dass, wer die Arbeit der andern kritisiert – ob nun berechtigter- oder unberechtigterweise – selber auch lernt, Kritik anzunehmen und für sich das Berechtigte daran herauszufinden, das Unberechtigte jedoch innerlich oder auch äußerlich abzuweisen.

Von Rudolf Steiner wird der Ausspruch überliefert:„Angesichts von Initiativen muss man mit Kritik rechnen. Kritik wird immer sein – sie darf nur nicht stimmen.“ Letzteres aber kann und muss man selbst herausfinden und sich dementsprechend dann auch verhalten (vgl. Soziales Leben und soziale Dreigliederung: Sozialimpuls aus dem Astralischen). Die Leistungsfähigkeit und Ausstrahlung einer Einrichtung werden durch die Art und Weise bestimmt, wie die Menschen ihre besten Fähigkeiten in der Zusammenarbeit einsetzen können. Daher kommt dem Aufbau einer Fähigkeiten-Hierarchie und einer dementsprechenden Kompetenzverteilung eine hervorragende Bedeutung zu. Dabei muss sichergestellt werden, dass sich die „Macht“ der Fähigen nur auf den für ihren spezifischen Arbeitseinsatz festgesteckten Rahmen erstreckt und darüber hinaus kein Anspruch auf Geltung und höheres Gewicht der eigenen Stimme bei Fragen entsteht, die außerhalb des eigenen Kompetenzbereiches liegen (vgl. Konfliktfähigkeit: Führungsqualitäten und Konfliktfähigkeit). Hat beispielsweise eine Schule, ein Kindergarten bzw. eine Krippe einen respektablen „Spiritus rector“, so muss dieser lernen, seine Autorität auch zum Schutz der Kompetenzen der Anderen einzusetzen, anstatt Kraft der eigenen Autorität unversehens die Kompetenz der Anderen zu unterminieren (vgl. Zusammenarbeit: Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Gesellschaftsformen).

Nötiger Lernwillen

So relativ leicht sich dies sagen und formulieren lässt, so schwer ist es, dies wirklich zu tun, zu „leben“. Ohne den Willen zur Entwicklung, den Willen zum Lernen, ist es nicht zu erreichen. Dabei gibt es stets die beiden Quellen für Lernprozesse: das Lernen durch Einsicht und das Lernen durch Erfahrung, durch das Erleben von Defiziten und Fehlern oder aber von Möglichkeiten und Vorbildern. Dabei ist das Lernen aus Fehlern nicht nur wesentlich für den Umgang mit sich selbst, sondern vor allem auch für den Umgang mit den Fehlern der Mitarbeiter und Kollegen. Aus diesen lässt sich ebenso lernen wie aus den eigenen. Oft geschieht auch das Wunder, dass diese Fehler ebenso verschwinden und von den Betreffenden überwunden werden können, wie es die eigenen tun, wenn man genügend lange daran gelernt und gearbeitet hat. Wird solches erlebt, so kann daraus ein tiefes Vertrauen in die Schicksalsführung erwachsen.

Hilfreich ist das Bewusstsein, dass einen das Leben gerade an den Ort gestellt hat, an dem man die passenden Entwicklungsbedingungen für seinen weiteren Weg findet. Wenn man von herrschenden Strukturen, durch Machtverhältnisse oder die Kompetenzen anderer nach außen hin gehindert wird, der Einrichtung seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, so hat man doch die Möglichkeit, für sich selber Ziele und Aufgaben zu finden und außerhalb der Einrichtung initiativ zu werden. Wohingegen man sich bei einer anderen Konstellation der Verhältnisse vor allem dieser einen Einrichtung und deren sozialem Umfeld zuwenden kann.

Klare Zuständigkeiten bei Selbstverwaltung

Alle Einrichtungen, auch solche, die – wie z.B. die Waldorfschulen – konsequente Selbstverwaltung betreiben (sollten), brauchen soziale Formen, die es einerseits möglich machen, dass die Initiativkraft jedes Einzelnen sich größtmöglich für die Aufgabe der Gemeinschaft entfalten kann. Andererseits müssen sie auch gewährleisten, dass im Interesse der gemeinsamen Aufgabe diejenigen mit leitenden Aufgaben betraut werden, die es am besten können. Hier wird häufig eingewendet, dass heute die wesentlichen Führungsaufgaben in kollegialer Verwaltung geschehen können. Wird dies jedoch praktiziert, so kommt früher oder später die Zeit, wo wegen der Menge an notwendigen Sitzungen und vor allem infolge des enormen Zeitaufwandes, der damit verbunden ist und oft zur Vernachlässigung der eigenen Arbeit führt, alle zu ächzen beginnen. So notwendig Kollegien und Beraterkreise für die verschiedenen Funktionsfelder sind, so können sie doch die Möglichkeiten nicht ersetzen, die ein Einzelner im Dienst des Ganzen entfalten kann und muss, wenn es gilt, gute Arbeit zu leisten. Wie notwendig ist es beispielsweise in einer Schule oder einer sozialtherapeutischen Einrichtung, dass die Eltern klar definierte Ansprechpartner haben, die sie für bestimmte Entscheidungen oder Verhaltensweisen verantwortlich machen können.

Klare Zuständigkeiten, die Möglichkeit, rasch und flexibel zu entscheiden und zu handeln, sind Qualitäten, die es ermöglichen, sorgfältig mit Zeit und Kraft der Mitarbeiter umzugehen. Dadurch wird gewährleistet, dass gemeinsam besprochen wird, was sinnvollerweise im Interesse der Arbeit getan werden sollte. Andererseits hat der von der Gemeinschaft beauftragte Funktionsträger in dem abgesteckten Rahmen Entscheidungskompetenz, ohne jedes Mal längere Debatten und Sozialprozesse durchlaufen zu müssen.

Vgl. 18. Kapitel von „Gesundheit durch Erziehung“, Persephone, Kongressband 2006, Verlag am Goetheanum, derzeit nur als E-book erhältlich