Angst im 1. Jahrsiebt - Leibesangst

„Die Welt ist gut“ als Angstprophylaxe

Das Motiv – Die Welt ist gut – ist die Angstprophylaxe im 1. Jahrsiebt. In diesem Entwicklungsabschnitt, in dem der Körper gebildet wird und seine Grenzen als etwas Souveränes erlebt werden sollen, darf das Böse noch nicht vorkommen. Denn Grenzverletzungen erzeugen Ohnmacht und prägen auf traumatische Weise. Das lässt sich nicht wieder rückgängig machen. Diese vulnerable Phase umfasst den Lebensabschnitt, in dem das Nervensystem sich noch im Aufbau befindet (vgl. Entwicklung: Stadien der menschlichen Entwicklung). Wenn der Großteil der zentralnervösen Funktionen ausgebildet ist, bzw., wie Rudolf Steiner sagt, wenn die Formbildung des Leibes mit dem Zahnwechsel nach dem 1. Jahrsiebt zu einem gewissen Abschluss gekommen ist, bleibt das Kind zwar seelisch verwundbar, ist aber körperlich nicht mehr so vulnerabel.

Wenn jedoch Verletzungen geschehen (sind), muss dieser Umstand im Bewusstsein der Erwachsenen als etwas Sinnvolles für die Entwicklung aufleuchten, sodass das Kind emotional nachahmend annehmen kann, dass diese Erfahrung zu seinem Leben dazugehört und auch etwas Gutes bewirken kann. Erfolgt diese Wendung zum Guten nicht, ist die Trennungsangst berechtigt und führt zu nachhaltigen Störungen, die sich auch als körperliche Veranlagung zu Angst niederschlagen kann.

Spielarten der Angst

Der Archetyp der Leibesangst ist die körperliche Abnabelung: Die körperliche Symbiose zwischen Mutter und Kind wird durchtrennt. Ab da muss das Kind im 1. Jahrsiebt ganz behutsam lernen mit Trennung und Verletzungen an der „heiligen Grenze“ umzugehen, an der es ganz und gar sinnesoffen ist. Entweder das Kind spürt, dass die Welt es trägt, oder es empfindet die Welt als verletzend.

Zu den typischen entwicklungsbedingten Trennungsängsten gehört auch die Angst vor der Dunkelheit, dem Getrennt-Sein vom Licht, die Angst macht, weil das Licht fehlt, das die eigene Grenze sichtbar machen könnte. Bei Licht sieht das Kind, dass es hier ist und sich dort die Welt befindet, dass alles geordnet ist und sich in einer normalen Distanz zu ihm befindet, sodass es nicht fremdeln muss – dann fühlt es sich sicher und geborgen. Licht schafft einen überschaubaren Zusammenhang, in dem sich das Kind in seinem Getrennt-Sein positionieren kann.

Angst tritt auf, wenn das Kind etwas Unbekanntem, das es nicht einschätzen kann, gegenübertritt. Wenn Kinder etwas älter sind, haben sie Angst vor den Folgen, wenn sie etwas tun, von dem sie genau wissen, dass sie es eigentlich nicht tun dürfen.

Dann gibt es noch die Angst vor Schreck und Schock, vor Misshandlung, Verlassen-Werden und vor Einsamkeit. Es gibt aber auch mitgebrachte, schicksalhafte konstitutionelle aus den äußeren Ereignissen nicht ableitbare Ängste.

Starkes Erleben der elementarischen Welt bei Kindern

Kinder haben auch aufgrund von bestimmten Erfahrungen Angst. Kleine Kinder erleben die elementarische Welt noch sehr stark. Ich bin sehr dankbar, dass meine Mutter spirituell sensibel und offen war und mir glaubte, wenn ich sagte, ich sehe da und dort Gespenster. Sie reagierte dann herrlich sachlich. Ich erinnere mich an einmal, als es besonders schlimm war: Ich wollte gerade einschlafen und plötzlich kamen aus einer dunklen Ecke aus der Wand gräulich-schwarze dämonische Gestalten mit lautem Gebrüll auf mich zu. Ich habe laut geschrien und meine Mutter kam herein und fragte, was denn los wäre. Ich erzählte ihr von den schrecklichen Gestalten. Sie sagte nur: „Michaela, warum schläfst du auch mit dem Gesicht zu dieser dunklen Ecke ein?“ Daraufhin drehte ich mich im Bett um und sah den Türspalt, durch den noch ein bisschen Licht durchkam und konnte dann bestens einschlafen.

Kinder sind Realisten. Wenn sie es mit einem Erwachsenen zu tun haben, der ihre Welt wieder ordnet, kann ihr Angstgefühl sofort verschwinden. Denn Angst entsteht durch seelische Schutzlosigkeit. Das Gefühl geschützt zu sein, kann durch die Sicherheit und Präsenz der Mutter wiederhergestellt werden.

Es gibt auch Witterungsverhältnisse, bei denen man die elementarische Welt ganz real erlebt: Kinder bekommen bei Gewitter viel mehr mit als Erwachsene. Sie erleben nicht nur Blitz und Donner im Äußeren, sondern auch die entfesselten, destruktiven dämonischen Gewalten, die damit verbunden sind. Es kann sehr hilfreich sein, ein Gewitter mit dem Kind auf dem Arm durchzumachen, sodass das Kind erlebt, dass man das aushalten und seelisch Widerstand leisten kann.

Abgesehen von alledem muss man Kinder heute sehr früh darüber aufklären, dass sie Angst vor fremden Menschen haben müssen und dass sie mit niemandem mitgehen dürfen.

Vgl. „Vorgeburtliche Disposition zu Angststörungen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013