Angst im 3. Jahrsiebt – wovor Jugendliche Angst haben

Welche Ängste plagen Jugendliche?

Eine der Hauptängste hängt mit der Metamorphose der knochenbildenden Äther-, Astral- und Ich-Kräfte zusammen, die beim Heranwachsenden nun frei werden für das Denken und ihm überhaupt erst die Möglichkeit geben, den Gedanken eines fest gefügten Selbst zu fassen (vgl. Entwicklung: Stadien der menschlichen Entwicklung). Denn wir verdanken unser Selbstbewusstsein wie auch unseren Egoismus dem Knochensystem. Dort ist unsere Körperlichkeit so fest „geronnen“ und schafft so klare Grenzen wie sonst nirgends.

Jede Regung unseres Gedanken-, Gefühls- und Willenslebens entspringt Bildekräften, die zuvor am Leib organbildend tätig gewesen waren. Wenn diese dann leibfrei werden, stehen sie als seelisch-geistige Werkzeuge zur Verfügung – eines ist Abbild vom anderen (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Zur Identität von Wachstums-, Regenerations- und Gedankenkraft). Der einzige Unterschied zwischen den körperlichen und den seelisch-geistigen Werkzeugen liegt darin, dass die körperlichen Werkzeuge den Gesetzen der Natur folgen, die wir zum Glück nicht selbst steuern müssen im Rahmen der körperlichen Entwicklung. Unsere leibfreien Kompetenzen dagegen müssen wir selbst zu steuern lernen, die geistigen und seelischen Organe müssen wir selbst bilden.

Zeit geben für geistige Abnabelung

Das bedeutet viel Arbeit und gleicht einer geistigen Abnabelung. Jugendliche und junge Erwachsene spüren, dass diese Art von Selbständigkeit naht – und haben Angst davor. Das ruft eine gewisse Besinnlichkeit hervor: Jugendliche brauchen Zeit, speziell um die Pubertät herum, wenn die geistige Abnabelung anfängt in Form von Unsicherheit und Zweifel, durch den Verlust des Kinderglaubens und das Gefühl des Verlassenworden-Seins vom Kosmos (vgl. Jugend heute: Angstkrise bei Jugendlichen).

Zudem müssen sie die heutigen materialistischen Vorstellungen vom Weltraum, von Leere und Öde, „verdauen“: Jemand, der aufzeigt, dass ein energetisches Fluidum, eine Art Feld, zwischen allen Sternen vermittelt, bekommt den Nobelpreis! Man muss sich vorstellen, was heute den Jugendlichen als neuestes, edelstes Weltverständnis offeriert wird! Das führt zu einer echten geistigen Abnabelung verursacht durch den Materialismus, der wie eine Schere fungiert und die „geistige Nabelschnur“ der jungen Menschen durchtrennt. Jetzt ist aber keine Hebamme da und auch keine Mama, die einen in den Arm nimmt. Jetzt ist auch kein geliebter Lehrer da, wie nach dem Rubikon, der Begleitung anbietet und das Kind einfach mitnimmt. Jetzt weiß man, dass man allein und auf sich gestellt ist. Die geistige Abnabelung muss der Jugendliche selbst überwinden, muss sie selbst heilen. Er muss selbst bestimmen, in welche Richtung sich dieser Abgenabelte entwickeln soll: ob er Anschluss sucht an die geistige Welt oder ob er eine abgeschnittene Erdenkreatur bleibt (vgl. Angst: Hilfen gegen Angst im 3. Jahrsiebt).

Das ist die Stimmung, die zumindest phasenweise aus jedem Jugendlichen spricht. Jeder Jugendliche hat Perioden, auch wenn keine Angststörung vorliegt, wo er solchen Gedanken nachhängt. Es ist deshalb grausam, einen Jugendlichen in der Oberstufe permanent unter Leistungsdruck zu setzen, weil er sich dann nicht mit gutem Gewissen die Zeit nehmen kann, Gedanken nachzuhängen und damit die passende Atmosphäre zu schaffen für die Geburt seiner selbst. Man braucht Zeit zum Reden, zum Alleinsein, Zeit, das Alleinsein auszuhalten, Freundschaften auszuprobieren. Jetzt gewinnen Freundschaften die Oberhand, in denen man sich etwas zu sagen hat. Wenn dafür keine Zeit ist, ist das ein Verbrechen am Jugendlichen.

Auf andere Gedanken bringen

In dieser Phase sollte man den Jugendlichen auch nicht zum Reden zu bringen versuchen und ihn fragen, warum er immer so laute Musik hören muss. Man sollte hinschauen und ihm mit wenigen Worten, vielleicht nur mit einem Blick, zu verstehen geben, dass man weiß, wie es ihm geht. Oder ihm vorschlagen, ein Wochenende nach Paris zu fahren und einen Freund mitzunehmen, ihn ablenken – dann hört er mal keine laute Musik und man hat etwas richtig Schönes mit ihm zusammen unternommen.

Mein Mann, der aus sehr ärmlichen Verhältnissen kam, hatte in der Klasse einen Freund aus reichem Hause. Sie sind jetzt beide 80 geworden und ich vertrat meinen Mann bei der Geburtstagsfeier, der nicht hingehen konnte. Ich bekam eine Karte von meinem Mann mit, in der nur drinstand, was er diesem Klassenkameraden alles verdankt. Mein Mann lebte mit seiner Mutter in einer dunklen Zwei-Zimmer-Wohnung an einer verkehrsreichen Straße in Cannstatt – ich habe die Wohnung noch gesehen. Sein Freund nahm ihn an Wochenenden und in den Ferien regelmäßig mit zur Zugspitze, zum Skifahren, zum Gebirgswandern, ohne eine Rechnung zu präsentieren. Er holte ihn heraus aus seinem Milieu – und das hat meinen Mann gerettet. So etwas ist Schicksal.

Jugendliche brauchen Erlebnisse, es muss etwas passieren mit ihnen und um sie herum (vgl. Jugend heute: Angst im Kleide der Depression bei Jugendlichen). Man muss zu ihnen hinschauen, aber wie bei einem kleinen Kind auf Abstand stehen bleiben. Oder vielleicht nur die Hand auf die Schultern legen, ohne etwas zu sagen. Wenn der Wille geboren wird, bricht eine nonverbale Zeit an. Lusseyran verabredete mit seinem Freund, nur noch die Wahrheit zu sagen – endlich konnten sie einmal schweigen, denn sie wussten einfach nichts zu sagen! Im Grunde ist in diesem Alter schon alles gesagt…

Vgl. „Ängste im Jugendalter und ihre Überwindung“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013