Angst und Selbstverantwortung

Wie kann man mit Angst (selbst)verantwortlich umgehen?

Angst ist per se nichts Schlechtes. Sie ist ein wichtiger Schutzfaktor, der uns vor Gefahren und Schädigungen bewahrt. Ohne Angst würden mangelndes Risikobewusstsein und Tollkühnheit vorherrschen und uns gefährden.

Pathologischer Angstpegel

In unserer gegenwärtigen Situation hat die Angst jedoch einen Pegel erreicht, der sich pathogenetisch auswirkt (vgl. Begabung und Behinderung: Bewusster Umgang mit Not und Zerstörung): Dieses Ausmaß an Angst lähmt, verhindert eine umfassende Urteilsbildung und raubt Zeit. Viele Ärzte haben keine Zeit, sich so lange mit einzelnen Patienten und ihren Fragen zu diesem Thema abzugeben. Sie wollen einfach auf der sicheren Seite sein – das entspricht ihrer Auffassung von ihrem Beruf.

Nachdem mein Kollege Wolfgang Göbel und ich die „Kindersprechstunde“ verfasst hatten, bekamen wir viel kritische Post. Vor allem Kinderärzte machten uns den Vorwurf, die Angst der Eltern zu schüren, weil wir das Impf-Kapitel und die Kapitel über die Kinderkrankheiten übermäßig aufgebläht hätten. Sie fanden es völlig unverantwortlich, dass wir dieses Fachwissen in einem Buch für Laien veröffentlichten. Das war 1984 anlässlich der ersten Auflage.

Seitdem ist viel passiert – solche Briefe bekommen wir heute nicht mehr, im Gegenteil. Wolfgang Goebel, mein Co-Autor, hat seither ein eigenes Buch über den individuellen Impfentscheid geschrieben,1 in dem er alles noch viel ausführlicher beschreibt als in der „Kindersprechstunde“. Wir sind damals hart geblieben und schrieben zurück, dass die Eltern ein Recht auf umfassende Aufklärung hätten in Bezug auf die Risiken von Krankheiten und die Risiken der Impfungen.

Zukunftsweisende Verantwortung des Patienten

Wer sich bereits operieren ließ, weiß um seine Verantwortung als Patient: Jeder Erwachsene muss unterschreiben – auch für seine Kinder – dass er für alle Operationsrisiken selbst die Verantwortung übernimmt. Der Arzt ist nicht mehr verantwortlich – es sei denn man kann ihm einen Kunstfehler nachweisen, was aber gar nicht so leicht ist. Alle Risiken also, die manch einen zögern lassen würden, sich überhaupt unters Messer zu begeben, wenn Arzt und Anästhesist sie „herunterbeten“ würden, gehen zu Lasten des Patienten.

Das weist in die Zukunft.

Patienten und Eltern können es sich in diesem Zeitalter, in dem Mündigkeit und das Übernehmen von Verantwortung gefordert sind, nicht mehr leisten, Entscheidungen an den Berufsstand des Arztes zu delegieren. Sie müssen selbst herausfinden, was sie mit Hilfe ihres gesunden Menschenverstandes begreifen und mit ihrem Gewissen vereinbaren können (vgl. Konfliktfähigkeit: Die Gewissensstimme).

Vgl. Vortrag „Kinderkrankheiten angstfrei behandeln“, Filderstadt, Impfkongress 2009

  1. Wolfgang Goebel, Schutzimpungen selbst verantwortet, anthera 2004.