Besinnung auf den Grundimpuls der Anthroposophie

Was war der ursprüngliche Impuls der Anthroposophie?

Woran zeigt sich, dass er neu ergriffen werden muss?

Was muss damit einhergehen?

Wir müssen uns als Gemeinschaft der Anthroposophischen Gesellschaft neu besinnen auf unseren ureigensten Impuls: eine Kultur zu schaffen, die aus der Trage- und Entschlusskraft und dem Übe-Willen vieler einzelner menschlicher Ich-Wesen hervorgeht. Rudolf Steiner bemerkt in seinem Buch zur Selbstschulung „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“1, dass die darin genannten Übungen entweder zum Guten oder zu nichts führen (vgl. Anthroposophie: Die sieben Bedingungen des Anthroposophischen Schulungsweges). Das zu wissen, scheint mir sehr wichtig.

Hundert Jahre Kunstimpuls und mehr

2017 feiern wir auch „Hundert Jahre Kunstimpuls München 1907“. Mit den Ereignissen damals assoziieren viele von uns „Apokalypse“, „die beiden Säulen“ und dann hört es schon wieder auf. Man realisiert meist nicht, dass in dieser Zeit auch

  • das christliche Mysterium von Rudolf Steiner enthüllt wurde;

  • die Waldorfpädagogik inauguriert wurde, die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft;

  • die großen Vorträge über Gesundheit und Ernährung gehalten wurden;

  • die Schicksalsbegegnung mit Ita Wegman stattfand, die damals in München Medizin studierte und auf dem Kongress aus der Theosophischen Gesellschaft, ihrer geistigen Heimat, kommend auf Rudolf Steiner zuging, weil sie erkannte, dass das, was Rudolf Steiner vorhatte, das war, was sie wollte. Daraufhin fielen ihre bedeutungsschweren Worte: „Herr Doktor, ich bleibe bei Ihnen.“ Daraufhin, so wird berichtet, habe er ihr Bedeutungsvolles über ihrer beider Schicksalsbestimmung eröffnet und über die Möglichkeit einer vertrauensvollen, unverbrüchlichen Zusammenarbeit, der wir die grundsätzliche Veranlagung der Anthroposophischen Medizin verdanken (vgl. Anthroposophische Medizin: Ita Wegmann und die Entwicklung der Anthroposophischen Medizin).

In dreimal dreiunddreißig ein Drittel Jahre, also hundert Jahren, entwickelten sich aus alledem die Keime für unsere kulturellen Tätigkeiten. Es entwickelte und entäußerte sich etwas, das das Denken, Fühlen und Wollen von drei Generationen durchdrungen hat.

Jetzt aber ist ein völlig neuer Einschlag nötig. Dieser Impuls – und das betrifft auch unsere Berufsbewegungen – kann nur erneuert werden, wenn er von der Instanz im Menschen ausgeht, von der der Christus sagt: „Siehe, ich mache alles neu“, von der menschlichen Instanz, zu der das Wort „autós“ oder „authentisch“ passt: vom wahren Selbst. Doch dieses Selbst beginnt sich ja erst ganz anfänglich im meditativen Üben, aber auch in allen äußeren Gestaltungen, zu erfassen.

Verantwortung für das eigene Schicksal übernehmen

Was ein Mensch tut und je getan hat in Gedanken, in Worten und in jeder noch so kleinen Handlung, kann er nicht von sich weisen (vgl. Anthroposophie: Die sieben Bedingungen des Anthroposophischen Schulungsweges). Es geht mit ihm als sein Schicksal. In diesem Bereich sind Inneres und Äußeres eins, auch wenn man sich in einem späteren Erdenleben, wenn einen die manchmal eigenartigen Konsequenzen von früheren Taten treffen, dagegen verwehrt und sagt: „Das gehört nicht zu mir, das spalte ich ab; meine Umwelt ist schuld an meinen Problemen.“ Diese Notwendigkeit, die ursächliche Verantwortung für das eigene Schicksal (auch der Gesellschaft) im eigenen Wesen suchen zu lernen, war ein weiterer Grund für die Themenwahl (vgl. Schicksal und Karma: Macht im Schicksalszusammenhang).

Noch ein Grund war, dass die Kunst selbst als ganz bedeutungsvoller Zweig anthroposophischer Arbeit neu ergriffen werden muss. Die Kunstszene der heutigen Welt, in der wir leben, braucht den Einschlag einer Ich-geführten Spiritualität (vgl. Kunsttherapie: Kunst als Weg zur Ergreifung des Ich ). Diese Gründe zusammengenommen weisen auf ein großes Vorhaben. Andererseits weisen sie aber auch auf etwas Stilles, Bescheidenes: auf die Stille, die beim Üben entsteht.

Vgl. Vortrag „Wege zum Herzdenken durch meditatives und künstlerisches Üben“ an der Jahresversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft 2007

  1. Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse Höherer Welten, GA 10.