Anthroposophische Psychotherapie
Was ist das Besondere an der anthroposophisch inspirierten Psychotherapie?
Welches Licht wirkt der Karma-Gedanke auf seelisch-geistige Probleme?
Lektüre zur anthroposophischen Psychotherapie
Im Hinblick auf diese Schicksalsdramatik des Menschseins sind die Mysteriendramen1 von Rudolf Steiner ein ganz zentrales Werk (vgl. Schicksal und Karma: Schicksalskunst im Lichte der Mysteriendramen). Wenn mich Biografiearbeiter (vgl. Biographiearbeit: Biographie und Wiederverkörperung), Psychologen und Ärzte, die sich für Seelenkunde interessieren, fragen: „Wie kann man sich in das Gebiet des Seelischen aus Sicht der Anthroposophie einarbeiten?“, empfehle ich gerne die pädagogischen Vorträge von Rudolf Steiner über die drei Jahrsiebte,2 aber auch das Studium von „Grundlegendes…“3, begleitet von der Lektüre der Karmavorträge.4 Diese Werke sind das Fundament einer vom Schicksalsgedanken inspirierten anthroposophischen Psychotherapie.
Ich möchte im Folgenden in aller Kürze ein paar Gesetze nennen, wie sie uns Rudolf Steiner aus seiner Forschung mitgeteilt hat – zum Überprüfen, zum Umgang damit, zum Überlegen, ob sie hilfreich sind für Ihre Arbeit. Wir können diese Forschungsergebnisse z.B. auch als Arbeitshypothese nehmen bei unserem täglichen Tun. Wenn sie sich als fruchtbar erweisen, können Sie diesen Weg weiterverfolgen, wenn nicht, greifen Sie zu anderen Werkzeugen.
Karmische Ursache für seelische Erkrankungen
Auf die Frage, worin die Ursache für seelische Erkrankungen läge, antwortete Rudolf Steiner in den „Offenbarungen des Karma“5 und in der „Akasha-Chronik“6: „Die Ursache für seelische Erkrankungen liegt in einem mangelnden Interesse am anderen Menschen in einem früheren Erdenleben“ (vgl. Schicksal und Karma: Schicksalsereignisse und ihre Folgen im nächsten Erdenleben).
Hier geht es nicht darum, durch welche Faktoren es zu diesem mangelnden Interesse kam, es ist rein phänomenal betrachtet, hat mit Schuld und Unschuld nichts zu tun. Fakt ist demnach: Ein Mensch, der in seinem Erdendasein kein warmes Interesse für andere Menschen entwickeln konnte – und sei es nur für einen Menschen – dem fehlt im nachtodlichen Leben, wenn das Menscheninnere, das Seelische, Außenwelt wird, die Orientierung. Er ist dann nicht in der Lage, sich an diesem neuen Äußeren so zu orientieren, dass er sich einen neuen Körper aufbauen kann, der beim Heranwachsen ein gesundes Seelenleben ermöglicht, wenn die Wesensgliederkräfte frei werden (vgl. Wesensglieder: Die Metamorphose der Wesensglieder in leibfreies Denken, Fühlen Und Wollen). Das möchte ich im Folgenden kurz näher erläutern.
Die Wesensglieder und ihre leibgebundenen und leibfreien Kompetenzen
Zum Physischen Leib gehört unser physischer Körper, die Sinnesorgane und die daraus resultierende Gnade der Wahrnehmung.
Zum Ätherleib gehören die unbewussten leibgebundenen Lebens- Wachstums- und Regenerationsprozesse und das leibfreie Denkvermögen.
Zum Astralleib gehören die leiblichen Differenzierungsprozesse, die Bewegungskompetenz und das Fühlen als leibfreie seelisch regsame Kompetenz.
Zur Ich-Organisation gehören die leiblichen Integrationsprozesse, die Erlangung der richtigen Proportionen beim körperlichen Wachstum und die leibfreie Fähigkeit in Ganzheiten zu denken.
Das Kind gewinnt im 1. Jahrsiebt mithilfe der ätherischen Wachstumskräfte bis zum Zahnwechsel an Größe. Die Kräfte, die ihre Arbeit getan haben, werden sukzessive leibfrei und stehen zunehmen dem DENKEN zur Verfügung. Das Freiwerden der ätherischen Kräfte aus dem Körper kulminiert in der Schulreife. Dieser Höhepunkt wird auch Geburt des Ätherleibes genannt.
Im 2. Jahrsiebt reifen zusätzlich die seelischen Kompetenzen heran, indem die astralen Kräfte zuerst den Leib durchdifferenzieren und, wenn sie ihre Arbeit getan haben, sukzessive leibfrei werden und das FÜHLEN ermöglichen. Die Kulmination des Freiwerdens der astralen Kräfte aus dem Körper zur Geschlechtsreife wird auch Geburt des Astralleibes genannt.
Im 3. Jahrsiebt reifen die geistigen Kompetenzen heran, indem die Integrations-Kräfte der Ich-Organisation den heranwachsenden Körper in eine stimmige Ganzheit verwandeln und anschließend als WOLLEN zur Verfügung stehen. Wenn der Jugendliche ausgewachsen ist, kulminiert dieser Prozess in der Mündigkeit bzw. selbstverantwortlicher Handlungsfähigkeit und wird auch Geburt des Ich genannt.
Entsprechung von Lebensprozess und seelisch-geistiger Kompetenz
Alle leibfreien Kompetenzen sind verwandelte Lebenstätigkeit des Organismus: So wie wir dank der unbewussten Lebenskräfte die Nahrung zerkleinern und aufspalten (= analytisch) und anschließend zu menschlicher Substanz zusammensetzen (= synthetisch) – dieser Prozess wird Stoffwechsel genannt – so denken wir entsprechend mit den leibfrei gewordenen bewussten Ätherkräften auch analytisch und synthetisch. Das ist nur ein Beispiel für die Entsprechung von leibgebundener Lebenskraft und leibfreier Kompetenz im Denken, Fühlen und Wollen. Man kann sagen:
- Denken ist metamorphosierte leibfreie Wachstumskraft (Ätherleib).
- Fühlen ist metamorphosierte leibfreie Astralität (Astralleib).
- Wollen ist leibfreie zur Verfügung stehende Ich-Tätigkeit.
Mit dem bisher Gesagten, wollte ich den innigen Zusammenhang zwischen leiblicher Konstitution und seelisch-geistiger Disposition deutlich machen.
Das heißt, es hängt von der Qualität der Organe und dem Ablauf der leiblichen Prozesse ab , ob die daraus hervorgegangenen seelischen Kräfte, sich frei handhaben lassen oder ob sie den Menschen überfluten, attackieren und bezwingen – was sich dann als psychisches Störungsbild zeigen kann. Ist Letzteres der Fall, bedeutet das, dass die Ich-Kompetenz, die in das Erdeninstrument des Leibes hereinleuchten und sich ihm über die Ich-Organisation mitteilen möchte, sich an den Organen nicht richtig zu spiegeln vermag und sich auch nicht im Seelischen beheimaten kann, weil die aus dem Leib hervorgegangene Seelenkonfiguration es nicht oder nur eingeschränkt zulässt. Die Qualität des seelischen Erlebens hängt also immer auch von Art und Qualität der Leibbildung ab (vgl. Gefühle und Fühlen: Anregung der Gefühle durch Sinnesschulung).
Ringen mit Schwäche bringt zukünftige Stärke
Dazu ein Beispiel: Möglicherweise leidet man darunter, dass man seelisch nicht richtig in Beziehung kommen kann zu anderen Menschen. Man erlebt sich als in sich selbst gefangen – was laut Rudolf Steiner als karmische Ursache das fehlende Interesse an anderen hat.
Diesem großen Schmerz folgt jedoch im Nachtodlichen die große Befreiung, weil man so sehr mit den Beziehungen und mit sich selbst gerungen hat, dass man für die kommende Inkarnation ein besonders geeignetes Erdeninstrument bilden kann.
Mit anderen Worten: Wenn wir interessiert und ehrlich miteinander umgehen, bauen wir damit gesunde Seelenkräfte für das nächste Leben auf. Unser Bemühen ist nicht nur für dieses Leben wichtig und gut und erleichtert uns das Leben und die Arbeit. Das Interesse an anderen Menschen und am sozialen Miteinander ist zugleich die Vorbereitung für eine besonders gesunde und starke Seele im nächsten Leben.
Vgl. Vortrag an der Jahreskonferenz der Med. Sekt. am Goetheanum zum Thema Anthroposophische Psychiatrie, Dornach 2012
- Rudolf Steiner, Vier Mysteriendramen, 1910-13, GA 14.
- Rudolf Steiner, Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft, in: Luzifer-Gnosis. GA 34. Dornach 1987.
- Rudolf Steiner, Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, GA 27.
- Rudolf Steiner, Die Offenbarungen des Karma, GA 120.
- Ebenda.
- Rudolf Steiner, Aus der Akasha-Chronik, GA 11.