Forschung und Weiterentwicklung in der Anthroposophischen Medizin

Aufgrund ihres natur- und geisteswissenschaftlichen Menschenbildes hat die anthroposophisch-medizinische Forschung zwei Arbeitsrichtungen:

  • Eine, die sich den derzeit vorgegebenen akademischen Standards anpasst und Unbedenklichkeit und Wirksamkeit anthroposophischer Arzneimittel untersucht.

  • Und eine andere, die nach den geistigen Ursachen von Krankheit und den heilenden Möglichkeiten der Natur mit ihren Substanzen und Prozessen fragt.

Anthroposophische Medizin ist nicht nur historisch jung, sondern auch in ständiger Weiterentwicklung begriffen. Ihre weltweiten Arbeitszusammenhänge in Forschung, Ausbildung und Praxis werden in der Medizinischen Sektion am Goetheanum in der Schweiz koordiniert. 1 Dort findet sich auch eine Übersicht über die aktuelle Literatur, die Forschungsinstitute und Kliniken.

1. Grundlagenforschung

Die Grundlagenforschung befasst sich mit der Erarbeitung von Korrespondenzen zwischen

  • der Wesensgliedertätigkeit im Menschen,
  • der Krankheitssymptomatik,
  • bestimmten Prozessen in der Natur
  • und der Wirkung von Substanzen.

Es geht darum, Naturprozesse aufzufinden und zu beschreiben, die für den jeweiligen Krankheitsfall die Selbstheilung anregen, einseitigen Funktionen entgegenwirken oder zu schwache Funktionen unterstützen können. Je genauer das therapeutische Ziel aufgrund der Erforschung des evolutiven Zusammenhanges von Mensch und Natur festgelegt werden kann, umso sicherer tritt in der Regel auch die erwünschte Wirkung beim Patienten ein.

Der Arzneimittelschatz der heute verfügbaren Anthroposophika entstammt der Zusammenarbeit von Ärzten, Pharmazeuten und Herstellern (vgl. Anthroposophische Medizin: Methodische Grundlagen). Seit vielen Jahren fassen Anthroposophische Ärztinnen und Ärzte ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zum Einsatz der Anthroposophischen Arzneimittel in einem Vademecum zusammen, das Fachkreisen zugänglich ist und ständig erweitert wird. Ideen zur Heilmittelfindung entstehen jeweils anhand konkreter Fragestellungen zum Patienten bzw. zu seiner Krankheitssituation.

Da die Ausgangsstoffe für die Arzneimittelherstellung mit Bezug auf Sicherheit und Unbedenklichkeit in der Regel schon bekannt sind, ist präklinische Forschung im Sinne von In-vitro- oder Tierversuchen nicht nötig. Wenn neue, noch nicht monographierte Naturstoffe Verwendung finden, unterliegen sie selbstverständlich dem allgemein üblichen Prozedere zur Feststellung von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der entsprechenden Substanz.

Von einem anthroposophischen Arzneimittel wird erwartet, dass es körperliche oder seelische Beschwerden mildern oder verschwinden lassen bzw. eine Krankheit verzögern, heilen oder womöglich auch verhindern kann. Da sich diese Art der Heilmittelfindung und -anwendung in der Regel am individuellen Patienten orientiert, sind Forschungs- und Evaluationsmethoden erforderlich, die diesem Umstand Rechnung tragen können.

2. Studiendesigns für anthroposophische Arzneimittel

Gegenwärtig wird an Studiendesigns gearbeitet, die der Herkunft, Herstellung und Anwendung anthroposophischer Arzneimittel gerecht werden.

Dem Freiburger Arzt und Wissenschaftler Helmut Kiene ist die im Juli 2000 erschienene komplementäre Methodenlehre der klinischen Forschung zu verdanken, in der er eine Cognition based Medicine der Evidence based Medicine gegenüberstellt.2 Diese Methodenlehre erstreckt sich auf folgende Evidenzbereiche:

  • Wirksamkeitsnachweis
  • Effektivitätsbeurteilung
  • Therapievergleich

Im Freiburger Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie wird derzeit an den praktischen Konsequenzen für ein neues Studiendesign gearbeitet, das sich auf hohem akademischem Niveau auf die individuelle Einzelfallanalyse stützt.

Der Arbeit des Instituts entstammt auch die im Jahre 2003 erschienene umfassende Monographie zur Mistel in der Onkologie. 3 Mit diesem Buch liegt erstmals ein Werk vor, das den Stand der Forschung in Bezug auf die Misteltherapie bei onkologischen Erkrankungen für Mediziner, Wissenschaftler und Allgemeininteressierte verfügbar macht. Es leistet damit einen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion wichtiger medizinischer Grundsatzthemen, aber auch zum Dialog der Denkstile. Es ist ein Beispiel einer gelungenen Synthese von naturwissenschaftlichem und geisteswissenschaftlichem Ansatz auf der Höhe der derzeit gültigen akademischen Standards.

3. Projekte zur Evaluation der Anthroposophischen Medizin

Im Berliner Forschungsinstitut am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe wurde mit einem Projekt zur Evaluation anthroposophischer Medizin begonnen – dem EvaMed-Projekt. Ziel ist die Schaffung einer wissenschaftlich fundierten Datenbasis als Grundlage für den Nachweis zur Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Anthroposophika. Mittels informationstechnologisch gestützter Netzwerke wird Outcome- und Versorgungsforschung innerhalb der Anthroposophischen Medizin betrieben.

An der medizinischen Fakultät der Universität Witten-Herdecke wurde 2003 der Stiftungslehrstuhl für Medizintheorie und Komplementärmedizin unter Prof. Dr. Peter Matthiessen eingerichtet, zu dessen Aufgaben neben Forschung und Lehre auch die Implementierung eines Begleitstudienganges für Anthroposophische Medizin gehört.

In Bern/Schweiz wurde bereits 1994 die „Kollegiale Instanz für Komplementärmedizin“ (KIKOM) eingerichtet und der Schweizer Arzt Dr. med. Peter Heusser mit der Dozentur für Anthroposophische Medizin beauftragt.

Vgl. Einleitung „Anthroposophische Arzneitherapie für Ärzte und Apotheker“, Loseblattsammlung mit 4. Aktualisierungslieferung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2012

  1. Siehe unter: www.medsektion-goetheanum.org.
  2. Helmut Kiene, Komplementäre Methodenlehre der klinischen Forschung: Cognition-based Medicine, Heidelberg – Berlin 2001.
  3. Gunver S. Kienle/ Helmut Kiene, Mistel in der Onkologie: Fakten und konzeptionelle Grundlagen, Schattauer 2003.