Fragen zum Thema Anthroposophische Medizin
FRAGE: Wie ist es, wenn man in Asien über Anthroposophische Medizin spricht?
ANTWORT: In Asien ist Spiritualität in der Medizin viel selbstverständlicher als in Europa.
Dazu ein konkretes Beispiel: In Indien praktiziert man Ayurveda. Wenn man dort das Anthroposophische Menschenbild erklärt, erkennt man, dass es 1:1 dasselbe ist wie das Ayurvedische. Der einzige Unterschied besteht darin, dass das ayurvedische Menschenbild und Gesundheitsverständnis in Worten und Begriffen dargestellt sind, die es nicht erlauben, eine direkte Verständnisbrücke zur naturwissenschaftlichen Medizin zu bauen. Das aber kann die Terminologie der Anthroposophischen Medizin leisten. Daher interessieren sich die Kursteilnehmer für die Anthroposophische Medizin, weil sie dadurch ihr eigenes System besser verstehen (vgl. Anthroposophische Medizin: Warum Anthroposophie in der Medizin?).
So ging es auch einer Freundin von mir – sie ist Inderin –, die durch die Anthroposophische Medizin ihre Hindu-Spiritualität neu entdeckte (vgl. Anthroposophie: Anthroposophie und Religion).
Wir begleiten z.B. Kollegen, die Ayurveda-Ärzte bleiben wollen, indem wir sagen: Ihr könnt anthroposophischer Ayurveda-Arzt werden. Und so haben wir dort schon anthroposophische Homöopathen zertifiziert, anthroposophische Ayurveda-Ärzte sind in Ausbildung und Schulmediziner können „normale“ anthroposophische Ärzte werden.
FRAGE: Mich interessiert, wie man die Anthroposophie, die ja stark mit dem Christentum zusammenhängt, mit anderen Religionen verbinden kann.
ANTWORT: Das Wesentliche am Christentum ist das rein Menschliche, von dem man in jeder Kultur sprechen kann. Für den Buddhistischen Kulturkreis wird es von Buddha verkörpert, der im Herzen und in der Aura lebt, in der Gerechtigkeit, in der Wahrheit, in der Liebe, in all den Werten, deren Pflege Menschlichkeit fördern. Nur ein Wert findet sich bevorzugt und eigentlich nur im Christentum und wird dort konsequent berücksichtigt: Wert und Würde der menschlichen Freiheit, so wie sie bei Johannes im 8. Kap. veranlagt ist: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen“1. Da der Christus aber von sich selber sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ , ist klar, dass er nicht die Freiheit verkörpert, aber uns zu freien Wesen machen möchte, zu seinen Freunden – „denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut“.2 Da die Anthroposophie auf dem Weg der „Philosophie der Freiheit“3 von Steiner beruht, geht es bei allem um diesen zentralen christlichen Wert, auch wenn man den Namen des Christus nur nennt, wenn es passt oder gefragt ist.
FRAGE: Sie hatten von dem Paradigmenwechsel vom pathogenetischen Krankheitsbild zum integrativ-salutogenetischen gesprochen und gemeint, dass das gut machbar wäre. Ich wollte Sie bitten, noch näher darauf einzugehen, weil wir uns auch im Rahmen des Studiums sehr viele Gedanken dazu machen und uns fragen, wie es gerade in der konkreten Umsetzung in einem normalen Krankenhaus möglich wäre, so einen Paradigmenwechsel vorzuleben (vgl. Anthroposophische Medizin: Notwendiger Paradigmenwechsel in der Medizin).
ANTWORT: Das ist in der Praxis zugegebenermaßen sehr schwer. Deswegen braucht es Netzwerke von vielen Medizinern, die sich gegenseitig immer wieder motivieren, Mut zusprechen, Tricks verraten, was man tatsächlich machen kann.
Meiner Erfahrung nach gibt es zwei Felder, bei denen man unmittelbar ansetzen kann, auch im kommunalen Krankenhaus: Man kann präventiv-medizinisch beraten, bei der Erziehung und Selbsterziehung ansetzen. - Wir Ärzte müssen uns schon deshalb intensiv mit Pädagogik auseinandersetzen, weil fast alle Eltern Fragen zu diesem Thema haben. Da kann man viel tun. Dazu gehören auch Selbsterziehung und Meditation (vgl. Meditation auf anthroposophischer Grundlage: Zusätzliche Lebenskräfte durch Meditation) und alle Themen, die innere Entwicklungsarbeit betreffen. Auch hier kann man sofort ansetzen. Beides wirkt bereits in hohem Maße salutogenetisch und hilft, ein anderes Verständnis von Krankheit und Gesundheit zu bekommen.
Außerdem kann man schulmedizinische Präparate viel sorgfältiger indizieren als üblich – das Einverständnis des Patienten vorausgesetzt. Nicht aus Sicherheitsgründen bei jeder Krankheit „Gürtel und Hosenträger“ zum Einsatz bringen, bildlich gesprochen. Auch erlebe ich, dass in der Onkologie gerade Krebspatienten fragen: Gibt es nicht noch etwas anderes? Dann kann man von den Mistelpräparaten erzählen, auch im öffentlichen Krankenhaus. Wenn Patienten fragen, sollte man ehrlich antworten.
Steiner sprach von der Demokratisierung des Gesundheitswesens (vgl. Anthroposophische Medizin: Notwendiger Paradigmenwechsel in der Medizin). 4 Patienten, Leistungserbringer, Krankenversicherungen, Kommunalpolitiker – sie gehören an einen Tisch und sollten auf Augenhöhe beraten, wie ein gerechtes Gesundheitswesen aussehen kann.
In der Schweiz, in der es eine Basis-Demokratie gibt, haben wir es nur durch Volksabstimmung geschafft, die Komplementärmedizin in die Bundesverfassung aufzunehmen. TCM (trad. Chinesische Med.), Homöopathie, Phytomedizin und Anthroposophische Medizin müssen von den Kassen über die Grundversicherung erstattet werden, weil diese Verfahren jetzt Bestandteil der Bundesverfassung sind, also praktisch Grundgesetz. Auch in Deutschland könnte es eine solche Volksbewegung geben.
Wenn wir das schaffen würden, auf einem ähnlichen Wege eine demokratische Gesundheitsbewegung auf die Beine zu stellen, die verlangt, dass das Grundgesetz uns die freie Therapiewahl garantiert, dass man Ärzte und medizinische Verfahren selbst wählen darf und die Krankenkassen das bis zu einem gewissen Grad erstatten müssen, wären wir einen Riesenschritt weiter. Ohne den gegenseitigen Ansporn einer guten Vernetzung wird es aber nicht gehen.
Ich habe kürzlich bei einer Tagung zur Organtransplantation Pim van Lommel getroffen. Er hielt einen schönen Vortrag über außerkörperliche Erfahrungen seiner kardiologischen Patienten, über das „ewige Bewusstsein“ (vgl. Sterben und Tod: Tod als Geistgeburt begriffen). Am Ende forderte er auch den Paradigmenwechsel, Spiritualität als Realität anzuerkennen, weil die außerkörperliche Erfahrung wahr ist und in die Medizin integriert werden muss. Ich fragte ihn, wie er sich das vorstellt. Er sagte, er erwarte nichts mehr von der Wissenschaft, sondern alles von der Zivilgesellschaft. Dort wäre noch gesunder Menschenverstand vorhanden. Die Wissenschaft sei „eingekauft“ und viel zu fremdbestimmt durch Gelder aus der Wirtschaft, von denen sie abhängig ist. Von der Seite könne man den Paradigmenwechsel nicht erwarten. Solange man viel Geld verdient mit der Krankheit, wird man nicht freiwillig einen Paradigmenwechsel anstreben.
FRAGE: Ich fand sehr interessant, dass das Menschenbild in der Anthroposophischen Medizin sich auch vergleichen lässt mit dem Menschenbild anderer Ausrichtungen. Sie sprachen von einer transzendenten Ebene im Körper, die nach dem Tode den Körper verlässt. Gibt es dazu ein Konzept in der AM, das besagt, was mit dieser Ebene nach dem Tode passiert?
ANTWORT: Ich schreibe einige Werke von Rudolf Steiner dazu auf: GA ist die Abkürzung für das Wort Gesamtausgabe, die 358 Bände umfasst.
GA 27 ist das Grundlagenwerk für die Medizin,5 in dem das neue Gesundheits-Paradigma beschrieben wird. Dort wird auch charakterisiert, wie es zu dem „ewigen Bewusstsein“ kommt und wie es funktioniert: Wir denken mit der Lebenstätigkeit – den ätherischen Kräften, die unser Körper nicht (mehr) für Wachstum und Regeneration braucht. Warum ist Beten, Spiritualität gesund? Weil es die Lebenskräfte sind, die wir dabei betätigen – was natürlich gesundend zurückwirkt auf den Körper. Körperleben und Gedankenleben (Geistesleben) sind nicht getrennt. Beim Altern nimmt das Geistesleben zu und das Körperleben ab (vgl. Entwicklung: Stadien der menschlichen Entwicklung), das unterscheidet sie, aber sie bleiben bis zum Tod immer verbunden.
Zum Studium des Nachtodlichen würde ich euch raten, folgende Werke zu studieren:
„Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt“, GA 153.
Dann gibt es noch einen sehr schönen Zyklus: „Der Tod als Lebenswandlung“, GA 182,
und auch „Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen“, GA 141.
Mein Lieblingsbuch ist GA 10, „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“, das Schulungsbuch für die Selbstentwicklung.
Denn das habe ich bemerkt: Wenn man keine echte Freude an der Selbstentwicklung hat, ist man auch nicht wirklich motiviert, andere in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Man muss Experte werden in Sachen Entwicklung (vgl. Waldorfpädagogik: Lehrertugenden und Professionalität). Dazu gehört auch das Thema Unvollkommenheit, Spaß am Lernen – und nicht zu meinen, man dürfe keine Fehler machen. Durch meine kinder- und schulärztliche Tätigkeit bin ich zum Fehler-Apostel geworden. Jeder muss seine Fehler machen dürfen, weil man nur so authentisch wird. Angesichts von Fehlern sollten wir uns gegenseitig auf die Lektion hinweisen, die dadurch gelernt werden kann. Nur so können wir ein ungestörtes Verhältnis zu Fehlern entwickeln. Dieses Buch ist dabei eine große Hilfe. Es beschreibt die Entwicklung von Alpha zu Omega. Auch wenn Patienten weiterentwickelt sind als wir und Fragen bezüglich des inneren Weges haben, hilft es den Weg als Ganzes zu kennen.
Vgl. Arbeitsgruppe zum Arztberuf und zur Anthroposophischen Medizin, Sommerakademie Witten 2010
- Neues Testament, Johannes 8, 32.
- Ebenda, 15, 15.
- Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, GA 4, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1995.
- Rudolf Steiner, Die Hygiene als soziale Frage. In: Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft. GA 314. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1989, S. 221 - 261.
- Rudolf Steiner/Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27 (1991).