Heilende Verbindung von Mensch und Natur
Inwiefern stehen Mensch und Natur in einer heilsamen Verbindung?
Naturstoffe zur Arzneimittelherstellung
Die Natur ist nicht nur Lebensraum und Existenzgrundlage des Menschen. Ihre Stoffe und Kräfte liegen auch einer Fülle von Arzneimitteln zugrunde. Anthroposophische Arzneimittel sollen dazu beitragen, dass der Organismus – wann immer sinnvoll und möglich – in die Lage versetzt wird, eine Krankheit aus eigener Kraft zu überwinden. Sie stärken die gesundenden Kräfte und sind also vor allem darauf orientiert, die Körperfunktionen wieder ins Gleichgewicht zu bringen und die Abwehrkräfte zu stärken.
In der anthroposophischen Arzneimittelherstellung werden mineralische, pflanzliche, metallische und tierische Ausgangsstoffe verwendet:
Gängige mineralische Substanzen sind u.a. Quarz, Schwefel oder Kalk.
Bekannte Heilpflanzen sind z.B. Arnika, gelber Enzian oder Kamille.
Als Metalle kommen häufig Gold, Silber, Kupfer, Eisen und Zinn in potenzierter Form zum Einsatz.
Zu den tierischen Ausgangssubstanzen gehören z. B. Insektengifte von Biene, Ameise, Hornisse sowie Organextrakte von Säugetieren (aus Leber, Thymusdrüse, Nieren, Nerven u.a.).
Reicher Arzneimittelschatz
Alle anthroposophischen Medikamente werden nach komplexen Vorgaben der von Rudolf Steiner und Ita Wegman begründeten anthroposophischen Medizin hergestellt (vgl. Anthroposophische Medizin: Ita Wegmann und die Entwicklung der Anthroposophischen Medizin).1 Die meisten Ausgangsstoffe werden in hoher Verdünnung (homöopathisch potenziert) eingesetzt, nur sehr selten konzentriert.
Anthroposophische Arzneimittel enthalten häufig mehrere Inhaltsstoffe. Diese sind nicht nur kombiniert, sondern komponiert. Wie bei einem Orchester, so kommt es auch bei einem zusammengesetzten Arzneimittel darauf an, in welchen Anteilen die verschiedenen Einzelkomponenten gemischt sind. In dieser Art gemischt, ergeben sie eine andere Wirkung denn als Einzelbestandteile. So wie ein Orchester anders klingt als eine Violine allein.
Der anthroposophische Arzneimittelschatz umfasst etwa 2000 Substanzen, Kombinationen und eine Vielzahl von Darreichungsformen:
Ampullen, Augentropfen, Dilutionen, Einreibungen (ölige), Emulsionen, flüssige Verdünnungen, Flüssigkeiten zur Inhalation, Flüssigkeiten zur äußeren Anwendung, Gelate, Globuli, Granulate, Injektionen, Kapseln, Lotionen, Metallspiegelfolien, Mischungen, Nasentropfen (ölige), Öle, Pasten, Pflaster, Puder, Pulver, Salben (fettarm), Salben, Sirup, Tabletten, Tees, Tinkturen zum äußeren Gebrauch, Triturationen, Tropfen, Vaginalglobuli, Vaginaltabletten, Verdünnungen (wässrige), Zäpfchen.
Der Mensch als umgekehrte Pflanze
Aus anthroposophischer Sicht gleicht der Mensch einer umgekehrten Pflanze:
So wie der Mensch seine Nahrung – in Form von Nahrungsmitteln, aber auch als „seelische“ oder „geistige“ Nahrung in Form von Gedanken, Worten, Tatsachen aus Kunst und Wissenschaft, über den Kopf – aufnimmt, so versorgt sich die Pflanze über ihre Wurzeln mit den nötigen Nährstoffen.
Umgekehrt verhält es sich mit der Fortpflanzungsregion. Diese ist bei der Pflanze oben, Luft und Licht gegenüber geöffnet, wohingegen sie beim Menschen nach unten und innen gelagert ist, zur Erde hin.
Beiden gemeinsam ist, dass in der Mitte – bei der Pflanze über die Blätter, beim Menschen über die rhythmischen Funktionen von Atmung und Kreislauf – der Gasaustausch stattfindet.
Umgekehrte Wirkung der Pflanze auf den Menschen
So wirken die Anwendungen
von Wurzeln unterstützend und heilend bei Erkrankungen der Kopf- und Nerven-Sinnesorganisation,
Teeabkochungen und -zubereitungen aus Blättern bei Störungen der rhythmischen Funktionen (insbesondere von Herz und Lunge),
Zubereitungen aus Früchten bei Stoffwechsel- und Verdauungsstörungen.
Entsprechendes gilt für die Ernährung. Wer darauf achtet, dass der Anteil von Wurzeln, Blattgemüse, Früchten und Samen ausgewogen ist, sorgt für eine an den Bedürfnissen des ganzen Körpers orientierte Ernährung.
Beim therapeutischen Einsatz von mineralischen, pflanzlichen und tierischen Substanzen gilt es, „die Weltaufgabe dieser Substanzen zu verstehen“. Steiner regte an zu erforschen, welche Aufgabe ein bestimmtes chemisches Element oder eine Stoffkombination wie Wasser, Salz, Asche, Gerbstoffe oder Pyrit im Haushalt der Natur innehat. Die Signatur dieser Aufgabe bzw. Tätigkeit sagt auch aus, welche Wirkung die betreffende Substanz im menschlichen Organismus entfalten kann.
Den Menschen als Mikrokosmos kennenzulernen im Kontext der großen Weltentwicklung mit ihren Prozessen und Stoffzusammenhängen – nach alter Tradition Makrokosmos genannt – ist der Schlüssel zum Verständnis der anthroposophischen Arzneitherapie.
Vgl. Einleitung „Anthroposophische Arzneitherapie für Ärzte und Apotheker“, Loseblattsammlung mit 4. Aktualisierungslieferung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2012
- Rudolf Seiner und Ita Wegmann, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst, GA 27, Dornach 1935
- Helmut Kiene, Komplementäre Methodenlehre der klinischen Forschung: Cognition-based Medicine, Heidelberg – Berlin 2001.
- Gunver S. Kienle/ Helmut Kiene, Mistel in der Onkologie: Fakten und konzeptionelle Grundlagen, Schattauer 2003.