Kinder und Corona

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf unsere Kinder aus?

Was brauchen Kinder in dieser wie in allen Krisensituationen am allernötigsten?

Was ist das wichtigste, damit es ihnen gut geht?

Wie sehr sind sie von der COVID-19-Erkrankung direkt betroffen?

Kinder sind kaum betroffen

Die gute Nachricht ist, dass nach den bisherigen Erfahrungen Kinder und Jugendliche offensichtlich nicht schwer erkranken, sondern harmlose bis gar keine Symptome zeigen. Dazu bemerkte Prof. Drosten am 16.4. im NDR-Podcast, dass sich in Haushalten offenbar nur wenige Menschen anstecken, vermutlich aufgrund einer bisher unbemerkten Hintergrundimmunität durch Erkältungs-Corona-Viren.

In seinem Kommentar in der Stuttgarter Zeitung vom 17. April 2020 „Die Last der Familien - die Politik muss Eltern und Kinder in der Krise stärker unterstützen“ bringt Dieter Fuchs die Probleme zu Hause auf den Punkt:

„11,4 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern werden gezwungen, Erwerbstätigkeit, Lernen und Kinderfürsorge irgendwie zu organisieren, in einer weitgehenden Isolation von anderen Menschen, die helfen könnten. Vor allem für Familien mit kleinen Kindern ist das auf Dauer kaum machbar. Psychische und wirtschaftliche Probleme sind die Folge – Härten, die von der Politik bisher nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit bedacht werden. Das sollte sich ändern. (…) Es bedarf individueller Lösungen, organisiert womöglich von den Jugendämtern. Bildungsferne und arme Familien könnten sonst durch den Rost fallen. Und den Preis dafür zahlen vor allem die Kinder. Es droht eine Generation Corona. (…) Ihre Grundrechte auf Bildung, Freizügigkeit und sozialen Austausch werden ignoriert. Eine Gesellschaft, die Eltern und Kindern monatelang diese Last aufbürdet, wird einen hohen Preis dafür zahlen.“

Kinder brauchen menschliche Nähe

So wahr diese Worte sind, so wahr ist aber auch, was alles vor Ort von den Verantwortlichen in den Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen ermöglicht wird, um während der Zwangsschließungen Überbrückungsangebote machen, Online- und Telefonberatungen anbieten zu können und damit Solidarität zu zeigen. Eine Lehrerin z.B. hat alle Kinder zu Hause besucht, täglich mit den Eltern per E-Mail und Dropbox Aktivitäten und Aufgaben besprochen. Eine andere steht mit vielen Kindern in ständigem Briefkontakt. Denn: Kinder brauchen vor allem menschliche Verbindlichkeit, Präsenz und Nähe, nicht nur in Krisenzeiten – dann aber vor allem.

Sie brauchen in ihrem Umfeld mindestens einen Erwachsenen, der ihnen das Gefühl gibt, dass die Welt trotz aller Aufregungen um Corona in Ordnung ist. Auch in Kriegszeiten hatten Kinder immer dann den nötigen Schutz, wenn Erwachsene durch ihre innere Sicherheit, ihr Vertrauen in das Leben und die Zukunft Ruhe und Zuversicht ausstrahlen konnten. Das Schöne ist: Den Kindern zuliebe kann man viel leichter diese Qualitäten aufbringen als ohne sie. Gemeinsame Spiele, vorlesen, sich unterhalten, singen, malen, basteln – all das sind hilfreiche Instrumente, um die Verbindung zu intensivieren. Alles, was die unmittelbare menschliche Beziehung vertieft und Nähe erlebbar macht, ist seelische Nahrung, die in solchen Zeiten fast noch wichtiger ist als das gute Essen auf dem Tisch.

Kinder brauchen freudig tätige Erwachsene

Was aber kann man zu Hause und in der näheren Umgebung noch tun für die Kinder?

Wo immer möglich sollte man die Kinder in die häuslichen Tätigkeiten einbeziehen und mit ihnen gemeinsam kochen, putzen, aufräumen. Wenn die Erwachsenen etwas gerne machen, fühlen sich Kinder davon angezogen und wollen mitmachen. Dazu gehört auch, beim Spazierengehen mit den Augen der Kinder zu schauen, mit ihnen die Natur und ihre Schönheit zu entdecken, sich zu freuen am schönen Wetter, den Blumen, den Wolken, dem Wind.

Eine der Begleiterscheinungen der Corona-Krise ist ja der enorme Bedeutungsschub, den die Digitalisierung dadurch erfahren hat. Die soziale Isolierung verlagerte die Kommunikation auf die elektronischen Medien, Grenzschließungen und Reiseverbote bewirkten, dass man sich stattdessen virtuell per Zoom oder Skype zu treffen begann. Die Schulen machten E-Learning Angebote und auch die Nutzung von Medien zum „Spielen“ hat zugenommen. All das erschwerte das tägliche Bemühen vieler Eltern, die Bildschirmzeit zu begrenzen, manche haben sogar aufgegeben.

Körperliche Aktivität statt Bildschirmzeit

Umso klarer muss an dieser Stelle gesagt werden, dass es nichts gibt, was eine gesunde Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen mehr untergräbt und beeinträchtigt als ein Zuviel an Bildschirmzeit in den Jahren der körperlichen Entwicklung. Das gilt ganz besonders für die ersten drei Lebensjahre, in denen sich das Gehirn am schnellsten entwickelt. Daher lautet hier die goldene Regel: „Unter drei – Bildschirm frei!“

Der Medienratgeber „Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt“, der vom Bündnis für humane Bildung erarbeitet und herausgegeben wurde, sei in diesem Zusammenhang dringend empfohlen. 1 Er bietet nicht nur auf der Basis unabhängiger Forschung die nötige wissenschaftliche Grundlage, um die neurobiologischen Zusammenhänge zu verstehen. Er erläutert auch die verstärkte Sensibilität jugendlicher Gehirne gegenüber dem Elektrosmog und klärt auf über die Möglichkeiten, wie man Kinder vor Cybermobbing und anderen negativen Einflüssen aus dem Internet und den sozialen Netzwerken schützen kann.

Besonders wichtig darin sind aber die positiven Hinweise, was man an die Stelle der Bildschirmzeit setzen kann, um Kindern und Jugendlichen altersgerechte Bildungs- und Entwicklungsanregungen zu geben. Das menschliche Gehirn braucht etwa 16 Jahre, bis die Kontrollzentren im Frontalhirn soweit ausgereift sind, dass selbstständiges Denken, Verantwortungsgefühl und autonome Gewissensfähigkeit möglich sind.

Wie aber fördert man die Gehirnentwicklung am besten?

Durch ganzkörperliche Aktivität! Das gilt sowohl für gehirngeschädigte Säuglinge, die mit Gymnastik behandelt werden und durch bestimmte Bewegungsmuster die geschädigten Areale Anreize zur Regeneration und Unterstützung aus nicht geschädigten Bereichen bekommen, wie auch für die Demenzprophylaxe: Nicht Kreuzworträtsel und Kopfrechnen werden empfohlen, sondern körperliche Geschicklichkeits-, Koordinations- und Bewegungsübungen. So sind auch künstlerische Tätigkeiten wie Malen, Plastizieren, Singen, Musizieren, Kasperle- und Puppen-Theater sowie die klassischen Schultätigkeiten wie z.B. das mühsame Schreibenlernen von Hand komplexe ganzkörperliche Aktivitäten, die die Gehirnentwicklung am nachhaltigsten fördern. Tippen und wischen am Touchscreen hingegen bewirken das nicht, im Gegenteil. Am Bildschirm werden die eigene Aktivität des Körpers und eine komplexe sensorische Integrationsarbeit weitgehend ausgeschaltet.

Starrer Blick statt aktives Sehen

Schon der Seh-Akt vor dem Bildschirm ist genau das Gegenteil von dem, was ein gesundes Auge tut. Beim Schauen sind die Augenmuskeln aktiv und bewegen sich, um im wahrsten Sinne des Wortes wahrzunehmen, was man betrachten möchte. Vor dem Bildschirm hingegen bewegt sich das Bild und die Augenmuskeln sind starr und inaktiv. Was für Erwachsene mit ausgebildeten Gehirnstrukturen ein nicht so großes Problem ist, beliebig lange beruflich oder privat vor dem Bildschirm zu sitzen, ist für Kinder und Jugendliche eine permanente Fehlstimulation bei der Organreifung.

Was sind die Folgen?

Die Kinder gewöhnen sich daran, jeweils im vorgelegten Schema angemessen zu reagieren. Fantasie, Empathie, selbstständiges Denken werden in ihrer Entwicklung gehemmt. Daher gilt in der Waldorfpädagogik der Grundsatz: Eigeninitiative fördern statt konsumieren, selbst die Dinge lernen, bevor man sie an den Computer delegiert – das fördert die humanen Kernkompetenzen. Pädagog*innen sei der von Prof. Edwin Hübner erarbeitete Waldorf-Lehrplan zur Medienpädagogik empfohlen, der reichhaltige Anregungen bietet, in kreativer Weise auf die erforderliche Medienkompetenz und Medienmündigkeit hinzuarbeiten. 2 Nicht unerwähnt bleiben soll auch die Initiative der Allianz ELIANT, die sich gemeinsam mit dem „Bündnis für humane Bildung“ für ein Recht auf bildschirmfreie Kindergärten und Grundschulen einsetzt. 3

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919

  1. Dr. Med. Michaela Glöckler, Prof. Dr. Edwin Hübner, Stefan Feinauer, Media Protect E.V., Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten, EAN 9783982058504, 2019.
  2. www.waldorfschule.de/fileadmin/bilder/Allgemeines/BdFW_Medienpaed_an_WS.pdf. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Initiative „echt dabei“ aufmerksam machen und deren ausgezeichnete Website: www.echt-dabei.de, die ebenfalls hilfreiche Anregungen vermittelt, was man an Stelle des Bildschirms setzen kann. Für weitere Hinweise sieh auch das Literaturverzeichnis.
  3. www.eliant.eu

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