Strategien zur Eindämmung der Corona-Pandemie

Welche Strategien wurden angewandt, um der COVID-19-Pandemie zu begegnen?

Worauf zielen die unterschiedlichen Ansätze ab?

Durchseuchung versus Überwachung der Infektion

Zur gesundheitsstrategischen Bewältigung der Corona-Pandemie in Europa stehen sich zwei sehr unterschiedliche Ansätze gegenüber, beide von führenden Epidemiologen empfohlen.

Schweden setzte auf Anraten von Anders Tegnell, Arzt, Epidemiologe und maßgeblicher Berater der schwedischen Regierung, auf den Aufbau einer Herdenimmunität durch kontrollierte Durchseuchung, während das Leben weitgehend normal weiterging bei gleichzeitigen Schutzempfehlungen für die Risikogruppen. Die schwedische Regierung zog diese Strategie seit dem Auftreten von COVID-19 als einziges Land konsequent durch.

Die Verantwortlichen in der deutschen Gesellschaft für Infektiologe (DGI) dagegen verfolgten von Anfang an „eine Strategie der Überwachung und Kontrolle der Infektion. Dringend notwendig sind hierfür ein Ausbau der Testkapazitäten sowie die Isolation positiv getesteter Personen. Dazu müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, die bei der Kontrolle der Epidemie helfen können. Hierzu gehören sowohl das Smartphone-Tracking per COVID-19-App wie auch das Tragen von Gesichtsmasken, wenn die Möglichkeit eines direkten Personenkontaktes besteht.1

Vielen Menschen ist der Begriff der Herdenimmunität aus der Masern-Impfstrategie der WHO bekannt. Diese Strategie besagt, dass wenn fast alle Menschen immunisiert sind, Neuansteckungen nur noch im Ausnahmefall vorkommen können. eine Herdenimmunität ohne Impfung aufbauen will, weil sie wie im Fall von COVID-19 erst entwickelt werden musste, kann man das nur wagen, wenn das Gesundheitswesen flexibel ist und bestens personell und apparativ ausgestattet, um die Folgen dieses Vorgehens auffangen zu können. Denn man weiß bei einem solchen Vorgehen nicht, wie viele u.U. schwer erkranken werden. Großbritannien hat diesen Weg zunächst versucht, scheiterte aber bald aufgrund der Schwächen seines National Health Service, dem unterfinanzierten nationalen Gesundheitswesen.

Der schwedische Weg

So riskierte nur Schweden konsequent diese Vorgehensweise. In einem Interview der Zeitschrift Cicero vom 26. März 2020 betonte Anders Tegnell:

„Alle Länder haben dasselbe Ziel: Wir versuchen, die Verbreitung des Virus zu reduzieren (…) Wir sind uns aber auch darin einig, dass es sehr schwer abzusehen ist, was passiert, wenn man Schulen schließt. Viele Dinge passieren, wenn man das macht: Die Kinder sind davon betroffen, die Gesellschaft, besonders die Eltern. Darin unterscheidet sich Schweden von vielen Ländern: Hier arbeiten fast immer beide Elternteile. Und viele von ihnen arbeiten im Gesundheitssystem. Und wenn wir mit ihnen sprechen, sagen sie: Schließt die Schulen nicht. Das bedeutet, dass der Effekt dieser Maßnahme auf die öffentliche Gesundheit viel schlimmer sein wird als die Ausbreitung des Virus‘ in einer Schule. (…) Wir leben jetzt in einer seltsamen Welt. Normalerweise müssen wir im Gesundheitswesen darum kämpfen, damit Dinge getan werden, zum Beispiel Impfkampagnen. Jetzt müssen wir darum kämpfen, dass Dinge NICHT getan werden. Wenn Sie Wissenschaftler in ganz Europa fragen, ob es zu einem Zeitpunkt, zu dem es in jedem Land eine bedeutende Zahl an Corona-Fällen gibt, Sinn macht, die Grenzen zu schließen, wird die Antwort sein: Nein. Es waren die Reisenden, die das Virus am Anfang ins Land gebracht haben, aber jetzt sind sie es nicht mehr (…) Schweden unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von vielen anderen Ländern: Wir haben hier seit Jahrhunderten sehr starke Behörden. Ein Großteil des technischen Wissens liegt in diesen Behörden. Unsere Ministerien dagegen sind klein, sie unterstützen die Politiker bei den Entscheidungen, die diese treffen. Aber Politiker treffen in Schweden keine Entscheidungen in Detailfragen, sie geben nur die generelle Marschrichtung vor. Und die Behörden erarbeiten dann einen Plan, wie man vorgeht. Politiker treffen die Entscheidungen, aber diese basieren auf dem Wissen und der Erfahrung, die wir ihnen liefern (…). Es gab eine Reihe von Umfragen zu unserer Behörde und zu mir persönlich. Das Ergebnis ist: Wir haben unglaublich große Unterstützung.“2

In Schweden war also das öffentliche Leben nur wenig eingeschränkt, und die Zahl der Ansteckungen war eine zeitlang rückläufig, viele Intensivbetten waren leer. Tegnell vermutete, dass sich bereits 50 % der Bevölkerung angesteckt haben. Das kann aber nur eine spätere Testung belegen. Zahlen aus der Pressekonferenz mit Tegnell vom 16. April besagen, dass Schweden mit dem schnelleren Ansteckungsmodus ohne Lockdown pro 1 Million Bürger*innen 132 Corona-Tote zu beklagen hatte. Im Vergleich dazu haben Länder mit Lockdown, wo die Ansteckung langsamer verläuft, noch deutlich weniger: Finnland 14, Norwegen 28, Dänemark 55 und im Vergleich dazu Deutschland 46 Tote pro 1 Million Einwohner*innen.

Lockdown als richtige Strategie?

Die Verantwortlichen in der deutschen Gesellschaft für Infektiologe (DGI) hingegen halten dieses Vorgehen für einen gefährlichen Irrweg. Eine „kontrollierte Durchseuchung“ kommt für sie nicht in Frage. Sie berufen sich dabei auf vorliegende Zahlen und Hochrechnungen, die man daraus ableiten kann. Diese Strategie, zu der auch der Lockdown gehört, der das gesellschaftliche Leben lahmlegt, bestimmte 2020 – weil dies die derzeit herrschende wissenschaftliche Meinung war, den Alltag der meisten Länder. Sie gilt auch für Deutschland, obgleich sein Gesundheitswesen im europäischen Vergleich gut dasteht und obwohl führende Epidemiologen gerade auch in Deutschland sich deshalb für die „kontrollierte Durchseuchung“ ohne Lockdown ausgesprochen haben.

Die Frage nach der „richtigen Vorgehensweise“ kann immer nur durch den Willen, sie zu finden, beantwortet werden – und durch echtes Interesse am Wohle aller. Da reichen Statistiken und Hochrechnungen nicht. Sie bieten zwar rechnerische Sicherheit, können aber auch krass an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen. Wer dem Leben gerecht werden will, braucht neben Zahlen auch Mut und Realitätssinn.3

Vgl. Michaela Glöckler, „Fragen und Überlegungen zur Corona-Krise aus medizinischer Sicht“, in: „Corona – eine Krise und ihre Bewältigung, Verständnishilfen und medizinisch-therapeutische Anregungen aus der Anthroposophie“, ISBN 9 783751 917919

  1. https://www.dgi-net.de/senioren-vor-covid-19-schuetzen-junge-infizieren-ein-gefaehrlicher-irrweg/
  2. https://www.cicero.de/aussenpolitik/corona-pandemie-schweden-skifahren-staatsepidemiologe-anders-tegnell/plus
  3. So hat sich beispielsweise gezeigt, dass die in Deutschland am 23. März in Folge der Berechnungen des RKI angeordnete Kontaktsperre keinerlei Auswirkungen mehr auf den R-Faktor, die Übertragungsrate, von der die Ausbreitung der Pandemie abhängig ist, mehr hatte. Er blieb seit dem 22. März nämlich bei etwa 1 stehen. Vgl. dazu den Bericht des RKI vom 14. 4. 2020, online unter www.rki.de und den Bericht auf heise online, vom 14.4. 2020 unter www.heise.de

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