Grundsätzliches zur Reifung in den ersten drei Lebensjahren
Was ist mit embryonaler Reifung unter dem Gesichtspunkt der anthroposophischen Menschenkunde gemeint?
Wodurch kann der embryonale Reifungsprozess gestört werden?
Embryonalentwicklung und Wesensglieder
Wir sprechen in der anthroposophischen Menschenkunde auf sehr spezifische Art von Reifung: Reifung bedeutet, dass die Wesensglieder (vgl. Wesensglieder: Grundlegendes zum Thema Wesensglieder) Ich-Organisation, Astralleib (AL) und Ätherleib (ÄL) den embryonalen Menschenkeim im Mutterleib ergreifen und die Erbanlage von Mutter und Vater durchdringen und sich so zu eigen machen.
In der Regel entscheidet sich nach drei Monaten, ob das Kind den Erbleib wirklich annimmt, sonst kommt es zu einer Fehlgeburt (vgl. Die ersten drei Jahre: Gehen – Sprechen – Denken: Embryonale Leibwerdung und Bildebewegungen). Wenn die Anlage stimmt und angenommen wird, beginnt der eigentliche Reifungs- und Entwicklungsprozess des Körpers. Der Embryo ist schon in der Schwangerschaft gefährdet durch Stress der Mutter sowie durch Gifte wie u.a. Alkohol und Nikotin. In den ersten vier Wochen, in denen das Kind sehr vulnerabel ist, konsumieren selbst Mütter, die das sonst nicht machen würden, oft noch Substanzen, die für das Kind nicht gut sind, weil sie erst später merken, dass sie schwanger sind.
Grundsätzlich gilt: Je jünger der Mensch ist, desto entwicklungsoffener, störbarer, beeinflussbarer ist er auch. Warum ist das so? – Je jünger ein Kind ist, desto weniger Bewusstsein steht ihm zur Verfügung (vgl. Selbstbewusstsein: Ein gesundes Selbstbewusstsein erwerben). Das lässt sich mit der Metamorphose von körpergebundenen Wachstumskräften in leibfrei gewordene Gedankenkräfte erklären: Erst wenn die Körperreife soweit gediehen ist, dass die Organe fertig geformt sind, kann die zugrundeliegende Kraft den Leib verlassen und sich als Bewusstsein am Gehirn spiegeln (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Die Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte). Anders ausgedrückt: Bewusstes seelisch-geistiges Wachstum verdanken wir der Entstehung eines Seelenraumes, und damit der Möglichkeit Willens-, Gedanken- und Gefühlsaktivität zu entwickeln.
Reifung als labiles Gefüge verstehen
Unter dem Gesichtspunkt der Wesensglieder (vgl. Wesensglieder: Veranlagung und Struktur der Wesensglieder) verstehen wir unter physischer Reifung ein labiles Gefüge von körperlichen Reifungsvorgängen, die möglichst ungestört verlaufen sollten, aber nicht immer ungestört verlaufen. Und auch die freigewordenen Gedanken-, Gefühls- und Willenskräfte im Seelenraum sind sehr störanfällig. Um ein klareres Bild dieses Gefüges zu bekommen, müssen wir fragen:
Wie gehen das bewusste Ich, das bewusste seelische Gefühlsvermögen und das bewusste Gedankenleben miteinander um? (vgl. Mut: Der astralische Leib als Quelle von Mut )
Und wie kommt das erwachende, selbstbewusste Seelisch-Geistige mit seiner Umwelt zurecht?
Wir sehen, der Mensch ist ein doppelt angreifbares Gefüge, das einen seelisch-geistigen Aspekt und einen körperlich-leiblichen Aspekt hat. Die Seele ist zwischen beiden wie aufgespannt (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Denken, Fühlen und Wollen und Leib, Seele und Geist).
Der physische Leib ist ein Raumesleib, eine Gestalt im Raum (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des physischen Leibes).
Der Äther- und Gedankenorganismus, auch Lebensorganismus genannt, ist ein Zeitenleib, ein Prozessleib: Er ist der Träger aller Störungen in der Zeit. Er erinnert sich auf unbewusste Weise an all unsere Traumata und Probleme, hält sie alle fest, sie sind ihm tief eingeprägt (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Begabungen des Ätherleibes).
Von beiden wird auch das seelische Erleben beeinflusst.
Allem voran metamorphosiert sich der ätherische Organismus in unser leibfreies geistiges Vermögen. Astralleib und Ich-Organisation sind immer nur „Trittbrettfahrer“ bei diesem ätherisch-prozessualen Geschehen, weil sie selber weder räumlicher noch zeitlicher Natur sind. Sie ragen über die Prozessqualität des Ätherischen ins Physisch-Räumliche nur herein.
Die Gehirnreifung in den ersten drei Lebensjahren
Abschließend ein sehr verkürzter Blick darauf, welche Riesenleistung das Kind dank der rasanten Gehirnreifung in den ersten drei Lebensjahren vollbringt (vgl. Sinne(spflege): Grundlegendes zum Tastsinn). Man kann sich diesen Reifungsprozess bis hin zur geführten Bewegung gar nicht dramatisch genug vorstellen. Das sei hier in Bezug auf die Fähigkeit zu zeichnen exemplarisch dargestellt:
Zuerst haben wir den völlig unkoordiniert strampelnden Säugling vor uns.
Mit eineinhalb Jahren kritzelt das Kind schon gerne, es fällt ihm aber immer noch schwer, die Kreide, das Wachsblöckchen oder den Stift koordiniert zu führen.
Mit drei, vier Jahren wird die zunehmende Impulskontrolle in den zu diesem Zeitpunkt typischen Kinderzeichnungen bereits künstlerisch sichtbar.
Das geht soweit, dass ein geschulter Blick einer Kinderzeichnung den Entwicklungsstand des betreffenden Kindes unter bestimmten Gesichtspunkten ablesen kann vgl. Kunsttherapie: Paradigmen der Kunsttherapie). Allein dieser Reifungsprozess ist ein Wunder, (wenn auch ein störanfälliges Wunder): Sich vorzustellen, dass Kinder mit drei, vier, fünf Jahren bereits so viel Selbsterkenntnis haben, dass sie sich und ihren Entwicklungs(zu)stand so malen können, ist eigentlich unfasslich.
Vgl. Vortrag am Thementag „Unruhiges Kind“, Nov. 2012