Sprechen – Zuhören – Liebefähigkeit

Wie fördern wir die Sprachfähigkeit beim kleinen Kind?

Das Sprechen beginnt mit dem Zuhören. Der Kehlkopf muss sich erst zu einem Sprachwerkzeug entwickeln. Beim Säugling sitzt er noch ein bisschen zu hoch und das hat seinen guten Grund: So kann der Säugling gleichzeitig trinken und atmen. Auf dem Kehldeckel sowie auf der Schleimhaut der Luftröhre befinden sich noch Geschmacksknospen, die sich später wieder zurückbilden. Im Lauf des ersten Jahres steigt der Kehlkopf langsam ab. Dann hören die Kinder beim Schlucken auf zu atmen.

Bei den Säugetieren bleibt der Kehlkopf zeitlebens in dieser „Babyposition“. Deswegen können sie nur unartikulierte Laute und bestimmte Schreie von sich geben. Die Tiere können auch ihre Lippen, Zähne und den Gaumen nicht für das Sprechen ausbilden, weil der Kehlkopf in dieser Position bleibt und sich das Gaumendach nicht wölbt. Der Kehlkopf wird beim Tier also nie ein Instrument für Sprache. So ist nur die Bildung ganz bestimmter Laute möglich – je nach Formung des Mund- und Gaumengewölbes.

Was das Erlernen von Sprache fördert

Im Folgenden gebe ich einige praktische Hinweise, wie das Sprechenlernen kindgemäß gefördert werden kann.

  • Bedeutsame nonverbale Sprache

In dem Zusammenhang möchte ich die Bedeutsamkeit der nonverbalen Sprache betonen. Sprachförderung beim Kleinkind, insbesondere in den ersten drei Jahren, geschieht am besten durch „sprechende Handlungen“, indem die Kinder erleben, dass alles, was getan wird, einen Sinn hat. Zuschauen ist in diesem Alter wie Zuhören. Das Erleben von Sinnvollem ist der Anreiz, es entweder auch zu tun oder etwas Sinnvolles zu sagen. Heute wird viel zu viel auf Kinder eingeredet, erklärt – und nur wenige von diesen vielen Worten sind Ausdruck von nachvollziehbaren Taten, haben wirklich Gewicht.

Die wichtigsten Elemente der Sprachförderung sind also sinnvolle, sprechende, geschickte Bewegungen und Worte, die sich mit Taten decken. Kinder hören ganz genau, ob Worte Gewicht haben. Wenn nicht, nehmen sie sie nicht ernst. Dann provozieren sie so lange, bis der Erwachsene fuchsteufelswild wird und wirklich ganz bei der Sache ist oder aufgibt und sie gewähren lässt. Doch das ist für das Kind ein enttäuschendes Erlebnis, weil es dann am Erwachsenen nicht das Vorbild eines Menschen hat, der zu dem steht, was er gesagt hat.

  • Gute Artikulation und stimmige Sprachmelodie

Es ist wichtig, dass wir als Vorbilder für die Kinder selber gut artikulieren. 60 bis 70 Prozent der Kindergartenkinder haben heute Sprachstörungen. Das rührt u.a. auch daher, dass nicht gut artikuliert mit den Kindern gesprochen wird.

Nicht nur zum Stehen und Gehen brauchen wir alle Muskeln, sondern auch zum Sprechen. Um wirklich gut artikuliert sprechen zu können, müssen wir alle Muskeln einsetzen. Denn wenn wir sprechen, vollzieht unser Kehlkopf mit seinem kleinen Stütz- und Muskelapparat all die Bewegungen im Kleinen, die wir mit den Fingerspitzen, Händen, Armen und Beinen beim Bewegen machen. Deswegen ist die gesunde Bewegungsentwicklung eine so wesentliche Voraussetzung für das Sprechenlernen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Sprachmelodie. In ihr lebt das Gefühlselement der Sprache. Ihr Träger ist der Vokal. Vokale sind Musik. Sie geben der Sprache den ganz individuellen Klang. Die Konsonanten formen diesen Klangstrom und schließen ihn ab. Wir sind ständig dabei, Klangströme zu formen und abzuschließen – das nennen wir Sprechen.

  • Verbinden von Vokalen und Konsonanten

Diese einfache Betrachtung zeigt, dass in der Sprache immer zwei Aspekte eng miteinander verbunden sind:

  • Das eine ist das, was der Mensch in seiner Seele erlebt und durch den Klang als Stimmung, als Aussage nach außen kundtun möchte – über die Vokale.

  • Das andere ist, was dem Sprachstrom mit Hilfe der Sprachwerkzeuge, Muskulatur, Zähne und Gaumen formend entgegengehalten wird – die Konsonanten, die ihn unterbrechen, zurückstauen, quetschen.

Es ist ein Inneres und ein Äußeres – Luftstrom und Sprachwerkzeuge –, das wir beim Sprechen miteinander verbinden, eine Kommunion, die in uns selbst stattfindet. Sprache gestaltet immer, was der Mensch in und an der Welt und mit anderen erlebt und kommunizieren möchte.

Sprechen als Gestaltung von Beziehung in der Zeit

Beim Sprechen gestalten wir Beziehung in der Zeit, im Hier und Jetzt. Auch Hören verläuft in der Zeit. Wir können auch sagen, Sprache verläuft in der Zeit und gestaltet zugleich überzeitliche Beziehungen. Denn ich kann über die Vergangenheit sprechen und sie in die Gegenwart hereinholen. Ich kann aber auch die Zukunft planen und damit jetzt beginnen lassen. Die Gegenwart vermittelt zwischen beidem – sie ist der Raum, in dem gesprochen wird.

Das erklärt, warum der Erzengel Michael sich nur für die Zukunft interessiert. Rudolf Steiner formuliert in seinem Notizbuch: „Michael lebt nicht mit den Ursachen, sondern mit den Folgen der Menschentaten."2 Angesichts eines Problems ist nur wichtig, sich zu fragen:

Was kann ich daraus lernen?

Was hat das Problem aus mir gemacht?

Wie benütze ich diesen Schmerz, der mich geweckt hat, um etwas Sinnvolles für die Zukunft zu machen?

Das ist michaelische Gesinnung, die sich über die Sprache mitteilt. Mit einem Wort kann man die Vergangenheit abschließen, kann man sich entschließen, zu verzeihen oder um Verzeihung zu bitten und dann wieder neu zu beginnen (vgl. Das Böse - Widersachermächte: Das Böse verzeihen).

Sprache ruft Wesensqualitäten hervor

Welche Geister bitten wir zu Gast, wenn wir sprechen?

Durch die Art, wie wir miteinander sprechen, rufen wir ganz unterschiedliche Wesens- und Wirkensqualitäten in unsere zwischenmenschlichen Beziehungen herein. Die Geister, die wir durch unser Verhalten beim Namen rufen, sind wirklich anwesend, ob wir es wollen oder nicht.

  • Christus sagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen." 3
  • Luzifer sagt: Wo zwei in meinem Namen auf ihrem Standpunkt beharren, da bin ich mitten unter ihnen.

  • Ahriman sagt: Wo zwei in meinem Namen sich streiten, da bin ich mitten unter ihnen.

Meinem Vate 4 war es immer ein Anliegen zu betonen, dass die geistige Welt nicht im Jenseits ist, sondern im Hier und Jetzt. Und so wie Christus in allen Hierarchien seine Boten und Helfer hat, so haben auch Luzifer und Ahriman (vgl. Das Böse - Widersachermächte: Das Geheimnis des Bösen im Spiegel der Apokalypse) gewisse gefallene Engel als ihre Diener und Helfer.

In den Vorträgen, die Rudolf Steiner 1923 in Prag hielt,5 wird ausgeführt, dass es unsere Aufgabe als Erzieher ist, Kinder über das Sprechen auf das Erleben in der Nacht vorzubereiten, so dass sie stärkende Kräfte aus den mit dem Christus verbundenen Engelreichen mitbringen und nicht dämonische Inspirationen (vgl. Gesundheit: Gesundheit und Denken).

Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes – Was erhält das kleine Kind gesund?“, Persephone 2012, Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V. in Deutschland