Grundlegendes zur Ernährung
Was ist wichtig zu beachten im Hinblick auf Ernährung?
Welche Rolle spielen die Wesensglieder bei der Verdauung?
Was ist unter physischer, seelischer und geistiger Nahrung zu verstehen?
Allgemeine Aspekte zur Ernährung
In der anthroposophischen Ernährungstherapie kommen neben dem Fokus auf Inhaltsstoffe, Komposition und Schmackhaftigkeit der Nahrung weitere Aspekte in Betracht. Diese sind sowohl für eine gesunde Ernährung hilfreich als auch im Krankheitsfall. Sie ergeben sich aus der Betrachtung der menschlichen Konstitution:
Jahreszeitlich verfügbare Nahrungsmittel bevorzugen, möglichst frisch und schonend zubereitet
Maßvoll und mit Genuss essen – in Dankbarkeit für den Erhalt des Lebens
Nahrungsmittel aus artgerechter Pflanzen- und Tierhaltung und nachhaltig biologisch-dynamisch bewirtschafteter Boden
Beteiligung der Wesensglieder am Verdauungsprozess
Ernährung ist immer auch Transformation, Verwandlung. Alle vier Wesensglieder sind dabei beteiligt:
- Aufgabe der physischen Organisation
Die physische Organisation nimmt die Stoffe, aus denen unsere Ernährung besteht, auf (vgl. Wesensglieder: Gegenüberstellung von physischem Leib, Festem und Lunge).
- Aufgabe der ätherischen Organisation
Jenseits der Darmpassage wird die Nahrungssubstanz durch Aufnahme in das Pfortader-Blut, das zur Leber führt, in den Lebenszusammenhang der ätherischen Organisation aufgenommen (vgl. Wesensglieder: Gegenüberstellung von Ätherleib, Wasser und Leber).
- Aufgabe der astralischen Organisation
Die astralische Organisation sorgt dafür, in den gesamten Verdauungskanal Verdauungsfermente ausgeschieden werden. Indem das Blut mit den Nahrungsstoffen durch die Nieren fließt, kommt es in den Bereich der seelischen Funktionsdynamik dieses Organsystems von Ausdehnung und Zusammenziehung, Konzentration und Verdünnung. Dadurch werden die Nahrungsstoffe „durchseelt“ (vgl. Wesensglieder: Gegenüberstellung von Astralleib, Luft und Niere).
- Aufgabe der Ich-Organisation
Jetzt werden sie dem Einfluss der Ich-Organisation zugeführt, die für deren Abbau sorgt indem sie diese so erwärmt, dass sie „geisttragend“ werden und nicht mehr materiell darstellbar sind. An dieser Aufnahme in den Wärmezustand ist maßgeblich das Herzorgan beteiligt (vgl. Wesensglieder: Gegenüberstellung von Ich-Organisation, Feuer und Herz).
Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte
Im Herzen findet die Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte statt (vgl. Anthroposophische Menschenkunde: Die Metamorphose der Wachstumskräfte in Gedankenkräfte). Denn hier kommt das Lebenskraft tragende Blut am Ende jeder Diastole für Bruchteile von Sekunden zum Stillstand, bevor es durch die neuerliche Systole bzw. Herzmuskelkontraktion wieder in die großen Körperschlagadern der Aorta und des Truncus Pulmonalis ausgeworfen wird. Dieser kurze Stillstand des Blutes ist für den ätherischen Organismus wie ein kleiner Sterbeimpuls für einen kleinen Teil des Blutes, indem seine zirkulierende Lebensregsamkeit jäh unterbunden wird. Im Zusammenspiel von ätherischer, astralischer und Ich-Organisation löst sich Lebenskraft aus dem Körper, um sich in leibfreies seelisch-geistiges Potential umzuwandeln, das jetzt für unser Denken zur Verfügung steht (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Wachstums- und Gedankenkraft).
Literatur zum Thema Ernährung
Rudolf Steiner hat diese geistig-physische Ernährungsphysiologie in den ersten fünf Kapiteln des Buches „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“ 1 dargestellt und empfohlen, jede ernste Erkrankung im Kontext der Therapie auch ernährungstherapeutisch zu begleiten, um die durch den Krankheitsprozess herabgestimmte Vitalität durch diätetische Maßnahmen zu unterstützen.
Ein umfassendes Grundlagenwerk zu dieser krankheitsbezogenen, detaillierten anthroposophischen Ernährungstherapie steht noch aus. Es gibt aber bedeutende Pioniere wie Gerhard Schmidt, Udo Renzenbrink und Petra Kühne, die schon zu wesentlichen Grundaspekten der Ernährung, zu Ernährungsempfehlungen bei verschiedenen Krankheitsbildern sowie zu der therapeutischen Anwendung einzelner Nahrungsmittel publiziert haben.
Dr. med. Otto Wolff, der Altmeister der Anthroposophischen Medizin schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg – eine vielgelesene Einführung mit dem Titel: „Was essen wir eigentlich?“.2 Auch sein mehrbändiges Werk, das auf der Grundlagenarbeit von Friedrich Husemann beruht und den Titel trägt: „Das Bild des Menschen als Grundlage der Heilkunst“3 ist in diesem Zusammenhang sehr lesenswert.
Durch den Ernährungsvorgang wird die substanzielle Struktur der Organe und Organsysteme kontinuierlich im „Fließgleichgewicht“ gehalten und im Laufe der Jahre immer wieder vollständig ausgetauscht. Das heißt, die in der Körpersubstanz wirksamen und dirigierenden vier organisierenden Kraftsysteme bleiben identisch, wohingegen die Nahrungsstoffe kommen und gehen.
Verhältnis von physischer, seelischer und geistiger Nahrung
Von der Kindheit bis ins hohe Alter vollzieht sich so ein Wandel, auch in der Art und Weise, wie sich physische und geistige Nahrung zueinander verhalten.
In der Kindheit überwiegt die Bedeutung der physischen Ernährung.
Im Alter brauchen wir vor allem geistige Ernährung (vgl. Gedankenkraft: Ernährung und Gedankenleben).
Die seelische Nahrung ist lebenslang gleichbleibend wichtig: Gefühle des Friedens, der Dankbarkeit, der Liebe und Zuversicht, des Mutes und der Hoffnung – insbesondere aber der Demut und Verehrung gegenüber der Wahrheit – wirken aufbauend und Leben erhaltend.
Ein Praxisbuch zu einer dieserart seelischen und geistigen Ernährung für die verschiedenen Lebensalter im Zusammenhang mit der jeweils physischen steht ebenfalls noch aus. In der genannten Literatur finden sich jedoch schon diverse Anregungen dazu.
Maßvolles Essen
Muss der Körper zu viel verdauen, erlahmt die seelisch-geistige Aktivität. Müdigkeit und vermehrtes Schlafbedürfnis sind die Folge.
Wird zu wenig und überwiegend leicht Verdauliches gegessen, sind erhöhte Wachheit, auch Nervosität und etwas „außer sich sein“ die Folge. Oft wird dies verstärkt durch Einschlafstörungen und ein damit verbundenes chronisches Schlafdefizit.
Durch möglichst regelmäßiges und maßvolles Essen für ein altersentsprechendes Gleichgewicht zwischen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit zu sorgen, ist eine lebenslange Aufgabe.
Diesen Zusammenhang differenziert zu erarbeiten, erscheint mir vor allem im Hinblick auf die Zukunft notwendig. Gibt es doch einerseits den Umstand, dass ein Großteil der Menschheit zu viel isst, jeder neunte Mensch dennoch abends hungrig ins Bett geht. Und nur wenige können sich eine biologisch wertvolle und nachhaltig angebaute Nahrung leisten. Hier ist ein Bewusstseinswandel, eine umfassende Neuorientierung nötig, die auch die Erziehungsfragen miteinschließen kann, die zu einem Verständnis der geistigen Ernährung beitragen. Denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Mund Gottes geht“. 4
Geistige und physische Ernährung unterstützen einander. Entscheidend ist, dass der Gesunderhaltung der Böden und des Saatguts mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommt. Daher gibt es bedeutsame Initiativen, wo auf dem Boden der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie die Belange der biologisch-dynamischen Landwirtschaft und der Saatgutforschung voll integriert sind, wie z.B. in der Lebensgemeinschaft Bingenheim.5
Vgl. „Kindersprechstunde, Ein medizinisch-pädagogischer Ratgeber. Erkrankungen, Bedingungen gesunder Entwicklung, Erziehungsfragen aus ärztlicher Sicht“
- Rudolf Steiner/Ita Wegman, Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, GA 27.
- Otto Wolff, Was essen wir eigentlich?, Praktische Gesichtspunkte zur Ernährung.
- Otto Wolff, Das Bild des Menschen als Grundlage der Heilkunst.
- Neues Testament, Matthäus, 4, 4.
- Die Lebensgemeinschaft Bingenheim ist ein anthroposophischer Lebensort für Menschen mit einer "geistigen Beeinträchtigung". Sie bietet Naturkostprodukte aus eigener Erzeugung im Naturkostladen Allerleirauh und verschiedene Werkstätten an.