Erziehung, Drogenprophylaxe- und Therapie

Wie kann dem Griff zur Droge vorgebeugt werden?

Welche Rolle spielt dabei die Erziehung?

„An Stelle des Ich“ heißt das sehr lesenswerte Buch des holländischen Drogentherapeuten und Psychologen Ron Dunselmann1, in dem er in differenzierter Weise die körperlichen, seelischen und geistigen Wirkungen der Drogen beschreibt. Es ist wirklich so, dass die jeweilige Droge an Stelle des Ich tritt, indem sie eigene Aktivität ersetzt und bestimmte Erlebnisse und Erfahrungen vermittelt, ohne dass man die dafür nötige Entwicklungsarbeit selbst hätte leisten müssen. Auch die Psychotherapie kämpft mit diesem Problem. Wie viel leichter ist es doch, ein Schlafmittel oder eine Beruhigungspille zu nehmen, als beispielsweise beten zu lernen oder einen meditativen Weg zu beschreiten, durch den man selber die innere Ruhe finden lernt oder aber durch Meditation dahin zu gelangen, dass einem die Natur wieder geistdurchdrungen erscheint, das eigene Gedanken- und Gefühlsleben farbiger und realer wird (vgl. Gefühle und Fühlen: Anregung der Gefühle durch Sinnesschulung). Wie viel leichter ist es, Tabletten zu schlucken, die einen abschirmen oder euphorisieren, anstatt notwendige Übungen zur Selbsterziehung und inneren Stabilisierung vorzunehmen, um die Lebensumstände besser auszuhalten! Andererseits ist es auch immer wieder erstaunlich zu sehen, welches Ausmaß an Leid manche Menschen zu tragen bereit sind, woran sie innerlich arbeiten, und wie rasch unter Umständen ein anderer – weil es ihm unerträglich wird – nach der Droge greift.

Wenn nun im Folgenden einige Gesichtspunkte zur Vorbeugung und Therapie genannt werden, so geschieht das in dem Bewusstsein, dass sie nur sinnvoll sind, wenn zu dem Betroffenen gleichzeitig ein echter, tragfähiger menschlicher Kontakt aufgebaut wird. Kann doch der Mensch allen Versuchungen widerstehen, wenn er es sich selbst oder einem anderen Menschen zuliebe tut, wenn er vom Ich aus die Herrschaft in seinem Denken, Fühlen und Wollen anstrebt. Dabei sind sicher diejenigen die begabtesten Helfer und Therapeuten, die aus ihrem eigenen Leben Situationen kennen, in denen sie nahe daran waren, nach der Droge zu greifen, oder sie auch vorübergehend genommen haben, um dann wieder davon loszukommen aufgrund der Erfahrung, dass dies kein weiterführender Weg ist. Drogenkonsum und –abhängigkeit sind – wenn nicht wirksam eingegriffen wird – der Weg in Krankheit und zunehmende Ausschaltung der Eigenaktivität und damit des Ich. Die Anzeichen dafür sind Antriebs- und Willensschwäche, Aushöhlung des Gefühlslebens sowie die Untergrabung einer geordneten Gedankentätigkeit.

Da Orientierungslosigkeit, Zweifel, Hassgefühle gegenüber der Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit der Welt sowie existenzielle Angst und Sorgen weltweit zunehmen und auch vor Jugendlichen und Kindern nicht Halt machen, ist es verständlich, dass etwa jeder Dritte bis Fünfte weltweit Alkohol konsumiert und jeder Zehnte bis Fünfzehnte gefährdet ist, unter entsprechendem inneren oder äußeren Druck auch nach anderen Drogen zu greifen. Ebenso ist es verständlich, dass immer mehr Stimmen nach der Legalisierung der Drogen rufen und den Umgang damit in die Verantwortung des Einzelnen legen wollen.

Denn wie will man wirksam verbieten, was immer mehr Menschen als normal ansehen, weil sie es „brauchen“?

In einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Kräfte und auch die religiösen Traditionen nicht mehr als tragfähig empfunden werden und neue innere Tragekräfte und persönliche Stabilität noch nicht zureichend entwickelt sind, muss es zu solchen krisenhaften Erscheinungen kommen, wie wir sie gegenwärtig erleben. Doch anstatt hier aufzugeben und das Kranke für gesund zu erklären, möchten wir motivieren, alles nur irgend Mögliche dafür einzusetzen, dass an die Stelle der Droge das aktive Menschen-Ich treten kann, das sich und seiner Mitwelt auf dem Entwicklungsweg weiterhilft (vgl. Mut: Ich-Organisation und Ich-Wesen als Quelle von Mut).

Alkohol- und drogenabhängige Kinder und Jugendliche sind oft empfindsamer als andere. Sie sind den Härten des alltäglichen Lebens nicht genügend gewachsen (vgl. Kindsein heute: Drogensucht verstehen - und ihr entgegenwirken). Sie weichen Problemen entweder aus oder versuchen sie gewaltsam zu lösen – es fällt ihnen schwer, sich Tag für Tag mit ihnen auseinander zu setzen, bis sie wirklich verarbeitet sind. Demgemäß ist die Therapie nur mit großer individueller Anstrengung der Betroffenen und einer stützenden Umgebung Erfolg versprechend.

Prophylaxe durch Erziehung

  • Konsequent die Möglichkeit geben, selber aktiv zu werden, es „selber zu machen“: „von sich selbst abhängig“ werden.
  • Stillen in der Säuglingszeit statt Flaschenernährung.
  • Echtes Interesse für die Entwicklungsschritte des Kindes.
  • Sinnespflege (vgl. Sinne(spflege): Zwölf Sinnestätigkeiten - Sinnespflege).
  • Pflege guter Gewohnheiten im Tagesablauf bis hin zu regelmäßigen Mahlzeiten (vgl. Lebensrhythmen: Pflege von Lebensrhythmen1 in der Kindheit).
  • Vermeiden von Zwischenmahlzeiten in Form von Süßigkeiten.
  • Grenzen setzen, einen Mittelweg zwischen Strenge und Nachgiebigkeit finden, so dass das Kind sich sicher fühlen kann.
  • Stärkung der Phantasie durch Märchenerzählen und Vorlesen inhaltsreicher Geschichten, Sagen und Lebensberichte.
  • Schutz vor passivem Konsum von vorgefertigten Bildern und Erlebnisinhalten.
  • Spirituelle Erziehung, undogmatisches Religionsverständnis.

Vgl. 16. Kapitel von „Gesundheit durch Erziehung“, Persephone, Kongressband 2006, derzeit vergriffen**

  1. Ron Dunselmann, Anstelle des Ich. Freies Geistesleben 1996.