Heileurythmie beim Kleinkind

In einer befreundeten Familie wurden zwei Kinder adoptiert: ein Säugling direkt nach der Geburt, dessen Mutter drogenabhängig war, und ein Kind, das schon einige Monate alt war. Bei beiden wurde von Anfang an Heileurythmie gemacht, jeden Morgen und jeden Abend – vor allem Vokale.

Vokale entsprechen den Inkarnationsbewegungen des Kindes im ersten Lebensjahr:

• Das „I“ als Bewegung

Die erste eigenaktive Bewegung direkt nach der Geburt, wenn der auf dem Bauch liegende Säugling den Kopf hebt und die Nackenmuskulatur streckt, entspricht dem „I”. Manchmal ist der Kopf so schwer, dass er bei diesem ersten Heben richtig wackelt. Im Laufe der Wochen und Monate kommt allmählich Spannung in die Muskulatur – das „I”.

Wer Eurythmie machen will, lässt sich zuerst ganz locker hängen und richtet sich dann langsam auf, bis er den Kopf ganz aus der Schwere befreit hat. Diese entscheidende „I”-Gebärde, die der Eurythmisierende zuletzt ausführt, ist beim Säugling die erste: Er ergreift seinen Leib zuerst in der Kopfregion. Was Kinder später mit Freude wiederholen, dieses Recken des Kopfes, wenn sie sagen können – Hier bin ich! – das haben sie als Erstes gelernt.

• Das „E“ als Bewegung

Sobald der Blick Gegenstände zu fixieren beginnt und die Sehachsen sich kreuzen, wird der nächste Laut errungen: Jetzt beginnt das Spiel mit den Fingern, die Selbstberührung, das gezielte Greifen – das „E”. Die Bewegungen des Kindes pendeln zwischen „E” und „I”, wobei das „I” immer gerichteter wird.

• Das „A“ als Bewegung

Allmählich öffnen und schließen sich auch die Arme; es dauert aber eine ganze Weile bis sie wirklich gerichtet geöffnet werden können – was dem „A” entspricht.

• Das „O“ als Bewegung

Nach dem „E” ist das „O” an der Reihe, z.B. beim Umarmen der Puppe.

• Das „U“ als Bewegung

Als letztes wird mit der Parallelstellung der Beine das „U” errungen: Die Streckung der Beine ist mit sechs Monaten möglich; bis zum freien Stand im „U” dauert es meist noch ein halbes Jahr.

  • Die Vokale sind die Inkarnationshelfer des Ich par excellence. Durch sie „verselbsten” wir uns. Ein Erwachsener kann sein schwaches Selbstgefühl durch vokalisierende Eurythmie stärken. Mit Vokalübungen tun Sie den Kindern, aber auch sich selbst etwas Gutes – sie bringen ein Wohlgefühl in den Körper.
  • Mit Hilfe von Konsonantenübungen, die im Stehen ausgeführt werden, kann das Gedächtnis verbessert und die Ausformung des Leibes unterstützt werden, können bei Kindern Fehlentwicklungen und Deformationen aufgelöst, kann anstelle dessen die richtige Form entwickelt werden.

Vokal- und Konsonanten-Eurythmie ist ein hilfreiches Instrument, wenn man täglich damit arbeitet.

Ich beobachtete in der oben erwähnten Familie, wie sich die beiden Kinder trotz ihrer problematischen Vorgeschichte gesund entwickelten. Es war sehr schön, es selbst zu beobachten und davon zu hören. Ich führe diese positive Entwicklung auf die Persönlichkeit der Kinder, der Eltern, aber auch auf die Wirkung der Eurythmie, der bewussten, aktiven Handhabung des Ätherleibes, zurück. Dem Kind wird mit der Eurythmie etwas Gesundendes, Heilendes angeboten. Wir manchen in einem Säuglingsraum manchmal Eurythmie, damit die Kraft der archetypischen ätherischen Leibergreifungsbewegungen auf die nachahmungsbereiten Kinder wirken kann.

Diese Wirkungen müssen wir selbst auch kennenlernen. Eurythmie entspringt der Bewegungsfreude, der Geschlossenheit des Ich, dem inneren Wesen der Laute: Wir können

  • Bewunderung und Verehrung beim „A” empfinden,
  • Ehrfurcht beim „E”,
  • Selbstbehauptung beim „I”,
  • liebevolles Umgreifen und Geschlossenheit beim „O”,
  • „Ich suche mich im Geiste” beim U.

Diese Qualitäten rufen das Wesen des Kindes in den Leib herein und erfüllen die Seele über die Bewegung mit Freude (vgl. Erziehung: Anthroposophische Frühförderung).

Vgl. „Die Würde des kleinen Kindes“, 3. Vortrag, Kongressband Nr. 2, gelbes Heft**