Die Bedeutung des kindlichen Spiels am Beispiel von „Flow“

Der amerikanisch-ungarische Psychologe und Philosoph Mihaly Csikszentmihaly1 fühlte sich durch die psychologische Literatur zur Selbstverwirklichung und die von Maslow so genannten „Peak Experiences“2 sehr animiert. Maslow lieferte detaillierte Beschreibungen subjektiver Gefühlszustände, wie sie ihm in Interviews mit Künstlern, aber auch Bergsteigern und Chirurgen und schließlich einfachen Bauern und Handwerkern, während ihres Tuns berichtet worden waren.

Csikszentmihaly prägte einen Begriff, den man inhaltlich dem gesunderhaltenden Kohärenzgefühl gleichsetzen könnte. Es ist der Begriff des „Flow“.3 Damit ist die Erlebnisqualität des Fließens, des Im-Fluss-Seins, gemeint: Wenn wir „im Flow“ sind, befinden sich Fühlen, Denken und Wollen in völliger Übereinstimmung miteinander. Wir erleben uns in eine fließende Erfahrung eingebettet, wobei wir unser Tun mühelos meistern und Umwelt und wir selbst, Stimulus und Reaktion eins sind. Auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehen zeitlos fließend ineinander über. Wir sind vollkommen glücklich, wobei das Beglückt-Sein durch das eigene Tun hervorgerufen wird. Wer in dieser Art Freude am Tun erlebt, dessen Selbstvertrauen wird ebenso gestärkt, er ist zufrieden und fühlt sich solidarisch mit anderen.

Dem Flow-Erlebnis auf der Spur

Wie kommt es nun zu diesem Flow-Erlebnis?

Wodurch zeichnet es sich aus?

Csikszentmihaly stellte nun die Frage, ob nicht jedermann unter geeigneten Bedingungen zu solchen Erlebnissen kommen könnte. Dann ließen sich auch „langweilige“ Alltagsaufgaben in erfreuliche und sinnvolle Aktivitäten umwandeln. Er interviewte Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen, die intensive Sinneserfahrungen bei spielerischen wie auch ernsthaften Aktivitäten gemacht hatten, und kam zu dem Schluss…

„…, dass jede Aktivität innerlich lohnend sein kann, vorausgesetzt, sie ist passend strukturiert und unsere Fähigkeiten sind ihren Herausforderungen angepasst. Unter diesen optimalen Bedingungen haben wir auch an der Arbeit Freude und sogar an Gefahren und Stress.“4

Die Möglichkeit, dass das Tun als solches befriedigend sein kann, wies ihm den Weg zu einer potentiellen Kraftquelle der Menschheit, die die Jagd nach Geld, Status, Macht und Prestige, die landläufig als Glück bringend missverstanden wird, ersetzen könnte.

Csikszentmihaly versuchte bei seinen Untersuchungen genau zu verstehen, wie Menschen sich fühlen, wenn sie sich im Flow-Zustand befinden: Körper und Seele sind bis an die Grenzen angespannt bei dem freiwilligen Bemühen, etwas Schwieriges, für sie Wichtiges zu erreichen – und das dann auch zu schaffen. Jedem Menschen böten sich unzählige Gelegenheiten, über sich selbst hinauszuwachsen. Man müsse nur darauf aufmerksam werden und sich dann entsprechende Herausforderungen suchen.

Im Spiel ganz Mensch sein

Im Rahmen seiner Forschungen befasste sich Csikszentmihaly intensiv mit dem Spiel:

„Wenn der Mensch spielt, ist er im Vollbesitz seiner Freiheit und Würde. Wenn wir herausfinden könnten, was das Spielen zu einer derart befreienden und belohnenden Aktivität macht, kämen wir in die Lage, dieses Wissen auch außerhalb des spielerischen Rahmens anzuwenden.“ 5

Als bildhaftes Beispiel schilderte er, wie sich ein Kind fühlt, wenn es „mit zitternden Fingern die letzten Klötze auf einen Turm legt, der höher als jeder andere ist, den es bislang gebaut hat“.

Was für den Jugendlichen und Erwachsenen Entspannung, Ausgleich von Stress oder fröhlicher Zeitvertreib ist, ist für das Kind Fähigkeitsbildung an Leib und Seele mit Hilfe geeigneter, die altersentsprechende Entwicklung fördernder Materialien:

  • Spielend ist das Kind ganz bei der Sache und gleichzeitig ganz bei sich. Selbstvergessen erlebt es sich eins mit seinem Tun.
  • Spiel ist für das Kind Arbeit, Beschäftigung, sinnerfülltes Leben – alles, nur nicht „Spiel“.
  • Es gewinnt über das vertiefte Tun essentielle Erkenntnisse über sich und die Gesetze der Welt.
  • Das eigene Vorstellungsvermögen, die kreative Phantasie, wird beim Spielen aktiviert.
  • Die Eigenaktivität bestärkt Kinder in ihrer Autonomie.
  • Das Kind bildet dabei neue Fähigkeiten aus – und wächst buchstäblich über sich selbst hinaus.

Wer so spielen durfte, wird im Erwachsenenalter auf höherem Bewusstseinsniveau darauf zurückgreifen und sich selbst zu immer neuen Lebenshöhepunkten führen können. Denn das Flow-Erlebnis ist Ausdruck des menschlichen Spieltriebs, der uns allen innewohnt. Schon Friedrich Schiller sagte etwas zutiefst Wahres:

„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ 6

Vgl. „Kindsein heute, Schicksalslandschaft aktiv gestalten“, Stuttgart – Berlin 2003

  1. Mihály Csíkszentmihályi (* 29. September 1934 in Rijeka) ist emeritierter Professor für Psychologie an der University of Chicago und Autor. Er wurde als Sohn des ungarischen Konsuls im heutigen Rijeka, das damals zu Italien gehörte, geboren. 1975 beschrieb er das Flow-Erleben und gilt seither als der herausragendste Wissenschaftler auf diesem Gebiet.
  2. Abraham Maslow, Motivation und Persönlichkeit, Hamburg 1981.
  3. Mihaly Gsikszentmihaly, „Das flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und Langeweile: im Tun aufgehen“, 6. Aufl. Stuttgart 1996, und Flow. Das Geheimnis des Glücks, 5. Aufl. Stuttgart 1995.
    Siehe dazu: Roswitha v. dem Borne, Einfach fallen lassen. Der Rausch nach Grenzerfahrungen, Stuttgart 2001.
  4. Mihaly Gsikszentmihaly, a.a.O.
  5. Mihaly Gsikszentmihaly, a.a.O.
  6. Friedrich Schiller, „Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen“, Prosa Schriften, Stuttgart 1956.