Johannes und die Gemeinde, die seinen Namen trägt

Was kann die Wesenheit des Johannes zur Gemeindebildung beitragen?

Wenn eine Gemeinde den Namen des Johannes für ihre Kirche wählt, ist damit die Aufgabe verbunden, diese Johanneswesenheit kennenzulernen. Einzelne oder auch Gruppen von Gemeindemitgliedern können sich mit der einen oder anderen Eigenschaft des Johannes auseinandersetzen. In einem weiteren Schritt können sie sich darum bemühen, diese Eigenschaften selbst auch zu erarbeiten und dadurch etwas von seinem Wesen in der Gemeinde zur Wirksamkeit zu bringen.

Dazu möchte ich ein Beispiel nennen. Johannes steht in einer engen Verbindung zur Erweckung des Lazarus und damit zu den Evangelien-Worten: „Lazarus komm heraus!" Das Erweckt-Werden vom Tode steht für die Tatsache, dass man ein zweites Leben geschenkt bekommt. Um das Bewusstmachen dieser Realität geht es heute: Jeder Mensch hat in diesem Leben auch noch ein zweites Leben, nur sind sich viele dessen nicht in aller Konkretheit bewusst. Man kann sich dafür sensibilisieren durch folgende Fragen:

Bin ich schon einmal in Lebensgefahr gewesen?

Wie oft konnte ich dem Tod dadurch entgehen, dass mir in kritischen Situationen nichts passiert ist – sei es nun im Straßenverkehr oder bei einsamen nächtlichen Reisen oder in einer fremden Großstadt oder, oder, oder ...?

Werden wir nicht in gewisser Weise jeden Morgen neu aufgerufen, das Leben fortzusetzen?

Wenn man sich bewusst geworden ist, dass man das Leben durch dieses oder jenes Ereignis noch einmal geschenkt bekam, liegt es nahe, sich zu fragen:

Was will ich mit diesem geschenkten Leben tun?

Es ist eine lohnende Gedanken- und Gefühlsübung, sich an drei Tagen im Jahr vorzustellen, man wäre schon gestorben, und dann diese Tage so zu leben, wie man leben würde, wenn man aus dem Totenreich noch einmal für drei Tage wieder auf die Erde kommen dürfte.

Was wäre einem dann wichtig?

Womit würde man sich beschäftigen?

Zu welchen Menschen würde man vielleicht hingehen, um die Beziehung in Ordnung zu bringen?

Mit dem Gedanken an die Auferweckung des Lazarus, der zum Johannes wurde, 1 kann einem deutlich werden, dass eine Kirche, die diesen Namen trägt, einen Lehrer hat, der die Schwelle zur geistigen Welt (vgl. Schwellenerfahrung: Die Schwelle zur geistigen Welt) persönlich kennengelernt hat. Christus ist ihm an dieser Schwelle begegnet und hat ihn zu einem neuen Leben mit einem neuen Namen aufgerufen. Ein solches Schwellenbewusstsein zu pflegen, kann viel zur Gemeinschaftsbildung innerhalb einer Gemeinde beitragen und gibt auf der anderen Seite der Wesenheit des Johannes die Möglichkeit, in der Gemeinde wirksam zu sein, weil er sich erkannt und angesprochen fühlt.

Vgl. „Wie ist Entwicklung zur Selbständigkeit und Gemeinschaftsbildung vereinbar?“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997**

  1. Rudolf Steiner wies in Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums (1902, GA 8) und später darauf hin, dass die im Johannesevangelium geschilderte Totenerweckung des Lazarus in Wahrheit ein durch das Schicksal eingeleiteter Einweihungsakt war. Lazarus ging, wie in vorchristlichen Mysterien gebräuchlich, durch einen dreieinhalbtägigen Todesschlaf, aus dem ihn der Christus erweckte. Von da an trug Lazarus den Einweihungsnamen Johannes (hebr.: „der HERR (JHWH) ist gnädig“; im Judentum Ausdruck einer als göttliches Geschenk gegebenen Geburt). Johannes, der erweckte Lazarus, ist nach Steiner identisch mit dem Schreiber des Johannesevangeliums, dem Evangelisten Johannes. (Vgl. Anthrowiki – Lazarus und Johannes.)