Erziehung zur Konfliktfähigkeit

Wie lassen sich Konflikte zwischen Eltern bzw. Erziehern und Kindern konstruktiv bewältigen?

Welche Rolle spielt dabei die Erziehung?

Wie kann eine Erziehung zur Konfliktfähigkeit aussehen?

In dem Moment, in dem das Kind laufen lernt, kann es auch etwas tun, weil es jetzt die Hände frei hat. Zwischen ihm und der Mutter entstehen spannungsreiche Momente, wenn das Kind etwas unternimmt und die Mutter Sorge hat, es könnte etwas passieren. Will man dem Kind Spielraum geben für die Erprobung seines Willens, ohne seine Intentionen ständig umzulenken oder zu unterbinden, so gibt es nur eins: die Umgebung des Kindes so zu gestalten, dass es seinem Entdeckungs- und Tätigkeitsdrang voll nachkommen kann.

Wer als Kind Handlungsfreiheit erlebte, weil er die Möglichkeit hatte, unbegrenzt nachahmen zu dürfen, entwickelt viel Selbstvertrauen als Voraussetzung für ein gesundes Selbstbewusstsein. Er hat die Möglichkeit, Erfahrungen zu machen, erlebt Missgeschick und Erfolg und fühlt sich immer als der Akteur, der die Sache wieder von Neuem beginnt oder weiterführt. Auf der anderen Seite muss das Kind lernen, die Grenzen zu achten, wenn seine Intentionen diejenigen der Familie bzw. des sozialen Umkreises stören: Wenn es weiterspielen möchte, obwohl es bereits Essenszeit ist, wenn es gerade dort tobt, wo man sich unterhalten will, oder wenn es abends nicht ins Bett will. Hier sind all die Stellen im Laufe des Tages gemeint, bei denen es um das Aufrechterhalten guter Gewohnheiten und sinnvoller Regelungen geht. Durch die Bewegungsfreiheit fühlt sich das Kind bestätigt in seiner Persönlichkeit. Genauso wichtig ist es aber, dass es auch die Bereiche zu achten lernt, in denen es nötig ist, sich in eine Gemeinschaft und einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Stimmt das Gleichgewicht zwischen beiden Polen, werden sie einander unterstützen. Ist das nicht der Fall, können daraus Konflikte entstehen:

  • Entweder das Kind lernt nicht, die Bedürfnisse anderer Menschen wahrzunehmen,
  • oder es entwickelt einen Hass auf Kontrollpersonen oder die Gemeinschaft, weil diese es hindern zu tun, was es gerne möchte.

Begriffe wie „soziales Verhalten“ und „Rücksichtnahme“ können so zu „Schimpfworten“ anstatt zu Wegweisern für die Entwicklung werden. Gelingt es jedoch, ein häusliches Klima herzustellen, in dem sich jeder mit seinen Intentionen und Bedürfnissen wahrgenommen und berücksichtigt fühlt, wachsen auch die Kompromissbereitschaft und die Bereitschaft zum Verzicht zugunsten der Intentionen eines anderen. Wer sich ständig benachteiligt erlebt oder sich immer unterordnen muss, wird diese Bereitschaft weniger entwickeln.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Erziehung zur Konfliktbewältigung ist die Tatsache, dass das Kind von klein auf lernt, seine individuellen Bedürfnisse in Einklang bringen zu müssen mit denen seiner Umgebung (vgl. Elternsein heute: Führungseigenschaften von Eltern). Wer darüber hinaus in der Schulzeit die Möglichkeit hatte, Versagenszustände, Erfolge, Neid- und Eifersuchtskonflikte durchzustehen und aus Fehlern zu lernen, der bringt gute Voraussetzungen mit, um Konflikte im späteren Leben konstruktiv zu bewältigen.

Konfliktfähigkeit und Schule

In der Schule ist es im Einzelfall oft schwer, das obengenannte Gleichgewicht herzustellen. Denn jedes Kind lebt in seinem eigenen zu ihm gehörigen und sich immer deutlicher herausbildenden Schicksalsumkreis. Das kann man besonders deutlich erleben, wenn Schüler in die erste Klasse kommen und innerhalb weniger Tage Zuneigung oder Abneigung gegenüber anderen entwickeln, Freundschaften und Feindschaften entstehen. Das wird durch das Wesen der Kinder selbst bewirkt und der Lehrer steht oft völlig machtlos daneben. Meistens bleibt ihm nur die Möglichkeit, besonders belastete Kinder gut im Auge zu behalten und alles zu tun, um ihnen Erlebnisse zu vermitteln, bei denen auch sie etwas gelten und eine Stärkung ihres Selbstbewusstseins erfahren. Auch die sogenannten „stillen“ Kinder verdienen besondere Aufmerksamkeit. Es ist nicht immer das Richtige, mit allen Mitteln zu versuchen, sie aus ihrer Reserve zu locken. Vielmehr sollte man zuerst prüfen, ob sich das Kind in seinem Stillsein wohl fühlt und den Windschatten der lauten Klasse genießt, oder ob es sich unterdrückt und benachteiligt erlebt.

Ein reiches Arbeitsfeld für Lehrer sind die Schicksalskonstellationen von Kindern, deren Zuhause von Konflikten, Ablehnung oder auch Einsamkeit geprägt ist. Die großartige Aufgabe besteht darin, für diese Kinder in der Schule einen Ausgleich zu schaffen. Oft haben gerade sie viel vor für das spätere Leben. Man sollte sich deshalb vor falschem Mitleid hüten, wenn Kinder es unterschiedlich schwer in Elternhaus und Schule haben. Bringt doch jedes Kind in Form seines Schicksalsumkreises gerade die Lernbedingungen mit, die ihm helfen zu erwerben, was es für sein Leben braucht. So lehrt die Erfahrung, dass gerade Kinder, die im Schulalter sehr beliebt waren und in der Gruppe gern gesehen waren, später im Leben nicht immer die Durchsetzungsfähigen und Erfolgreichen sind (obwohl das natürlich auch sein kann). Oft sind diejenigen, die durch schwierige Erfahrungen gegangen sind, die gelernt haben, auf sich selbst gestellt zu sein, später besonders gern gesehen, weil sie souverän im Leben stehen. Bei Kindern, die angepasst waren und kaum Probleme hatten, kann es hingegen später zu erschütternden Aufwacherlebnissen kommen, wenn die Dinge plötzlich nicht mehr „von selbst“ gehen, wie sie es gewohnt waren. Ihnen fällt es weitaus schwerer, selbständig Konflikte zu bewältigen.

Konfliktfähigkeit der Lehrer

Ein Lehrer, der Konflikte im Klassen- und Schulzusammenhang menschenwürdig – sprich: gewinnbringend für alle Beteiligten – zu lösen versteht, ist das wichtigste Erziehungsmittel für die spätere Konfliktfähigkeit der Schüler.

Um als Lehrer konfliktfähig zu werden, bedarf es einer bestimmten Lebenseinstellung: Man muss davon überzeugt sein, dass jeder von jedem lernen kann. Wer angesichts von Konflikten und Problemen nur nach dem Schuldigen fragt, hat sich diese Lebenseinstellung noch nicht erworben. Denn durch die Frage nach der Schuld distanziert sich der Betreffende vom Geschehen und realisiert nicht, dass er mit beteiligt ist. Viel wichtiger, als nach dem Schuldigen zu fragen, ist es, zu verstehen, warum ein Problem überhaupt entstehen konnte und wie jemand in die Lage kam, „schuldig“ zu werden. Es geht nun darum herauszufinden, was die Gemeinschaft aus der Bearbeitung des Problems für einen Gewinn ziehen kann.

Je mehr sich Lehrer und Erzieher fragen, was jetzt gebraucht wird, damit die Entwicklung nach der einen oder anderen Richtung weitergehen kann, desto mehr stärken sie das entwicklungsförderliche Interesse. Es ist immer wieder beschämend zu merken, dass die meisten sozialen Konflikte aus Mangel an Interesse entstehen, bzw. dadurch, dass übergangene oder zurückgewiesene Bedürfnisse nicht rechtzeitig wahrgenommen wurden. Um hier vorbeugen zu lernen, sind Elternhaus und Schule ideale Übungsfelder für alle Beteiligten.

Vgl. „Macht in der zwischenmenschlichen Beziehung“, 7. Kapitel, Verlag Johannes M. Mayer, Stuttgart – Berlin 1997**