Die Krankheit selber ist die Heilung

„Es mag der Mensch erkranken, so lange er sich entwickelt! Durch die Krankheit entwickelt er sich zugleich zur Gesundheit. So strebt die Krankheit in der Heilung, und sogar im Tode über sich selbst hinaus und erzeugt die Gesundheit nicht als ein dem Menschen Fremdes, sondern als eine aus dem Menschenwesen selbst herausgewachsene, mit diesem Menschenwesen übereinstimmende Gesundheit.“1

Was bedeutet diese Aussage Rudolf Steiners?

Ich versuche seit vielen Jahren das Wesen von Krankheit und Gesundheit zu verstehen, es immer besser zu begreifen und es auch zu vermitteln, wann und wo es gebraucht wird.

Es ist eine große Leistung, sich den ererbten Körper anzueignen und durch und durch zu individualisieren. Wir sind hier, um unseren Leib nicht nur zu beziehen, sondern ihn auch zu ergreifen und uns anzueignen (vgl. Identität und Ich: Kunst als Weg zur Ergreifung des Ich). Man kann sogar sagen, jeder Mensch gestaltet seine Gesundheit, dieses Gottesgeschenk, aktiv mit. Mir wurde aber so deutlich wie noch nie, dass auch wir selbst es sind, die eine Krankheit hervorbringen.

Das kann man an der Krebserkrankung besonders gut ablesen, an dem autonomen Wachstum, dass dieses „autos“ (altgriech.: „selbst“) wir selbst sind und nicht ein Feind. An unserer gesunden Natur können wir das Tragende, das Vatergöttliche, erleben. Diese gesunde Natur macht nun „Platz“ für ein Krankheitsgeschehen, an dem wir oft über Jahre intensiv tätig sind, um etwas in unserer Entwicklung auszugleichen (vgl. Krankheit: Grundlegendes zum Sinn von Krankheit).

Noch nie stand mir so deutlich vor Augen, was Rudolf Steiner damit gemeint haben könnte, als er sinngemäß sagte: „Die Krankheit selber ist die Heilung“. Das müssen wir nur richtig begreifen und dieses Autonome als selbstgeführt verstehen lernen und dem Selbst des Patienten alle nur mögliche Hilfestellung leisten, um ihm aus dieser krisenhaften „Verselbstung“, die die Krankheit bedeutet, wiederum in Richtung Gesundheit zu verhelfen.

Das ist eigentlich unser therapeutischer, pflegerischer und ärztlicher Beruf: Bruder sein, Schwester sein, Weggenosse sein, der mithilft.

Vgl. Abschlusswort JK 2009, Dornach, am 17.09.2009

  1. Vgl. Rudolf Steiner, Metamorphosen des Seelenlebens, Band 2, GA 59, Ausgabe von 1984, S. 170