Grundlegendes zu Technikunterricht und Lernen mit digitalen Geräten

Wie wird unsere Welt aussehen, wenn die Zukunftsvisionen der Internetgiganten und Machtpolitiker Wirklichkeit werden?

Welche Herangehensweise haben Waldorfschulen und warum?

Digitale Zukunftsvisionen

In der kanadischen Provinz Ontario soll das Budget der Schulen bis 2023 einschneidende Kürzungen erfahren. Ab September 2024 sollen dort sogar reine Online-Schulabschlüsse durchgeführt werden können. Grund dafür ist der Entscheid der Bildungsverantwortlichen, auf E-Learning-Kurse zu setzen und Lehrer*innen einzusparen – so wurde auf FAZ.net vom 1.2.2020 berichtet. Zunehmend mischt sich jedoch in die von Wirtschaft und Politik begeistert propagierten digitalen Zukunftsvisionen auch Sorge um die Zukunft – nicht nur der Bildung, sondern auch der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in unserer globalisierten Welt.

Je mehr das gesamte Berufsleben von der Digitalisierung abhängig wird und idealiter schon in der Kita die Kleinen mit ihren Tablets und ersten Smartphones spielen, umso mehr wird auch deutlich, dass infolge dieser Durchtechnisierung die Möglichkeit der Totalüberwachung von Kindern und Erwachsenen potenziell in jedem Staat – auch in Europa – möglich ist. Es wird dann jeweils von der moralischen Verfassung der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft abhängen, ob und inwiefern diese nie dagewesene Macht über Daten und menschliche Verhaltensweisen gesellschaftspolitisch missbraucht wird oder nicht.

Man kann jedoch angesichts dieser Entwicklung auch deutlich empfinden, wie es im Hinblick auf diese Zukunft darauf ankommen wird, den heranwachsenden Generationen möglichst viel Mut, Eigenständigkeit, Kreativität sowie Welt- und Menscheninteresse mit auf den Weg zu geben, also typisch menschlich-moralische Qualifikationen, damit die Entwicklung in Richtung Humanisierung fortschreiten kann und nicht in ihr Gegenteil, in Richtung Dehumanisierung, umschlägt.

Eintreten für Pädagogik der Humanisierung

Dieser Perspektive möchte insbesondere der Technologieunterricht an der Waldorfschule dienen. Deshalb die Art und Weise vieler Schulen, wie digitale Endgeräte in das Unterrichtsgeschehen einbezogen werden bzw. bewusst nicht einbezogen werden.

An der Freien Hochschule Stuttgart, Seminar für Waldorfpädagogik, wurde ein Stiftungslehrstuhl angegliedert mit dem Forschungsschwerpunkt Medienkonzepte für Schulen, insbesondere Waldorfschulen – Kulturelle und anthropologische Aspekte des Lebens mit Technik und Medien. Mediendidaktik. Ihr Leiter ist Prof. Dr. Edwin Hübner, Professor für Medienpädagogik und ehemaliger Waldorflehrer für Mathematik und Physik. Er ist Mitglied des Bündnis für humane Bildung (www.aufwach-s-en.de) und nicht nur Autor grundlegender Bücher zum Thema, sondern auch Verfasser der vom Bund der Waldorfschulen herausgegebenen Schriften und Empfehlungen zum Lehrplan Medienpädagogik, digitale Bildung und Technologieunterricht.

Ich verdanke der Lektüre seiner Schriften und den Gesprächen mit ihm die fachlichen Einsichten zum Thema und möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei ihm bedanken, dass er sich dieser wichtigen Bildungsfrage schon zu einer Zeit angenommen hat, als sich noch kaum jemand dafür interessierte. Denn dadurch, dass die Technologie mit solcher Geschwindigkeit den Markt überflutete und kaum Zeit zur Besinnung war, ob und in welcher Form man diese Entwicklung in sein Leben integrieren will, waren die meisten Menschen froh, überhaupt mit dieser Entwicklung mithalten zu können und up-to-date zu sein. Wer hier mit Fragen oder gar mit „Wenn und Aber“ kam, wurde als rückständig belächelt und nur selten ernst genommen.

Dies hat sich inzwischen geändert. An vielen Waldorfschulen existieren Medienkreise, die sich des Themas gründlich annehmen, Elternaufklärung betreiben und an einer klaren Linie arbeiten, wie der Technologie-Lehrplan und die Medienpädagogik vor Ort gehandhabt werden sollen. In den USA ist man hier schon weiter – insbesondere in den Waldorfschulen im Silicon Valley, auf die nicht wenige Kinder von IT-Größen gehen, da man dort mit Informationstechnologie in der Schule äußerst zurückhaltend ist. Auf Edwin Hübners Website ist zu lesen:

„Da Kinder in einer von Technik und Medien geprägten Welt aufwachsen, muss neben einer direkten Medienpädagogik, die in die kompetente Nutzung der Medien einführt, eine indirekte Medienpädagogik ins Auge gefasst werden. Die indirekte Medienpädagogik fördert alle die menschlichen Fähigkeiten, welche das Leben in einer hochtechnisierten Welt voraussetzt, die aber im bloßen Umgang mit Technik zu verkümmern drohen. Es bedarf neuer Ansätze, um Nebenwirkungen der Technologien auszugleichen und dadurch eine weitere Voraussetzung für die spätere Medienmündigkeit zu legen.“

Der medienpädagogische Ansatz

Kinder müssen in den ersten Jahren ihres Lebens ihren naturgegebenen Körper entdecken, entwickeln und beherrschen lernen. Daraus ergibt sich die pädagogische Aufgabe, für sie innerhalb der technischen Welt einen Raum zu schaffen, der ihnen eine gesunde Entwicklung ermöglicht.

Wie das geschehen kann, wurde im Kontext der Schilderung der Jahresmeilensteine bereits beschrieben. Pädagogik im Zeitalter der intelligenten digitalen Technologien zielt vor allem auf die Ausbildung des Willens und der Eigeninitiative durch möglichst vielseitige Betätigungen in der realen Umwelt ab. Im Laufe der Schulzeit lernen die Kinder dann viele analoge Techniken kennen und beherrschen, um zuletzt auch ihre Kompetenzen bezüglich der digitalen Technologien auszubilden. Stellt man nicht die Technik, sondern den Entwicklungsbedarf von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt des Interesses, kann man den medienpädagogischen Ansatz der Waldorfpädagogik gut nachvollziehen:

  • erst die reale Welt kennenlernen und den eigenen Leib gesund ausbilden
  • dann analoge Techniken beherrschen lernen
  • zuletzt digitale Technologien verstehen und produktiv anwenden.

Wie das im Einzelnen durchgeführt werden kann, darüber informiert der von der Initiative diagnose: media herausgegebene Ratgeber Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten.1 Hier findet man auf der Basis unabhängiger Forschung zur Wirksamkeit der Medien in Kindheit und Jugend in einer sehr guten knappen Zusammenstellung alle wesentlichen Hinweise für Elternhaus und Schule. Auch die vom Bund der Freien Waldorfschulen herausgegebene Broschüre Struwwelpeter 2.1. Ein Leitfaden für Eltern durch den Medien-Dschungel2 gibt auf knappem Raum wertvolle Anregungen und Hinweise. Kürzlich wurde auch der aktuelle Ratgeber mit dem kompletten Technologie-Lehrplan der Waldorfschulen publiziert.3 Daher beschränkt sich dieser Beitrag zum Thema auf einige wesentliche Aspekte, die den Technologieunterricht inspirieren können. Er stellt auch Beziehungen zu anderen Unterrichtsgebieten her.

Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3

  1. Dr. Med. Michaela Glöckler, Prof. Dr. Edwin Hübner, Stefan Feinauer, Media Protect E.V., Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten, EAN 9783982058504, 2019.
  2. Broschüre Struwwelpeter 2.1. Ein Leitfaden für Eltern durch den Medien-Dschungel (Zugriff 17.01.2020)

  3. Siehe auch: Bund der Freien Waldorfschulen (Hrsg.): Medienpädagogik an Waldorfschulen. Curriculum – Ausstattung