Welt- und Menscheninteresse entwickeln

Warum ist das Interesse an Welt und Mitmenschen von so vitaler Bedeutung für uns Menschen?

Wie kann dieses Interesse geweckt und gepflegt werden?

Wie findet der Mensch den Sinn der eigenen Existenz?

Fragen, was das Leben von uns erwartet

Der Psychologe Viktor E. Frankl (1905–1997) hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Menschen zwar über immer mehr freie Zeit verfügen, aber nicht wissen, womit sie diese sinnvoll ausfüllen können.1 Sie wissen mit sich nichts anzufangen und finden keinen Sinn in ihrem Dasein. Viele Menschen leiden, so Frankl, „an dem Mangel an einem Lebensinhalt“2 Dieses existenzielle Vakuum gab es in den vergangenen Jahrhunderten nicht, denn Religion und bewährte Traditionen vermittelten den Menschen allgemein verbindliche tragende Werte. Diese zerbrachen in dem Maße, wie sich ab dem 17./18. Jahrhundert der Individualismus geltend machte. Selbst Werte zu finden, dem eigenen Leben Orientierung und Sinn zu geben, wurde zunehmend zur Aufgabe jedes einzelnen Menschen.

Im Rückblick auf seine furchtbaren Erfahrungen im Konzentrationslager erkannte Viktor Frankl, dass der Sinn des eigenen Lebens eine über die selbstbezogene Subjektivität hinausgehende Dimension hat (vgl. Gesundheit: Das Kohärenzgefühl als Grundlage seelischer Gesundheit):

„Was hier nottut, ist eine Wendung in der ganzen Fragestellung nach dem Sinn des Lebens: Wir müssen lernen und die verzweifelten Menschen lehren, dass es eigentlich nie und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben noch zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf: was das Leben von uns erwartet! Zünftig philosophisch gesprochen könnte man sagen, dass es hier also um eine Art kopernikanische Wende geht, so zwar, dass wir nicht mehr einfach nach dem Sinn des Lebens fragen, sondern dass wir uns selbst als die Befragten erleben, als diejenigen, an die das Leben täglich und stündlich Fragen stellt – Fragen, die wir zu beantworten haben, indem wir nicht durch ein Grübeln oder Reden, sondern nur durch ein Handeln, ein richtiges Verhalten, die rechte Antwort geben. Leben heißt letztendlich eben nichts anderes als: Verantwortung tragen für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem Einzelnen das Leben stellt, für die Erfüllung der Forderung der Stunde.“3

Erkennen, was der Mitwelt nottut

Rudolf Steiner bemerkte einmal: „Diese Änderung der Menschheit, dieses Gleichgültigwerden der Menschheit gegenüber den großen Schicksalen des Daseins, das ist die auffälligste Erscheinung. Es prallt ja alles ab von der Menschheit heute. Die umfassendsten, einschneidendsten, intensivsten Tatsachen nimmt man auf wie eine Sensation. Sie wirken nicht erschütternd genug. Und das rührt nur davon her, weil der immer stärker und stärker werdende intelligente Egoismus die Interessen der Menschen einengt.“4

Den Sinn meines Lebens kann ich offenbar nicht finden, indem ich bloß mich frage, was „ich will“, sondern indem ich auch wahrnehme, was meiner Mitwelt nottut. Dazu braucht es aber auch einen entsprechenden Blick auf die Welt, eine adäquate Weltanschauung. Bedingungen in der Schule dafür zu schaffen, dass die Heranwachsenden in die Lage versetzt werden, sich ihren eigenen Blick auf die Welt zu erarbeiten, ist die vornehmste Aufgabe der Waldorfpädagogik (vgl. Waldorfpädagogik: Erziehung zur Selbstlosigkeit durch Waldorfpädagogik). Weltinteresse wecken kann eine Lehrer*innenschaft aber nur, wenn sie selbst mitten im Leben steht. Rudolf Steiner formulierte dies in wünschenswerter Klarheit:

„Richtiges Menscheninteresse für das ganze Leben ist nicht möglich, wenn nicht ein richtiges Weltinteresse erregt worden ist beim fünfzehn-, sechzehnjährigen Menschen.“5 (vgl. Waldorfpädagogik: Ideal und Prinzipien der Waldorfpädagogik) All dies sind wesentliche Hintergrundfragen für den Technologieunterricht und einen altersentsprechenden Umgang mit den digitalen Endgeräten im Elternhaus und in der Schule.

Die Lehrplanempfehlungen im Überblick

Tabellarisch zusammengefasst:

  • Erste Kindheit: selbst erfundene Geschichten erzählen – ohne jegliches Medium

  • Vorschulzeit:den Kindern regelmäßig vorlesen, die Erwachsenen leben den Kindern den Umgang mit Büchern vor.

  • Erste Klasse schreiben und lesen lernen.

  • Ab der zweiten und dritten Klasse: Freude am Schreiben und am Lesen fördern durch eine Klassenbibliothek, Lesekreise usw. Das Lesen zu Hause intensiv unterstützen.

  • Ab der vierten und fünften Klasse: in Buchbeständen recherchieren lernen, öffentliche Bibliotheken kennenlernen.

  • Siebte oder achte Klasse: das 10-Finger-System auf der Tastatur beherrschen lernen.

  • Achte oder neunte Klasse: anhand von Praktikumsberichten die vielfältigen Möglichkeiten eines Textverarbeitungsprogramms kennen- und beherrschen lernen.

  • Zehnte Klasse: Typografie?Schriftschnitt: Erstellen einer eigenen Schriftart.

  • Ende der Schulzeit: Wo sachlich sinnvoll, Gebrauch von Informationstechnologie und Textverarbeitung in der Schule und zu Hause.

Geschichte der Medien nachvollziehbar machen

An diesem Aufbau des Curriculums wird ein weiterer prinzipieller Gedanke deutlich: Ein entwicklungsorientierter Lehrplan lässt die Kinder zugleich mit ihrer eigenen Entwicklung die Geschichte der Medien nachvollziehen. Die Kinder lernen die Möglichkeiten der Schrift von allen Aspekten her verstehen und vor allem können sie diese auch aktiv beherrschen. Eine solche Vorgehensweise ermöglicht eine umfassende Medienkompetenz, die nicht nur auf digitale Medienträger beschränkt ist. In den ersten fünf Schuljahren beginnt die Medienpädagogik mit der Beherrschung der Handschrift.

Zudem muss die Fähigkeit, konzentriert und verständig zu lesen, gut geübt werden. Auch die Recherche in Buchbeständen sollten die Kinder kennengelernt haben.

In der sechsten Klasse sollte den Kindern eine erste Einführung gegeben werden, wie das Internet prinzipiell funktioniert, wo die Chancen seiner Nutzung liegen, vor allem aber auch, auf welche Risiken man zu achten hat. Da oft schon in diesem Alter, leider auch schon früher, erste Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht werden, muss diese Frage unbedingt thematisiert werden, vor allem auch, wie und wo man sich im Ernstfall Hilfe holen kann. Treten schon in den ersten Schuljahren soziale Probleme auf, sollten sie immer im Schulzusammenhang aufgegriffen und thematisiert werden.

Kommen die Schüler*innen in die siebte und achte Klasse, ist es sinnvoll, dass sie lernen, wie man mit zehn Fingern blind auf der Tastatur schreibt. Die Jahresarbeit am Ende der achten Klasse oder der erste Praktikumsbericht in der neunten Klasse sind dann Gelegenheiten, bei denen man zusammen mit den Schüler*innen erarbeitet, wie man die vielfältigen Funktionen eines Textverarbeitungsprogramms sinnvoll und kreativ nutzen kann.

In der zehnten Klasse kann man den Jugendlichen zeigen, wie man eine eigene Schriftart herstellt. Sie lernen, wie man eine individuelle Schrifttype produziert, die beispielsweise der eigenen Handschrift ähnelt. Sie können dann ihre Texte individuell formatieren.

Im elften und zwölften Schuljahr können dann die Möglichkeiten der Informationstechnologie überall da in den Unterricht einbezogen werden, wo es die Sache erfordert.

Fazit: Entwicklung first – Digitalisierung second!

Belastung durch Elektrosmog minimieren

Nicht angesprochen ist in diesem Kontext die Frage nach einer möglichst elektrosmogarmen Schul- und Klassenzimmer-Umgebung. Ratschläge dazu finden sich in dem mehrfach zitierten Ratgeber: Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt. Die gesundheitlichen Langzeitfolgen der gepulsten Mikrowellenstrahlung sind zwar noch nicht zureichend erforscht; was jedoch bis jetzt vorliegt, mahnt zur Vorsicht, insbesondere im Wachstumsalter. Es sei dazu auf die sehr informative Website diagnose-funk.org6 verwiesen. Dort werden auch alternative Technologien vorgestellt, wie etwa die Nutzung von Licht als Datenüberträger, die jedoch noch nicht marktreif sind. Es ist dringend zu wünschen, die flächendeckende Versorgung mit 5G zu verlangsamen und womöglich auszusetzen, bis die gesundheitlichen Risiken eingehender erforscht und mögliche Alternativen zur Datenübertragung weiter entwickelt sind.

Vgl. „Schule als Ort gesunder Entwicklung“, März 2020, ISBN: 978-3-939374-76-3

  1. Viktor Frankl: Das Leiden am sinnlosen Leben. Freiburg, Basel, Wien 1991, S. 76.
  2. Viktor Frankl: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie. Bern, Stuttgart, Wien 1982, S. 11.
  3. Viktor Frankl: ... trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. München 2002, S. 124 f.
  4. Rudolf Steiner: Die Erziehungsfrage als soziale Frage. Die spirituellen, kulturgeschichtlichen und sozialen Hintergründe der Waldorfschul-Pädagogik. Dornach 17. August 1919. GA 296. Verlag der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung, Dornach 1960, S. 106.
  5. Rudolf Steiner: Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis. GA 302a. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993, S. 84.
  6. Vgl. diagnose: funk