Menschenkundliche Gesichtspunkte zu Mobilfunkstrahlung und WLAN

Welche Erklärungen liefert die anthroposophische Menschenkunde hinsichtlich der Auswirkungen von Elektrosmog auf den Menschen?

Wie können und sollen wir als Zeitgenossen individuell und gesellschaftlich mit diesen Belastungen umgehen?

Macht Mobilfunkstrahlung krank?

Zunächst eine Beobachtung: 1988 war ich für 14 Tage nach Japan eingeladen, um dort in den Waldorf-Kindergärten Vorträge zu halten. Auf vielen Zug- und Straßenbahnfahrten zwischen und in den verschiedenen Städten freute ich mich, wie viele Japaner lasen und sich während der Fahrt unterhielten. 2006 – 18 Jahre später – hatte ich im Rahmen der Internationalen Ärzteausbildung wieder in Japan zu tun. Jetzt bot sich mir ein anderes Bild: Die meisten Passagiere schliefen oder schauten vor sich hin. Deutlich weniger waren mit ihren Smartphones, einer Zeitung oder Ähnlichem beschäftigt. Es dauerte eine Weile, bis mir bewusstwurde, dass diese kollektive Müdigkeit evtl. mit der Zunahme des Elektrosmogs durch die massenhafte Ausbreitung der Mobiltelefone zusammenhängen könnte.

Müdigkeit ist eine unspezifische Symptomatik, die anzeigt, dass der Körper unter Stress steht und die regenerativen Möglichkeiten nicht mehr genügen. Entsprechend sind Müdigkeit und das Gefühl von Abgeschlagenheit eine typische Symptomatik, die der Diagnose schwerer Erkrankungen oft schon über einen längeren Zeitraum vorausgehen. Viele Menschen befürchten, dass Mobilfunkstrahlung sie krank macht, z.B. Krebs verursacht.

Sind diese Sorgen berechtigt?

Ernstzunehmende Studien anhand von Tierversuchen

Sarah Drießen, Leiterin des „EMF-Portal“, einem Informations-Portal zur Wirkung elektromagnetischer Strahlen am „Institut für Arbeits-, Sozial- und Umwelt-Medizin“ der RWTH Aachen, sagte dazu kürzlich in einem Interview, dass man das noch nicht abschließend sagen könne. Die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, die IARC, habe zwar die hochfrequenten Felder, zu denen auch die Felder von Mobilfunk gehören, als möglicherweise krebserregend eingestuft. […] Auch seien gerade zwei große Tierstudien herausgekommen, eine aus den USA, die im National Toxicology Program der US-Regierung lief, und eine andere aus Italien. Diese liefern ebenfalls Hinweise darauf, dass hochfrequente Felder, zu denen Mobilfunkfelder eben zählen, krebserregend sein könnten.1 Einerseits sagte sie dazu:„Es sind zwei große und wirklich gut angelegte Studien und daher muss man diese Ergebnisse ernst nehmen.“

Sie setzt dann aber hinzu, dass die Tiere stärkeren Feldern ausgesetzt gewesen seien, als die Felder, die wir Menschen derzeit nutzen. Und inwiefern man Tierversuche auf den Menschen übertragen kann, müsse natürlich auch noch weiter untersucht werden. Deshalb lautet ihr Fazit, es gebe derzeit „ nicht so starke Hinweise, die es rechtfertigen würden“, die 5G-Technik nicht einzuführen...

Naheliegende Fragen zum Thema

Der Leser von Studien und Interviews dieser Art fragt sich zu Recht:

Warum konnten die inzwischen mehreren Tausend Studien nicht besser koordiniert werden, sodass Vergleichbarkeit und Aussagekraft überzeugen?

Wieso gibt es immer noch keine klare Expertenmeinung?

Wie kommt es, dass man eigentlich nicht über die Wirkung hochfrequenter Felder auf biologische Systeme gezielt und systematisch forscht und valide Ergebnisse fordert, bevor man diese Strahlungen flächendeckend der gesamten Menschheit zumutet?

Was für ein zukunftsoffenes Massenexperiment läuft hier eigentlich vor unseren Augen und mit uns als Probanden seit Jahrzehnten ab? Wer lenkt diesen globalen Prozess?

Warum muss das alles so schnell gehen?

Warum beherrscht uns die IT-Branche mit dem Dogma, dass wir sonst den Anschluss an die »schöne neue Welt« der Digitalisierung verpassen?

Könnte man nicht wenigstens jetzt, wie dies in der Medizin üblich ist, vergleichende Untersuchungen anstellen und zumindest große Landstriche im 4G-Status belassen und dann z.B. nach sieben Jahren die Vor- und Nachteile klarer darstellen, sodass die Bevölkerung mitentscheiden kann, was mit ihr geschieht?

Wird hier nicht in ähnlicher Weise die Wahlmöglichkeit unterbunden, wie dies bezüglich der Digitalisierung öffentlicher Kindergärten und Grundschulen bereits im Gange ist?

Was nützt der Zivilgesellschaft in demokratischen Ländern die sogenannte Wahlfreiheit, wenn die Möglichkeit schwindet, in einer so wichtigen Frage wirklich frei wählen zu können?

Wie wird man in 20 Jahren auf unsere Zeit zurückblicken?

Das „Bündnis für humane Bildung“ 2 und die „Europäische Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie“ (ELIANT)3 gehören jedenfalls zu denen, die von diesen Fragen umgetrieben werden. Sie haben aufgrund ihrer Bedenken gemeinsam eine Kampagne für das Recht auf bildschirmfreie Kindertagesstätten und Grundschulen durchgeführt.

Grundlegende Zusammenhänge

Im sogenannten Lichtkurs4 schildert Rudolf Steiner, wie der Entwicklung des menschlichen physischen Leibes der Wärme-Zustand der Materie zugrunde liegt. Entsprechend wäre dies beim Ätherleib5 der Lichtzustand. Der zusammen mit dem Licht in Erscheinung tretende materielle Verdichtungsvorgang zum Gaszustand der Materie, das heißt auch zur Luft, ist im Zusammenwirken mit Licht von Elektrizität durchsetzt. Denn setzt sich – was Goethe so interessierte – das Licht mit Luft und Trübe, das heißt mit der Materie, auseinander, so treten nicht nur optisch interessante Phänomene auf, sondern auch elektromagnetische. Steiner nannte die Elektrizität auch einmal „zerfallendes“ Licht.6

Hat man dies im Hinterkopf, so wundert es einen nicht, dass alles Leben auf der Erde mit elektrochemischen und elektromechanischen Prozessen und Phänomenen einhergeht. Alle lebenden Systeme, ja jede einzelne Zelle von Pflanze, Tier und Mensch, zeigen dies. So wie man Gehirn (EEG), Herz (EKG) und Muskeln (EMG) untersucht, indem man die durch ihre Lebenstätigkeit erzeugten elektrischen Spannungszustände als Leben und Elektrizität integral an der Körperoberfläche messen und ablesen kann, so kann man auch bei jeder einzelnen Zelle die jeweiligen Ruhe- und Aktivitätspotentiale untersuchen und darstellen. Umso erstaunlicher ist es, dass der Mensch im Gegensatz zu bestimmten Tierarten, insbesondere Fischen, keine Sinnesorgane für elektrische Impulse und Spannungszustände hat. Er kann nur die Effekte der Elektrizität beobachten, nicht jedoch diese selbst, weswegen Steiner sie auch „untersinnlich“ nennt.

Zunehmende Elektrohypersensitivtät

Es gibt jedoch – das hat die Entwicklung der letzten 30 Jahre gezeigt – eine zunehmende Anzahl elektrosensibler Menschen. Sie erleben die Wirkungen der elektromagnetischen Wellen auf dem Umweg über ihre Befindlichkeit. Steigert sich die Elektrosensibilität derart, dass sie der Behandlung bedarf, sprechen wir vom Krankheitsbild der Elektrohypersensitivtät (EHS). Die Betroffenen klagen über Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen oder auch Hautausschläge. Diese Symptome treten oftmals schon bei Feldstärken auf, die weit unterhalb der von den Behörden festgelegten Grenzwerte liegen. Dass elektrischer Strom typischerweise im menschlichen Körper drei wesentliche Wirkungen hervorruft – thermische (Gewebeerwärmung), chemische (z.B. Änderung der Funktionsweise der Blut-Hirn-Schranke) und muskelreizende oder -lähmende – ist schon lange bekannt und wird auch, entsprechend sorgfältig dosiert, therapeutisch angewendet.

Das Krankheitsbild der Elektrohypersensitivität zeigt dagegen ein individuell ausgeprägtes, komplexes Zusammenspiel dieser Wirkungen, deren Symptomatik den betreffenden Menschen bis hin zur Berufsunfähigkeit belasten kann. Die „Europäische Akademie für Umweltmedizin“ (EUROPAEM) hat dazu eine Leitlinie erstellt, die Ärzte und Patienten bezüglich Vorsorge, Diagnostik und Therapie orientiert. Einer der daran beteiligten Ärzte, Dr. Gerd Oberfeld, wurde in einem sehr lesenswerten Interview gefragt:

„Woher nehmen Sie den Optimismus, dass Ärzte die Leitlinie akzeptieren, wenn zuständige Ministerien, ob nun in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz behaupten, es gäbe keine relevanten gesundheitlichen Auswirkungen durch elektromagnetische Felder, solange die bestehenden Grenzwerte nicht überschritten würden. Kann die Leitlinie an diesem Dogma et - was ändern?“

Seine Antwort: „Ärzte sind es gewohnt, Entscheidungen auf Basis ihres Wissens und ihrer Erfahrungen zu treffen. Politische Meinungen und Dogmen können dieses Prinzip zwar stören, aber nicht umstoßen. 7

Vgl. Menschenkundliche Gesichtspunkte zu Mobilfunkstrahlung und WLAN, die Drei 4/2019

  1. Svenja Bergt, Parallel offene Fragen erforschen, in: die tageszeitung vom 16. März 2019.
  2. Vgl. www.aufwach-s-en.de
  3. Vgl. www.eliant.eu
  4. Vgl. Rudolf Steiner, Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik, GA 320, Dornach 2000.
  5. Vgl. die Schilderung der menschlichen Wesensglieder (physische, ätherische, astralische und Ich-Organisation) und ihrer Entwicklung in dem Grundlagenwerk von Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß, GA 13, Dornach 1989. Dort wird auch ausführlich geschildert, wie die astralische Organisation im Zusammenhang mit der flüssig-wässrigen Materie tätig wird, während die menschliche Ich-Organisation sich erst im festen Erdelement manifestiert.
  6. Vgl. ders., Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit, GA 130, Dornach 1995, S. 95.
  7. www.diagnose-funk.org/ themen/grenzwerte-auswirkungen/elektrosensitivitaet/ aerzte-leitlinie-zur-elektrohypersensitivitaet