Die Bedeutung kultischen Geschehens

Welche Bedeutung hat der Kultus in religiösen Zusammenhängen?

Was zeichnet das kultische Geschehen aus?

Wie wirkt es sich in kindgemäßer Form auf Kinder aus?

Ob der Kultus als ein selbstverständliches Element des religiösen Lebens erlebt und gewollt wird, hängt von dem Blick darauf ab. Es gibt Kirchen und Glaubensbekenntnisse, die eine ausgesprochen kultusablehnende Haltung haben, weil sie darin nur Anklänge an zwingende und nur schwer durchschaubare alte rituelle Gewohnheiten sehen, die es zu überwinden gilt.

Wesensbegegnung durch Kultus

Wer sich jedoch mit dem Zusammenhang zwischen Religion und dem wahren Wesen des Göttlichen wie auch des Menschen auseinandersetzt, wird das kultische Geschehen in einem völlig anderen Licht sehen können: Denn beide, die religiöse Lehre und die religiöse Übung, wollen letztlich zu dem hinführen, was der Sinn allen religiösen Lebens ist: die Gottesbegegnung, die eine Wesensbegegnung ist (vgl. Religion: Pflege des religiösen Lebens im Kindesalter). Wesensbegegnung aber ist Gnade.

  • Sie kann in die Lehre hereinleuchten, wenn man z.B. etwas bis dahin Unklares zu verstehen beginnt.

  • Sie kann sich bei der religiösen Übung als beglückendes Erlebnis manifestieren und Dankbarkeit und Frieden in der Seele zurücklassen.

  • Sie kann sich aber auch unverhüllt als immer gegenwärtig offenbaren durch die Wirklichkeit des kultischen Geschehens und der Sakramente.

Im christlichen Kultus wird von der heiligen Trinität, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, gesprochen (vgl. Engel: Engelhierarchien und Schöpfungsprozess). Ihr Wesen und Wirken wird den Menschen durch Worte und Gedanken (Ideale) unmittelbar zu Gehör gebracht und vor Augen gestellt: Ein Mensch steht in festlicher Gewandung am Altar, dem Alltagsleben entrückt, und sucht durch Handlung, Wort und Gedanke die unmittelbare Berührung mit dem Göttlich-Wesenhaften.

Kultus und Menschheitszukunft

Was sich im Kultus und durch die Sakramente vollzieht, ist idealistisch und real in einem: Es ist in vergleichbarer Weise Wirklichkeit, wie Ideale im Menschen ansatzweise verwirklicht sein können, wenn sie in der Seele eines Menschen leben und Kraft geben für jede kleine Alltagshandlung (vgl. Ideale: Ideale als Kraftquelle) – und dennoch weiß der Betreffende genau, dass er noch viele Erdenleben brauchen wird, um dieses Ideal ganz zu verwirklichen. So ist es auch mit dem Kultus. Was sich in ihm vollzieht, was dabei gesagt wird, ist reinster Ausdruck der Menschheitszukunft und bringt das Werden des Menschen, seine Entwicklung, hin zum Erkennen seines wahren Selbst und seiner Gottebenbildlichkeit, hier und jetzt zur Erscheinung.

Dem religiös Übenden begegnet im Kultus etwas Vollkommenes, an dem er sich orientieren und immer wieder neu Kraft schöpfen kann. Der Kultus ist deswegen so vollkommen und unantastbar, weil er eine unmittelbare Offenbarung aus der geistigen Welt in Wort, Gedanke und Handlung darstellt. Er darf daher auch nicht willkürlich verändert werden, so wenig wie ein Ideal veränderbar ist.

In der Kirche der Christengemeinschaft heißt der Kultus „Menschenweihehandlung". Durch diesen Begriff wird das Ziel des Mensch-Seins, die Menschenweihe, die Einweihung in die Selbst- und Gotteserkenntnis, ausgedrückt. Das Wort Menschenweihehandlung weist aber auch auf einen weiteren Aspekt des Gottesdienstes hin: dass der Mensch sich selbst verwandeln muss, um die Weihe zu erlangen für den Eintritt in die geistige Welt.

Gemeinschaft als Voraussetzung für den Kultus

Um ein kultisches Geschehen pflegen und vollziehen zu können, bedarf es einer Gemeinschaft. Denn in der Gemeinschaft kommt das Allgemein-Menschliche zur Erscheinung, während das Persönliche zurücktritt. Der Priester hat zur Aufgabe, sich auf den Dienst am Kultus vorzubereiten: Der Priesterweihe, die er gemeinsam mit anderen empfängt, liegt ein Entschluss zugrunde – die Bereitschaft, eine Kraft auszubilden, etwas zu tragen, das über das Vermögen eines einzelnen Menschen hinausgeht und das für alle Menschen da ist (vgl. Religion: Formen spiritueller Gemeinschaftsbildung).

Der Kultus hat seine Bedeutung jedoch nicht nur für den einzelnen Menschen oder für Menschengemeinschaften, sondern er wird in der christlichen Tradition vom Priester auch im Stillen zelebriert, wenn die Gemeinde nicht zugegen ist. Er kann auch nur für die Erde als Ort der Menschheitsentwicklung und für ihre Aufgabe im Weltganzen gefeiert werden und für die Verstorbenen und alle Menschen, die man gedanklich mit einbezieht. Wann immer der Kultus gefeiert wird, ob in Anwesenheit der Gemeinde oder im Stillen, er wirkt sich in der gleichen Realität aus, in der sich Gedanken, Gefühle und Handlungen in der Welt immer auswirken (vgl. Gedankenkraft: Gedanken als Brücke zur Geisterfahrung).

Verwandlung durch Weihehandlung und religiöse Übung

Inwiefern wirkt sich die Weihehandlung auf das religiöse Üben aus?

Es gibt Menschen, die so tief berührt sind vom Geschehen der Weihehandlung, dass sie nichts anderes für ihre Entwicklung brauchen.

Andere bemerken trotz intensiven Erlebens der Weihehandlung, dass sich wenig bei ihnen verändert. Dass sie immer wieder die gleichen Fehler machen, an ähnliche Hindernisse stoßen oder bei sich selbst wiederholt destruktive Gedanken und Gefühle bemerken, die sie gerne verwandeln möchten, die sich aber durch die bloße Teilnahme an der Weihehandlung nicht genügend verwandeln lassen. In dem Fall ist es hilfreich, zusätzliche Übungen und Methoden der Selbsterziehung anzuwenden. Das Großartige dabei ist, dass solche Bemühungen die Aufnahme- und Teilnahmefähigkeit an der Menschenweihehandlung in einer Weise verstärken, wie man das vorher nicht für möglich gehalten hätte.

Welche Übungen für die Selbstschulung am geeignetsten sind, kann man herausfinden, indem man mit dieser Frage im Herzen beispielsweise das Schulungsbuch Rudolf Steiners „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“1 liest (vgl. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung: Der individuelle Schulungsweg). Man wird beim Lesen deutlich bemerken, welche Sätze oder Aufgabenstellungen für einen selbst von besonderer Wichtigkeit sind. Entscheidend ist, dass man mit wenig anfängt und sich nie mehr vornimmt, als man dann auch für die Zeit durchhalten kann, die man sich vorgenommen hat. Dabei kann es hilfreich sein, sich mit Menschen des Vertrauens über den eigenen Übungsweg zu unterhalten oder dies zum Gesprächsthema in vertrauten Arbeitskreisen innerhalb der Gemeinde zu machen oder aber auch sich persönlich damit an den Priester der Gemeinde zu wenden.

Wirkung kultischen Geschehens auf Kinder

Haben Kinder das Glück, regelmäßig am Gottesdienst für Kinder in kultischer Form teilzunehmen, nehmen sie durch Gedanke, Wort und Handlung zunächst unbewusst, später jedoch immer bewusster, eine Beziehung zu Gott auf. Durch diese Beziehung, die sich gedanklich als Ideal fassen lässt, aber auch Gefühl und Willen ergreifen kann, nehmen sie die Erfahrung mit ins Leben, dass sie innerlich nie allein sind: Gedanken, Gefühle und Impulse des guten Willens gehen mit ihnen, die in jedem Lebensaugenblick in Erinnerung gerufen und befragt werden können. Das Kind wird auch später nie „von allen guten Geistern verlassen“ sein, weil ihm in bestimmten Augenblicken seines Lebens, in denen Zweifel oder auch Verzweiflung drohen, bestimmte Worte und Gedanken aus dem Gottesdienst „einfallen" werden und der Sache eine Wende zum Guten geben können, die sie abwarten, Geduld haben und nicht verzweifeln lassen.

Das Ich im Ich

Durch die regelmäßige Teilnahme am Kultus bildet sich etwas im heranwachsenden Menschen, das wie eine zweite, höhere, gütige, milde Ich-Anwesenheit ist – wie ein Ich im Ich, ein größeres, umfassenderes Ich im Alltags-Ich. Von dieser höheren Instanz, die sich auch wie eine Gewissensstimme äußern kann (vgl. Konfliktfähigkeit: Die Gewissensstimme), wird der Mensch begleitet und beraten. Es werden ihm Gedanken und Gefühle vermittelt, die anregen, etwas loszulassen oder auch zu ergreifen, und die dem Leben Sicherheit und Orientierung geben. Auch wenn man später über Jahre hinweg nicht dazu kommt, am Kultus teilzunehmen, geht diese Kraft, die aufgebaut wurde, nicht verloren.

Vgl. „Welchen Auftrag hat die Religion in Erziehung und Heilkunst?“ aus „Die Heilkraft der Religion“, Stuttgart 1997

  1. Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10.