Zur Homosexualität

Ist Homosexualität etwas Unabänderliches, das im Schicksal des Menschen begründet ist?

Welche Gesichtspunkte sind hilfreich beim Umgang damit?

Im Tierreich sind etwa 10 % der höheren Säugetiere homosexuell. Diese Lebensform spielt im Kontext der Erhaltung der Arten eine regulierende Rolle. Bei Menschen ist der Prozentsatz noch nicht annähernd bekannt, da diese Lebensform in vielen Kulturen unterdrückt und gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Es gehört jedoch zu den großen Fortschritten unserer Zeit, dass heute jeder die Freiheit hat, über seine sexuelle Orientierung selbst zu entscheiden und auch darüber, in welcher Form er mit wem zusammenleben möchte.

Nötige Offenheit gegenüber allen Lebensweisen

Dass auch Kinder, die weibliche oder männliche homosexuelle Eltern haben, bestens heranwachsen, ist evident. Umgekehrt kann es vorkommen, dass Kinder heterosexueller Paare ein sehr problematisches Zuhause haben. Immer gilt es die individuellen Lebensumstände von Kindern und Erwachsenen anzuschauen, wenn man ihnen gerecht werden will oder gefragt ist, etwas zur Unterstützung beizutragen.

Daher ist es wichtig, über all diese Lebensformen in der Schule offen zu sprechen – vor allem, wenn es um Familien aus dem schulischen Umfeld geht – und anerkennende Worte dafür zu finden. Was Menschen verbindet, kann nur von diesen Menschen adäquat empfunden werden und entzieht sich jeder Beurteilung von außen, solange dadurch nicht allgemeine Menschenrechte verletzt werden.

Die homosexuelle Erotik und Sehnsucht tritt im Pubertätsalter als vorübergehende Neigung bei fast allen Jungen und Mädchen auf, bis die definitive geschlechtliche Orientierung im Sinne der Hetero- oder Homosexualität ausgebildet ist. Erst nach dieser transitorischen Phase zeigt sich, bei wem sich die homosexuelle Neigung auf Dauer durchsetzt und zum „Normalzustand“ wird. Es ist jedoch durchaus möglich, dass ein homosexuell veranlagter Mensch im späteren Leben eine heterosexuelle Verbindung eingeht und eine Familie gründet. Umgekehrt kann es nach 10 oder 15 Jahren Ehe mit einem oder mehreren Kindern zur Trennung kommen, weil einer der beiden Partner in einer homosexuellen Verbindung weiterleben möchte.

Homosexuelle Lehrer und Lehrerinnen

Wie aber sieht die Situation homosexueller Lehrer und Lehrerinnen aus? Stellen sie eine Gefahr für ihre Schüler*innen dar?

Homosexualität ist nicht gleichzusetzen mit Pädophilie, die unvereinbar ist mit dem Lehrer*innenberuf – nicht jedoch die Homosexualität. Der Umgang mit Sexualität als Teil der eigenen Identität muss von jedem Menschen individuell erlernt und gefunden werden, das gilt für jede Form der Sexualität. Verläuft diese Entwicklung gesund, können die Erwachsenen ihre sexuellen Neigungen kontrollieren und in der von ihnen gewählten Partnerbeziehung ausleben. Wenn dies als Erziehungsbeauftragter nicht sozialverträglich gelingt und es zu Fehlverhalten kommt, das die Kinder schädigt, muss juristisch oder therapeutisch eingegriffen werden. Fest steht: So wenig Homosexualität identisch ist mit Kindesmissbrauch oder Verführung Minderjähriger, so wenig ist Heterosexualität gleichbedeutend mit moralisch einwandfreiem oder sozial vorbildlichem Verhalten.

Grundsätzlich gilt: Die Grenze des kritisch zu Beurteilenden verläuft immer da, wo der Mensch die Kontrolle über seine Handlungen verliert, der Partner zu etwas gezwungen oder ein Kind missbraucht oder verführt wird. Gerade im Lehrberuf kommt es immer wieder vor, dass Schüler*innen sich in Lehrer*innen verlieben und dass diese dann gefordert sind, der schwärmerischen Jugendliebe angemessen zu begegnen. Das ist ein grundsätzliches Problem jenseits von Homo- und Heterosexualität.

Was Menschen zueinander zieht in Liebe oder Hass, liegt immer im Schicksal der Beteiligten begründet und bedarf im jeweiligen Erdendasein der weiteren Bearbeitung, der heilsamen Klärung und auch des Verzichts auf egoistische Wünsche, um letztlich den anderen auf seinem Weg zu fördern, soweit man es vermag.

Vgl. Michaela Glöckler, Kita, Kindergarten und Schule als Orte gesunder Entwicklung. Erfahrungen und Perspektiven aus der Waldorfpädagogik für die Erziehung im 21. Jahrhundert, Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen, Stuttgart 2020