Grundlegendes zum Bewegungssinn
Wozu befähigt uns der Bewegungssinn?
Was wird durch ihn erlebbar?
Das Organ des Bewegungssinnes umfasst eine ganze Reihe von bestimmten besonders geformten Nervenendigungen, die sogenannten Muskelspindeln, die eine Zwischenform zwischen Nerv und Muskel sind. Muskulatur und Nerven sind sich insofern ähnlich, als beide kaum zur Zellneubildung fähig sind: Muskelzellen können durch Training zwar an Dicke und Kraft zunehmen, es entstehen dabei jedoch keine neuen Nervenzellen.
Die schematische Darstellung des motorischen Cortex an der Hirnrinde ist ähnlich aufgebaut wie die des sensiblen, sensorischen Cortex.
Zusammenspiel der Sinne beim Bewegen
Für den Bewegungssinn ist die Wahrnehmung der Körpergewebe, allem voran der Muskulatur über die Muskelspindeln, entscheidend. Propriozeption (propio = eigen, zeption = Wahrnehmung), die Wahrnehmung des eigenen Körpers, erfolgt über Tastsinn und Lebenssinn und bildet die Voraussetzung für alle Bewegung. Denn wir können nur bewegen, was wir auch wahrnehmen.
Ich versuche immer zu vermitteln, wie schwer es ist, einen einzelnen Sinn isoliert zu beschreiben. Im Grunde kann kein Sinn ohne den anderen funktionieren – obwohl es beim Bewegungssinn nur um Bewegung geht, setzt das bereits vieles voraus. Das zeigen die folgenden Fragen und Antworten:
Wer soll denn bewegt werden? Natürlich der Körper!
Wo soll er denn bewegt werden? Natürlich im Raum!
Folgerichtig muss man den Raum und seine Richtungen sowie ein Ziel wahrnehmen können. Dazu braucht man Auge, Ohr und Gleichgewichtssinn.
Man kann aber auch im Bett liegen, die Augen zumachen, nichts hören – und ist in der Lage Eigenbewegung im Finger wahrzunehmen. Dennoch muss man die Intention haben, das zu machen, muss also das Hirn „einschalten“. Das zeigt die Komplexität des Lebens: Leben ist eben auch Bewegung und Bewegung ist das, was einen am Leben hält.
Leben braucht Bewegung
Das spüren alte Menschen, die sterben wollen, instinktiv. Sie legen sich einfach ins Bett und bewegen sich nicht mehr. Sie vermitteln ihren Angehörigen: Mit mir geht es jetzt zu Ende, ich habe keinen Appetit mehr, will nichts mehr und warte jetzt, bis Gott mich ruft. Meist geht es dann ziemlich schnell bergab mit ihnen. Das ist der normale Alterstod, bei dem man, wie es im Märchen heißt, fühlt, dass man sterben soll.
Gesunde Kinder trainieren ihre Sinne ganz von selbst, wenn man sie lässt und sie die passende Umgebung dafür haben. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich hatte das Glück in einer Zeit aufzuwachsen, wo es noch nicht allgemein üblich war, dass Kinder in den Kindergarten gingen. In unserer Nachbarschaft gab es ein traditionell erzogenes Mädchen, das viele Lieder, Singspiele, Ringelrein und Singverse kannte. Ein ganzer Kindertrupp hat stundenlang auf der Straße Lieder gesungen, z.B. das Lied: span class=”zitat”>„14 Engel fahren…“ Wir balancierten, hüpften auf den Pflastersteinen, malten Kurven, deren Linien wir nachliefen. Wir trainierten ständig, den ganzen Tag lang die unteren Sinne. Das war normale, spontane Kinderkultur. Heute muss man das alles pädagogisch ermöglichen bzw. therapeutisch nachholen.
Vgl. Vortrag „Der Lebenssinn in Diagnostik und Therapie“, gehalten am 8. Januar 2016 an der Kunsttherapietagung